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'Höhepunkt und Ende des Premier Empire'
 
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Höhepunkt und Ende des Premier Empire

Napoleon hat diesen Machtwandel auch dadurch sanktioniert, dass er nach 1804 sein Empire bewusst nach dem lateinischen Muster des römischen Kaisertums ausrichtete - seinem 1811 geborenen Sohn verlieh er den Titel "König von Rom"! -, andererseits aber auch Karl den Großen und sein Imperium als Vorbild begriff. Dieser Reichsidee Napoleons wohnte der Trieb nach umfassender Ausdehnung in Form der Universalmonarchie antiken Gepräges inne; es erwies sich nun mehr und mehr, dass der gefährlichste Widersacher dieses Strebens sich nach wie vor in England darstellte und es daher Napoleons Hauptziel bleiben musste, "die Engländer, diese Erbfeinde unserer Nation", wie es in einem Armeebefehl vom 26. Oktober 1806 heißt, auf die Knie zu zwingen. Dieses Ziel versuchte er nun auch auf dem Wege des Handels- und Wirtschaftskrieges zu erreichen, indem er 1806 von Berlin aus die Kontinentalsperre [1] gegen Großbritannien verhängte. Sie sollte es England unmöglich machen, seine industriellen Produkte auf dem europäischen Markte abzusetzen, während das Festland gleichzeitig zu selbständiger Industrialisierung gezwungen werden sollte. Wenn diese Wirtschaftsblockade konsequent durchgeführt wurde, konnte der Zusammenbruch Großbritanniens, das diesem kombinierten Waffen- und Handelskrieg auf die Dauer nicht hätte gewachsen sein können, nur eine Frage der Zeit sein. Und es ist Napoleon zweifellos gelungen, England bis nahe an den Rand des Abgrundes zu bringen. Die französischen oder von Frankreich beherrschten Gebiete gehörten von vornherein diesem Sperrsystem an. Wo auch die mittelbare Abhängigkeit zur Sicherstellung der Kontinentalsperre nicht ausreichte, änderte der Kaiser die formale Selbständigkeit kurzerhand in die direkte Unterstellung unter Frankreich um. Als letzte und krönende Möglichkeit in diesem Ringen spielte Napoleon mit der Idee eines Alexanderzuges nach Indien, um den verhassten Gegner dort tödlich zu treffen.

Die Kontinentalsperre war eine von Napoleon am 21. November 1806 verfügte Wirtschaftsblockade, die bis 1813 in Kraft blieb. Sie sollte England mit den Mitteln des Wirtschaftskrieges in die Knie zwingen. Die Kontinentalsperre war Napoleons Antwort auf eine vorausgegangene Seeblockade der französischen Küste durch Großbritannien.

Quelle: www.napoleon.historicum.net/themen/aussenpolitik/kontinentalsperre.html

Diese politische Praxis, hervorgehend aus der Wechselwirkung des Englandkampfes und der Idee der Universalherrschaft über Europa, musste zu geschichtlichen Reaktionen führen. Es war die neue Idee der lebendigen Synthese von Staat und Nation gewesen, sodann die geniale und dämonische Persönlichkeit Napoleons und der unbedingte Glaube der von ihm Geführten an die Unbesiegbarkeit des Imperators, die zunächst der Revolution und später den Armeen des Kaisers jenes moralische Übergewicht gegeben hatten, vor dem die Staaten des alten Europa wie Kartenhäuser zusammengebrochen waren. Dieses Missverhältnis in der Auseinandersetzung der Ideen musste sich ändern, sobald die in Frankreich geborenen Prinzipien auf die anderen Völker zurückwirkten, um in ihnen dynamische Kräfte hervorzurufen, die geeignet waren, die materielle Überlegenheit, über die Napoleons Gegner in ihrer Gesamtheit verfügten, zur Geltung zu bringen.

Ohne es zu wollen, förderte Napoleon diese Entwicklung selbst, weil unter dem Druck seiner Gewaltherrschaft die misshandelten nationalen Empfindungen der Völker, die bisher nur als Instinkt in ihnen gewirkt hatten, zu lebendigem und alsbald leidenschaftlichem Bewusstsein ihrer selbst durchreiften. Napoleon hat die Mächte des Gefühls und der zum äußersten Opfer entschlossenen Begeisterungsfähigkeit, die hier wach wurden, in ihrem Wesen nicht erkannt; auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen und seiner eigenen, stark rationalmathematischen Geisteshaltung rechnete er allzu lange mit der "Staatsraison" einer Kabinettspolitik vorrevolutionären Stils. Aus dieser Gesinnung heraus hielt er die neuen Kräfte für "Ideologien", auf die er keine Rücksicht zu nehmen brauche. Diese Unterschätzung der irrationalen Dynamik des modernen Nationalismus in Europa, zumal in Deutschland, den er selbst als die notwendige Antithese gegen seine Universalherrschaftsidee ausgelöst hatte, wurde ihm schließlich zum Verhängnis.

Zwar überwand er die ersten Regungen dieser neuartigen Reaktion verhältnismäßig rasch, als er 1809 bei Wagram Österreich zum vierten Male niederwarf, während seine Feldherrn oder Bundesgenossen die Erhebungen in Tirol und Norddeutschland erstickten. Aber der Kampf wurde ihm doch nicht mehr so leicht wie früher; in der Schlacht bei Aspern (1809) hatte er die erste Niederlage erlitten. Und der spanischen Insurrektion, die gleich nach seinem Feldzug von 1808 ausbrach, ist er niemals Herr geworden; sich mit Hilfe der finanziellen und militärischen Unterstützung Englands mehr und mehr ausbreitend, endete dieser Guerillakrieg im Jahre 1814 mit dem Einmarsch der von Wellington geführten englisch-spanischen Armeen in Südfrankreich. Zur stärksten und bewusstesten Ausprägung aber gelangten die neuen ideellen Kräfte in dem Staat, den Napoleon am tiefsten gedemütigt hatte, in Preußen. Hier streifte die Bewegung unter den Schlägen des Imperators den unpolitisch-ästhetischen und kosmopolitischen Charakter ihrer Anfänge weitgehend ab und bildete einen gelegentlich schon recht exaltiert anmutenden Nationalismus aus, ohne den die Reformen und die Erhebung von 1813 nicht denkbar sind.

Doch bedurfte es zur Abschüttelung der napoleonischen Herrschaft der materiellen Unterstützung eines starken Staates. Dieser konnte sich nur in Russland darstellen, nicht in England, das angesichts seines Charakters als Seemacht wohl ein Durchhalten der Festlandsstaaten, keineswegs aber den militärischen Zusammenbruch der Landmacht Frankreich zu bewirken vermochte. Und es sollte sich schon bald herausstellen, wie fragwürdig es um das seit dem Frieden von Tilsit [2] 1807 bestehende Bündnis zwischen Napoleon und Alexander bestellt war. Denn die auf dem Treffen zu Erfurt 1808 verabredete Teilung der europäischen Machtsphäre in eine Ost- und eine Westhälfte ließ sich nicht reinlich durchführen.

Kaiserin Josephine anlässlich der Kaiserkrönung 1804 (Ausschnitt aus dem Bild von J.-L. David) und Kaiserin Marie-Louise, der Napoleon aus politischem Kalkül Josephine opferte und die ihm den Thronfolger François Joseph Charles, König von Rom, schenkte.

Quelle:Abb. links [3] / Abb. rechts [4]

Napoleon, der immer damit rechnen musste, Russland eines Tages wieder auf der Seite seiner Gegner zu finden, dachte nicht daran, Alexander die so heiß erstrebte Eroberung Konstantinopels und der Meerengen zuzugestehen, da dies eine Gefährdung der französischen Mittelmeerinteressen bedeutet hätte. Der Zar betrachtete die Annektierung Illyriens und Dalmatiens nach dem Kriege von 1809 durch die Franzosen als einen Eingriff in die russische Einflusssphäre auf dem Balkan. Die größte Reibungsfläche bot darüber hinaus die Rivalität beider im polnischen Raum, einem Gebiet, dessen Westhälfte seit Tilsit als "Großherzogtum Warschau" unter französischer Kontrolle stand. Angesichts dieser Konfliktmöglichkeiten sah Napoleon sich beizeiten nach einem neuen Bundesgenossen um. Diesen glaubte er nach 1809 in Österreich zu finden. Die Heirat mit der Kaisertochter Marie-Luise [5] , derentwegen er seine erste Ehe mit Joséphine [6] Beauharnais auflösen ließ, war nicht zuletzt auf eine solche Allianz hin abgestimmt. Russland beantwortete dieses Misstrauensvotum mit der Aufhebung der Kontinentalsperre, die man im Zarenreich ohnehin niemals streng hatte beachten können, da das industriearme Land auf die englischen Fertigprodukte angewiesen war. Die Hauptwaffe, die der Franzosenkaiser gegen England anzuwenden vermochte, war durch diese russische Maßnahme also im wesentlichen unwirksam geworden.

Das unablässige Ringen Napoleons gegen England gelangte zum Höhepunkt, als er - mit Hilfe aller kontinentalen Kräfte - im Jahre 1812 den Versuch machte, die Entscheidung in diesem Kampf an der äußersten Peripherie des Erdteils herbeizuführen und Russland [7] in das System der Kontinentalsperre zurückzuzwingen. Der Brand von Moskau und der außerordentlich verlustreiche Rückzug durch die Schneewüsten des Ostens entschieden gegen ihn. Die Koalition Preußens mit den - zunächst nur zögernd folgenden - Russen war die unmittelbare Folge der Katastrophe von 1812. Dem Übergewicht ideeller und militärischer Kräfte, dem sich Napoleon gegenübersah, seitdem dieser Bund durch Österreich verstärkt wurde, konnte er nicht mehr widerstehen; seine zahlenmäßig, moralisch und materiell geschwächten Streitkräfte mussten das Schlachtfeld von Leipzig vor den halbkreisförmig andrängenden Alliierten in den entscheidenden Oktobertagen (16.-19.) 1813 räumen, um sich den Rückzug nach Frankreich zu erkämpfen.

Das Völkerschlachtmuseum in Leipzig (links) und eine nachgestellte Kampfszene der Schlacht aus dem Diorama, das sich im Denkmal befindet und das aus Anlass der 190-Jahrfeier im Juni 2004 neu restauriert wurde.

Quelle: links [8] / rechts [9]

Seit dem 18. Oktober 1813 war Napoleon nicht mehr Herr des Kontinentes. Nicht einmal in Frankreich konnte er sich behaupten, wie sich in den Winterschlachten des Jahres 1814 herausstellte, deren Ergebnis am 3I.März 1814 zum Einzug der Verbündeten in Paris und am 6. April zur Abdankung Napoleons und seiner Verbannung nach Elba führte.

Unter den zahllosen Karikaturen über Napoleon findet sich auch die von Jacques-Louis-Constant Lecerf, der ihn als "Robinson de l'île d'Elbe" bezeichnet. Dazu der Kommentar: "Toutefois, ce nouveau Robinson n'a plus rien du héros civilisateur de l'écrivain anglais. Il a perdu sa peau de chèvre et devenu tigre, il tient une scie de guise de sceptre et de son panier sortent des papiers relatifs à ses crimes: Vincennes (exécution du duc d'Enghien), Jaffa (Bonaparte était censé avoir empoisonné ses soldats), l'Espagne, où moururent tant de soldats, etc. Dans le fond accourt un Vendredi militarisé."


Quelle: www.napoleon.org/fr/hors_serie/caricatures/caricatures4.htm

Auch die Episode der Hundert Tage nach Napoleons Flucht von der Insel hat diese Entwicklung nicht mehr rückgängig machen können, wie sich am 18. Juni 1815 bei Waterloo [10] endgültig bestätigte, als die Kavallerieattacke der napoleonischen Regimenter in dem Abwehrfeuer der Gardetruppen Wellingtons zusammenbrach und die Preußen durch ihren Einbruch in die rechte Flanke der Franzosen die letzte Schlacht dieses heroischen Zeitalters gegen den Imperator entschieden. Um eine nochmalige Rückkehr Napoleons nach Frankreich zu verhindern, verbannten ihn die Alliierten diesmal nach St. Helena. Dort schuf der gestürzte Kaiser bis zu seinem Tode 1821 durch die Abfassung seiner Memoiren - des berühmten "Memorial de St. Hélène", das er Las Gases diktierte - selbst die Grundlagen für die geschichtliche Weiterwirkung seiner politischen Vorstellungen in Form der Napoleonlegende und des Bonapartismus.

Die Schlachtstellungen in der Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815 um 11.45 Uhr vormittags (links) und am Nachmittag um 19.00 Uhr (rechts). Die Stellungen der Engländer sind in rot, die der Franzosen in blau eingetragen.

Quelle: www.napoleon-series.org/military/c_maps.html (Belgium Series)

Dieser zweite Versuch, den Frankreich innerhalb eines Jahrhunderts zur Erringung der Vorherrschaft in Europa und darüber hinaus der Weltherrschaft gemacht hat, führte es weit näher an das große Ziel heran, als ihm das jemals unter Ludwig XIV. gelungen war. Denn die Zusammenschließung der staatlichen Einzelglieder des Kontinentes zu einem wirtschaftlichen und politischen Großraum Europa war um 1810 bereits eine faktische Wirklichkeit geworden, deren formelle Sanktion nach einem entscheidenden Sieg über England hätte nachgeholt werden können. Dies war die Voraussetzung, die Napoleon als Erbe sowohl der klassischen französischen Politik wie insbesondere der Revolution erfüllen musste, wenn er seiner Empire-Idee geschichtliche Dauer verleihen wollte.

Nach der sog. "Herrschaft der Hundert Tage" erfuhr Napoleon in der Schlacht bei Waterloo durch preußisch-englische Koalitionstruppen seine letzte und alles entscheidende Niederlage. Napoleon wurde von England auf die südatlantische Insel St. Helena verbannt, wo er am 05.05.1821 starb. Das Bild von Jean-Francois Sandmann zeigt den einsamen Kaiser kurz vor seinem Tod auf der Insel.

Quelle: www.musees-nationaux-napoleoniens.org/pages/page_id19302_u1l2.htm

Die kraftvolle Synthese von traditioneller Verpflichtung, persönlichem Ehrgeiz und dämonischer Willenskraft in dem Phänomen Napoleon führte zu einem in den historischen Vorhergegebenheiten verankerten Getriebensein, das alle Handlungen Napoleons zu einem Circulus vitiosus machte: um England, das ihm eine europäische Koalition nach der anderen entgegenstellte, niederringen zu können, war er gezwungen, tiefer und tiefer in den Kontinent auszugreifen. Daraus wuchs ihm der Gedanke des universalen Imperiums gleichsam ganz von selbst zu. Doch ergab sich aus diesem Streben eben gleichzeitig das Sichselbstbesinnen der unterworfenen Völker auf ihre individuelle Eigenart. Das Gegenteil von dem Gewollten wurde erzielt: nicht das im Universalreich geeinte Europa, sondern die Zersplitterung des Kontinents in zahlreiche Einzelstaaten, denen der als Reaktion auf Napoleons Wollen geborene moderne Nationalismus im Laufe der Zeit ihr inneres historisches Gesetz verlieh. Indem Napoleon scheiterte, wurde er historisch wirksam, weil nur die Aktivität seiner Existenz die Geburt der zukunftsträchtigen Lebensmächte ermöglichte, die ihrerseits diese Existenz vernichten mussten, um selbst zur Entwicklung gelangen zu können.