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'Stadterneuerung in Paris vom 19. Jh. bis heute '
 
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Stadterneuerung in Paris vom 19. Jh. bis heute

Paris ist - ebenso wie andere Großstädte - vom Phänomen des Stadtverfalls nicht verschont geblieben, obwohl die Stadt auf eine 150jährige Tradition der Denkmalpflege zurückblickt. Maßnahmen zur durchgreifenden Flächensanierung wurden hingegen nur periodisch durchgeführt.

Die erste Stadterneuerungsphase begann 1853 mit der Ernennung des Barons Eugène Haussmann [1] zum Präfekten des Départements Seine-Paris und mit dem Auftrag des Kaisers Napoleon III., die Stadt zu einer "vorbildlichen, modernen Metropole" umzubauen. Neben diesen repräsentativen Aspekten bewegte die politische Elite aber auch die Angst, dass die schlechten sanitären Bedingungen in den teilweise noch aus dem Mittelalter stammenden Vierteln rund um das Stadtschloss des Louvre Aufstände hervorrufen könnten. Tatsächlich sollten sich die Haussmann'schen Umbauten [2] bereits 1871 bewähren, als es der "Commune" nicht gelang, die neuen, breiten Boulevards wirkungsvoll zu verbarrikadieren.

Haussmann verwirklichte zwischen 1853 und 1869 ein städtebauliches Gesamtprogramm, das in autoritärer Weise mit Hilfe eines Enteignungsgesetzes durchgeführt wurde. Durch 3.900 Enteignungen, den Ankauf von 2 Mio. m² Baugrund und den konsequenten Abriss ganzer Straßenzüge - insgesamt betraf der Abbruch 27.500 Wohnungen - wurde die Stadt komplett umgestaltet. Der Kaiser selbst hatte die Anlage breiter Boulevards angeordnet, die einen großen Teil des neuen insgesamt 100 km langen Straßennetzes repräsentierten.

Abbildung 4:

Die Straßendurchbrüche im historischen Stadtzentrum und die neuen Prachtboulevards rund um den Triumphbogen aus der Luft gesehen

 

 

 

Internet-Quelle [3]


Durch die Anlage des Boulevard Saint-Michel auf der rive gauche und des Boulevard Sébastopol an der rive droite erhielt die Stadt wieder eine leistungsfähige Nord-Süd-Achse, die parallel zur historischen Linie der rue Saint-Jacques verlief. Neben neuen Infrastruktureinrichtungen (z.B. den zentralen Markthallen), Grünflächen (Parc Monsouris, Buttes Chaumont [4] ), sternförmigen Plätzen und der Sanierung zahlreicher Monumentalbauten (z.B. Notre Dame) prägten vor allen die Wohnbauten das Straßenbild des "neuen" Paris. Insgesamt wurden 100.000 Wohnungen neu gebaut, wovon vor allem im Westteil der Stadt der Bereich des Etoile profitierte. Durch den Bau von Luxuswohnungen rund um die heutige Avenue Foch, den Champs Elysées [5]  und der Opéra Garnier wurde die Zweiteilung der Stadt in einen reichen Westteil und einen armen, von Arbeiterwohnhäusern dominierten Ostteil festgeschrieben. 

Die Umgestaltungen der Stadt unter Haussmann (der unter dem Vorwurf der persönlichen Bereicherung 1871 aus seinem Amt entlassen wurde) erwiesen sich als so umfassend, dass bis zum Ende des Ersten Weltkrieges keine neuen Pläne zur Stadterneuerung entwickelt wurden. Gleichzeitig mag aber auch die hohe Verschuldung der Stadt eine Rolle gespielt haben, denn zahlreiche enteignete Hausbesitzer hatten erfolgreich gegen diese Maßnahme Einspruch erhoben und ihren - nun durch den Umbau aufgewerteten - Besitz zurück erhalten.

Mit der Beseitigung der Befestigungen im Bereich des heutigen Boulevard périphérique [6]  im Jahre 1919 setzten Bemühungen zur Schaffung eines Gesamtentwicklungsplanes für Paris ein. Um dem Entstehen von "wilden" Siedlungen entgegenzuwirken, die von Zuwanderern aus ganz Frankreich im Umfeld der Stadt errichtet wurden, forderte man ein städtebauliches Programm, das die Schaffung von billigem Wohnraum (H.B.M. = Habitation à bon marché) vorsah. Tatsächlich entstanden in der Vorortzone einheitliche Miethausblöcke, doch reichte die Zahl der Wohnungen nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Die Zwischenkriegszeit stand im Zeichen der Stadterweiterung, die ohne Planung in vorher nicht gekanntem Maß vor sich ging und unter dem Begriff der "chaotischen Urbanisierung" in der stadtgeographischen Forschung bekannt geworden ist.

Während sich das dicht bebaute Stadtgebiet immer weiter ins Umland ausdehnte, wurden aber auch Visionen zur Umgestaltung der Innenstadt entwickelt. Diese standen unter der von prominenten Architekten entwickelten Vorstellung von der Trennung der Grundfunktionen Wohnen und Arbeiten. Besonderes Aufsehen erregte der "Plan Voisin [7] " von Le Corbusier [8] , der den Abbruch der gesamten Bebauung zwischen der rue de Rivoli und der Gare de l'Est sowie die Neubebauung mit kreuzförmigen Hochhäusern und Rasterstraßen vorsah. Der Plan fand (glücklicherweise) keine Zustimmung, und die Stadt blieb bis zur Ausrufung der Fünften Republik durch Charles de Gaulle ohne zusammenhängende Planung.

Um 1960 verschärften sich die Wachstumsprobleme der Stadt. Zwar wurden eilig Wachstumsbeschränkungen im Rahmen eines ersten Raumordnungsplanes (PADOG [9] ) beschlossen, doch konnte der Zuzug aus den Provinzen in den Ballungsraum nicht gestoppt werden. 1965 wurde in einem "Schéma Directeur [10] " (Raumordnungsplan) die Schaffung von acht neuen Städten im Pariser Umland festgeschrieben (verwirklicht wurden fünf). Sie sollten als neue Wohn- und Arbeitsplatzzentren die Innenstadt nachhaltig entlasten. Der Plan legte jedoch nur die Leitlinien der Raumentwicklung fest, ohne konkrete Vorschläge zu machen, so dass dem Beauftragten für die Villes Nouvelles, Paul Delouvrier [11] , freie Hand bei der Standortwahl gegeben wurde.

Aus der Notwendigkeit, auch für die Kernstadt zu einem Leitplan zu gelangen, entstand ein grundlegendes Konzept der Stadtentwicklung, das "Schéma Directeur d'Aménagement et d'Urbanisme de la Ville de Paris" (S.D.A.U.). Der S.D.A.U. wurde 1977 per Dekret erlassen und 1980 einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Die Vorbereitungsarbeiten fanden vor dem Hintergrund einer Abwanderung der jungen Familien in die suburbanen Räume und einer zunehmenden Überalterung der Bevölkerung in der Kernstadt statt und führten zur Formulierung entsprechender Leitziele [12] .

Zur Verwirklichung dieser Planungsziele - besonders jenes der Wahrung der (internationalen) Hauptstadtfunktion - sollte eine Reihe von Projekten beitragen. Die Planungsstrategie folgte der alten NW-SE-verlaufenden Achse entlang der Champs Elysées und der rue de Rivoli mit den neuen Endpunkten La Défense [13]  im Westen und Bercy-Tolbiac im Osten. An dieser Achse liegen fast alle Großprojekte, die die Stadt im Hinblick auf das Planungsziel der Sicherung der (internationalen) Funktion als Wirtschafts- und Kulturmetropole durchgeführt hat: das neue Forum Les Halles entstand nach der Auslagerung des Zentralmarktes nach Rungis im südliche suburbanen Raum der Stadt, das Sanierungsprojekt Louvre [14]  und Tuileriengärten, die neue Opéra Bastille [15] , das Bürozentrum Gare de Lyon, die Umgestaltung der alten Weinlager in Bercy und die neue Nationalbibliothek [16]  in Tolbiac.

Abbildung 5:

Stadterneuerung in Paris: Großprojekte versus Wohnraumverbesserung

 

 

 

 

 

 

Quelle: Paal 1994, In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft, S. 100

Abbildung 6:

Die West-Ost-Achse von der Louvre-Pyramide Richtung Westen mit dem Endpunkt La Défense

 

 

 

 

 

 

Quelle: Figaro 1998

Diese großen, prestigeträchtigen Projekte sind heute fertiggestellt. Die Ursache für die zügige Abwicklung derartiger Megaprojekte, die aufgrund ihrer Dimensionen und der gewagten architektonischen Gestaltung international große Beachtung fanden, liegt einerseits in der professionell agierenden Bürokratie, die es verstanden hat, Privatunternehmen für die Unterstützung von Staatsprojekten zu gewinnen. Andererseits profitierte Paris von der Interessensgemeinschaft zwischen dem damaligen Staatspräsidenten Mitterrand und dem früheren Pariser Bürgermeister Chirac, denen die permanente Bestätigung der Stadt als Welthauptstadt gemeinsames Anliegen im Sinne de Gaulles war.

Hingegen kann der 1983 beschlossene Plan für den Pariser Osten mit den städtebaulichen Dimensionen der Großprojekte nicht Schritt halten und wird nur langsam umgesetzt. Der Pariser Osten ist der traditionelle Ungunstraum der Stadt. Sein Niedergang begann mit dem Auszug des Hofes und des Adels aus dem Marais Viertel in Richtung Louvre und später nach Versailles und dem langsamen Verfall der Bauten rund um die Place des Vosges. Die Baupolitik Haussmanns verstärkte das Ungleichgewicht und zweifellos wirkt die Benachteiligung gegenüber den westlichen Stadtvierteln heute noch nach. Im Pariser Osten leben die untersten sozialen Schichten (der Ausländeranteil liegt bei durchschnittlich 30%) und dementsprechend abgewohnt ist die Bausubstanz.

Die großen Freiflächen des alten Schlachthofes La Villette [17] und die ehemaligen Weindepots in Bercy hat die Stadt schnell umstrukturiert und für den Bau von Großprojekten reserviert. Die Sanierung der Wohnbauten kam hingegen nur schleppend voran. Selbst unter Berücksichtigung der langwierigen Prozedur der Erneuerung des Wohnungsbestandes von der Planung über die Aussiedlung der Bevölkerung, Abbruch und Neubau ist der "Plan de l'Est de Paris" eines der besten Beispiele für die Erneuerungspolitik der Stadt. Die Sanierungstätigkeit verhält sich direkt proportional zum politischen Nutzen: die bis vor wenigen Jahren konservativ regierte Stadt sorgte primär für die Verdrängung sozialistischer und kommunistischer Wählerschichten aus dem Nordosten der Kernstadt. Nur wenige Stadtplaner kritisierten diese Erneuerungspolitik, bezogen sich dabei aber nur auf die Methode der Abbruchsanierung und forderten mehr Respekt vor den gewachsenen Strukturen, ohne die sozialen Folgen der Sanierungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Abbildung 7:

Die alten Weinlager von Bercy im Pariser Osten sind heute größtenteils abgerissen und die Fläche als Park umgestaltet. An wenigen Stellen wurden die Gleisanlagen und historischen Bauten in den Grünraum integriert.

 

 


Photo: Paal 1999

Abbildung 8:

Stadterneuerung der 1970er Jahre an der Place d'Italie.Die Wohnungen - ursprünglich für Franzosen vorgesehen - wurden mangels Nachfrage an Flüchtlingsorganisationen vergeben, die sie an Zuwanderer aus Fernost vermittelten. Das Viertel ist heute die Pariser "Chinatown".

 

 

 

 

Photo: Paal 1999

Im Zusammenhang mit Stadterneuerung - Maßnahmen des Denkmalschutzes ausgenommen - unterscheiden die französischen Urbanisten drei Strategien:
1. rénovation
2. réhabilitation
3. restauration

Der Begriff der "rénovation" umfaßt alle Maßnahmen zur Reparatur der Außenhaut eines Gebäudes ohne Eingriff in dessen Struktur (Anbringen eines neuen Putzes oder Fassadenanstriches, Dachreparaturen etc.), wobei die Erneuerungstätigkeit auf ein Einzelgebäude beschränkt bleibt.

Unter "réhabilitation" versteht man die Summe aller gezielten Maßnahmen, die dazu dienen, Wohnungen mit Komfort nach heutigem Standard auszustatten bzw. diesen wiederherzustellen. Dies betrifft ihre Ausstattung mit Sanitäranlagen, Wasser und Heizung. Rehabilitationsmaßnahmen werden in genau abgegrenzten Gebieten, den "îlots", durchgeführt.

Die Prozedur der "restauration" besteht aus der Wiederherstellung, der Modernisierung oder dem Abbruch der Bebauung eines Grundstückes, um eine zeitgemäße Nutzung unter Berücksichtigung des Umfeldes zu gewährleisten. Der Schwerpunkt liegt bei der Methode der Abbruchsanierung, d.h. der Errichtung von Neubauten anstelle der historischen Bausubstanz, beschränkt sich aber nicht nur auf Wohnbauten. Ziel ist die Verbesserung der bestehenden Situation und die Adaptierung im Hinblick auf die Bedürfnisse des Viertels und seiner angrenzenden Bereiche. Die Kompetenzen sind zwischen der Stadt und dem Staat aufgeteilt [18] .

Die Aufgabe des Denkmalschutzes bleibt in erster Linie dem Staat überlassen, der sich um die Erhaltung einzelner historischer Monumente oder von Denkmalschutzzonen, den sogenannten "secteurs sauvegardés", kümmert. Die Ausweisung dieser Zonen kann entweder geschlossene Stadtviertel, wie z.B. das Marais, oder historisch bedeutsame Ensembles, z.B. den Bereich des Invalidendomes, betreffen. Eingriffe in die Bausubstanz [19]  dürfen dort nur in Abstimmung mit dem Plan de Sauvegarde (Denkmalschutzplan) vorgenommen werden. Eine Besonderheit in der Zuständigkeit ist die "Zone de protection du patrimoine architectural et urbain", deren Installierung seit 1984 möglich ist und die den architektonischen Schutz des Stadtraumes im Umkreis von 500 Meter rund um ein historisches Monument erlaubt. Die Initiative [20] zur Schaffung dieser Z.P.P.A.U. geht von der Stadt Paris aus, die auch schon von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat (z.B. Les Invalides).