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'Der Beginn der Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR'
 
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Der Beginn der Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR

Die Westmächte gehen im Oktober 1949 davon aus, dass eine offizielle Erklärung verfrüht sei. Sie wählen also den Kurs der offiziellen Nichtanerkennung, wissend, dass die Niederlande, die Skandinavischen Staaten und die Schweiz - unter dem Druck der Wirtschaft - bereit sind, Kontakte mit dem neuen Staat aufzunehmen, um hier ihre Interessen wahrzunehmen.

Die Hohen Kommissare als Zuschauer bei der Konstituierenden Sitzung des ersten Deutschen Bundestages. V.l.n.r.: John Mc Cloy (USA), André François-Poncet (Frankreich), Brian Robertson (Großbritannien).

 

Quelle: www.dhm.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/JahreDesAufbausInOstUndWest/ZweiStaatenZweiWege/alliierteHoheKommission.html

Im Dezember 1949 verfügt die Alliierte Hohe Kommission [1]  (das Bündnis- und Konsultationsgremium für die fünf Unterzeichnerstaaten des Vertrages von Brüssel) in Gegenwart eines amerikanischen Delegierten "eine Richtlinie für ihr Verhalten gegenüber Ostdeutschland, insbesondere auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Beziehungen sowie zum Schutz der westlichen Interessen in der russischen Zone." (5) Die sechs Regierungen "lehnen die rechtliche und faktische Anerkennung ab und sehen die sowjetische Regierung als verantwortlich für die Handlungen in dem ostdeutschen Regime an, die sich gegen die Interessen der Westmächte in dieser Zone richten." (6)

Dieser Beschluss wird unverzüglich in den anderen europäischen Ländern durch die französischen und englischen Botschafter mitgeteilt. Diese abgestimmte Vorgehensweise ist dort meist erfolgreich, selbst in den neutralen Staaten.

Nach dem Scheitern der Viermächtekonferenz [2] , die in Berlin vom 25. Januar bis zum 18. Februar 1954 stattfindet, billigt die Sowjetunion der DDR am 25. März volle Souveränität in den Grenzen des Potsdamer Abkommens [3]  zu. Die ostdeutschen Behörden haben fortan "die Freiheit, ihre innen- und außenpolitischen Angelegenheiten auf der Grundlage eigener Einschätzungen selbst zu regeln, einschließlich der Beziehungen zu Westdeutschland." (7) Diese Maßnahme ruft sehr schnell Spannungen hervor. Für die Franzosen handelt es sich "um eine Rechtsverletzung des modus vivendi, den ursprünglich die vier Mächte begründet hatten." (8) Bedeutet dies das Ende jener Fiktion, man könnte den Alliierten-Kontrollrat [4]  am Leben erhalten, und liefert dies den Beweis, dass die DDR "von nun an in ihren Auslandsbeziehungen nur noch die zwischen souveränen Staaten üblichen Regeln" (9) akzeptieren will? Der bevollmächtigte Minister, Francois Seydoux, zeigt sich unter diesen Umständen entschlossen: "Die Annahme solcher administrativen Arrangements in der Sowjetischen Zone wird keine Anerkennung der Verwaltung im Sinne einer Regierung nach sich ziehen." (10) Und im Oktober des gleichen Jahres erklären die drei Westmächte, dass sie die Regierung der Bundesrepublik "als einzige frei und legitim eingesetzte deutsche Regierung anerkennen, die allein ermächtigt ist, im Namen Deutschlands als Repräsentant des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten aufzutreten." (11)

"So - und achten Sie auf eine gute Erziehung" In der Karikatur (von Mirko Szewczuk) übergeben die Westmächte dem "francaisen Michel" vorsichtig ihr "Baby": die Bundesrepublik Deutschland.

Quelle: www.dhm.de/lemo/html/Nachkriegsjahre/EntstehungZweierDeutscherStaaten/entstehungDesWeststaates.html

Trotz dieser Nichtanerkennung lässt sich das Interesse Frankreichs an der DDR nicht leugnen. Regelmäßig werden durch den Hohen Kommissar der Französischen Republik in Deutschland, André François-Poncet, und durch seinen Stellvertreter, Armand Bérard, Berichte an das Quai d'Orsay geschickt. Die akkreditierten Botschafter in den Nachbarländern werden ebenfalls beauftragt, die politischen Entwicklungen des neuen Staates über Analysen der Presse und der Reden führender ostdeutscher Politiker zu verfolgen. Die französische Militärmission in Karlshorst interessiert sich im Jahre 1952 für den Widerhall, den "die Initiativen der Pankower Regierung hinsichtlich der deutschen Wiedervereinigung in der Ostzone finden." (12) Die Bewohner der Ostzone würden begierig Verhandlungsergebnisse erwarten, "die, so ungenügend sie auch sein mögen, zu einer Verbesserung ihrer Lage" (13) führen könnten. Frankreich dürfe daher dieses andere Deutschland, dessen Bevölkerung von der UdSSR abhänge, nicht vernachlässigen.

Dennoch antworten führende französische Politiker nicht auf Vorstöße ostdeutscher Politiker bei der französischen Regierung und beim Präsidenten der Nationalversammlung im Februar 1952, in dem Augenblick, als die Nationalversammlung den Entwurf der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG [5] ) diskutiert. Acht Tage vor der Abstimmung des französischen Parlaments, am 23. August 1954, richtet Wilhelm Pieck einen letzten Appell an Präsident René Coty [6] , in dem er einmal mehr die Politik der Wiederaufrüstung und die aggressiven Pläne Bonns Frankreich gegenüber verurteilt. Er verbindet damit die Hoffnung, dass sich die französischen Vertreter dafür verwenden werden, den Frieden in Europa zu garantieren, indem sie die Abkommen von Bonn und Paris ablehnen. Diese ostdeutschen Initiativen bleiben praktisch ohne Wirkung. Die Thesen untermauern jedoch die Argumente der Gaullisten und Kommunisten, entschiedener Gegner der EVG, weil sie die Gefahr eines Erstarkens des westdeutschen Militarismus oder einer völligen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten heraufbeschwören. (14)

In einem vertraulichen Bericht des Instituts für Europäische Studien in Straßburg, der an das französische Außenministerium gerichtet ist, wird darauf hingewiesen, dass es "eine sehr schlechte Politik [sei], einen Teil Deutschlands über Gebühr zu unterstützen und sich den anderen zum Gegner zu machen bzw. ihn aufzugeben. Im Falle einer Nicht-Vereinigung wird es einen subtilen Balanceakt geben müssen, aus dem Frankreich nur Vorteile ziehen kann." (15) Das Bündnis mit der BRD sei nicht so solide, wie es scheine, und die "kürzlichen Erfahrungen im Saargebiet oder anderswo" (16) könnten Zweifel an seiner Dauerhaftigkeit aufkommen lassen. 

"Zwei Lesarten. Lektüre für die Parlamentsferien". Karikatur über die zwei Seiten des Schuman-Plans von Klaus Pielert (um 1950 ).

Quelle: www.dhm.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/JahreDesAufbausInOstUndWest/ZweiStaatenZweiWege/schumanPlanBody.html

Unterdessen fühlen sich in Frankreich einige Kreise von diesem anderen Deutschland angezogen, darunter diejenigen, die am meisten unter dem Nationalsozialismus gelitten haben. 1950 wird ein Bündnis zwischen Anciens Combattants sowie französischen Deportierten und deutschen Widerstandskämpfern geschlossen. Man greift den Schuman-Plan an, der zum Ziel habe Westdeutschland in ein mächtiges Waffenarsenal zu verwandeln. (17) Die französischen Anciens Combattants sind sehr empfänglich für das Argument einer möglichen deutschen Revanche; gleiche Motive scheinen auch Gewerkschafter der CGT und des FDGB [7]  (18) sowie führende Funktionäre der SED [8]  zu bewegen. Seit 1950 werden in allen Wirtschaftsbereichen und sogar zwischen Lehrergewerkschaften "Kampfbündnisse" geschlossen, die zum Ziel haben, "den Kampf der Arbeiter zur Verteidigung des Friedens in Frankreich und in Deutschland zu stärken" und die Kampagne zur Unterstützung des Stockholmer Appells zu fördern. 

"Allemagne de l'est (R.D.A.) - Déclaration commune de la C.G.T. et de la F.D.G.B. (Juin 1950)"

Quelle: cgtrda.free.fr/cgt-fdgb_06_1950.htm

Diese Kampfbündnisse bleiben ohne große Folgen. (19) Einige haben allerdings Auswirkungen auf die französische Innenpolitik. So schließen Vertreter der Postgewerkschaft ein Bündnis mit dem Ziel, Pakete anzuhalten, die für den Koreakrieg von Bedeutung sein könnten. Die französischen und ostdeutschen Gewerkschaften empfehlen, mit allen Mitteln die Nutzung von Übertragungsgeräten, Telefon, Telegraphen und Radios für militärische Zwecke zu verhindern. 1950 vereinbaren französische Grundschullehrer in der CGT und ihre ost-deutschen Kollegen sogar, Friedenskomitees in den Schulen zu gründen, um die Verwendung militaristischer Schulbücher zu verhindern und Konferenzen zu organisieren, die einen Krieg gegen die UdSSR verhindern sollen.

Der F.D.G.B. ist der Ansicht, dass seine wichtigste Aufgabe darin besteht, seinen 7,8 Millionen Mitgliedern Mittel und Wege zu verschaffen, ihre demokratischen Rechte mit stärkerem Bewusstsein und größerer Effizienz auszuüben. In der Volkskammer und in verschiedenen anderen Volksvertretungen ist der F.D.G.B. durch eine große Zahl Delegierter vertreten und so direkt an der Machtausübung des Staates beteiligt. Die F.D.G.B.-Fraktion in der Volkskammer ist mit 68 Abgeordneten die zweitgrößte. Die Gewerkschaften haben das Recht, Gesetzesinitiativen einzubringen und achten darauf, dass die gesetzlich verankerten Arbeiterrechte eingehalten werden. Sie intervenieren vor allem im Bereich der Wirtschaftsplanung und -steuerung und setzen sich dafür ein, dass der wissenschaftliche und technische Fortschritt in der Arbeitswelt umgesetzt wird.

Quelle: cgtrda.free.fr/21f-fdgb.htm

Wenn auch die Reisen von Kommunisten und ihrer Sympathisanten in die DDR als "normal" erscheinen, so sind solche erstaunlicher, die von französischen Politikern unternommen werden, wie 1952 von dem Abgeordneten des MRP André Denis oder von fünf Persönlichkeiten aus der Umgebung Daladiers nur einige Tage vor der Ablehnung der Einrichtung der EVG durch die französische Kammer. (20) Diese Reise fällt zusammen mit der in Le Monde veröffentlichten Anti-EVG-Erklärung von vierzehn wichtigen französischen Persönlichkeiten des politischen Lebens sowie mit einem gesteigerten Interesse für die französische Innenpolitik seitens der politischen Führung in Ostdeutschland.

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Anmerkungen

(5) FAM, Europa, 1944/1960, Deutschland, Bd. 681 Dokument Nr. A/13552, Commission permanente zum Vertrag von Brüssel, 15.10.1951.

(6) Ebd.

(7) Le Monde, 9.06.1954.

(8) FAM, Europa 1944/1960, Deutschland, Bd. 682, Geheimes Telegramm von Manceaux-Demiaux, 29.03.1954.

(9) FAM, Europa 1944/1960, Deutschland, Bd. 682, Geheimes Telegramm aus Berlin von Manceaux-Demiaux, 29.03.1954.

(10) FAM, Europa 1944/1960, Deutschland, Bd. 682, Telegramm vom Service Europe (Seydoux) an Diplomatie, 03.04.1954.

(11) Le Monde, 12.02.1973.

(12) FAM, Europa 1944/1960, Deutschland, Bd. 681 – Brief des Französischen Botschafters Armand Bérard, Godesberg, 07.10.1952.

(13) Brief von A. Bérard an R. Schuman, ebd.

(14) Chantal Metzger, "Politique et action de la RDA contre la remilitarisation de la RFA (1950-1955)" publié dans les Actes du colloque international d’histoire "Cinquante ans après la déclaration Schuman. L’histoire de la construction européenne", Nantes, Ouest éditions, 2001, p. 173-191.

(15) FAM, Europa 1944/1960, Deutschland, Bd. 684, Geheimer Bericht des Instituts für Europäische Studien in Straßburg. Zur internationalen Stellung der Deutschen Demokratischen Republik und zu unseren Interessen gegenüber der DDR, Straßburg, 4.11.1955

(16) Ebd.

(17) FAM, 1949, Ostdeutschland, Bd. 568, Telegramm von Courson, Februar 1950.

(18) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (Confédération libre des syndicats allemands).

(19) FAM, Europa, 1944/1960, Ostdeutschland, Bd. 685, Telegramm von André Francois-Poncet, Bonn, 20.06.1950.

(20) FAM, Europa, 1944/1960, Deutschland, Bd. 685. Diese Reise wurde am 27.08.1954 unternommen.