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'Der Weg zur diplomatischen Anerkennung'
 
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Der Weg zur diplomatischen Anerkennung

Seit Januar 1970 kursieren in politischen Kreisen Petitionen, in denen eine diplomatische Anerkennung der DDR gefordert wird. Sie werden anfangs von Mitgliedern der EFA unterzeichnet; ihnen schließen sich aber sehr schnell die Mitglieder der Friedensbewegung an. Zu den Unterzeichnern gehören Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Georges Castellan, aber auch Ernest Labrousse, Pierre Cot und der Schauspieler Michel Piccoli. Sie fordern die Aufnahme von Kulturbeziehungen, insbesondere im Bereich des Universitätsaustausches, die Normalisierung des Sportleraustausches sowie die Einrichtung einer offiziellen französischen Handelsvertretung in Berlin. Die Bewegung für die Unabhängigkeit Europas (Mouvement pour l'Indépendance de l'Europe), der zahlreiche gaullistische Abgeordnete angehören – darunter die ehemaligen Minister Jean Foyer, Pierre Messmer sowie der Schwager von General de Gaulle, Jacques Vendroux -, diese Bewegung spricht sich ebenfalls im Oktober 1970 für die Normalisierung der Beziehungen mit der DDR aus. 

Die ostdeutschen Parlamentarier, die im Juni 1971 auf Einladung der Studiengruppe "Deutsch-Französische Beziehungen" in der französischen Nationalversammlung nach Frankreich kommen, äußern die gleichen Wünsche. Als Antwort an seine deutschen Kollegen schätzt Jean de Broglie in einem am 29. September 1971 im ostdeutschen Fernsehen ausgestrahlten Interview ein, dass "die Gesamtheit der französischen Abgeordneten zutiefst eine fortschreitende Normalisierung der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern" (31) wünscht. Er wird mit einer französischen Parlamentarierdelegation von der Führung der DDR empfangen, und einige Tage nach seiner Rückkehr nach Paris erklärt er, dass die französischen Abgeordneten es eiliger als ihre Regierung hätten, mit ihren ostdeutschen Partnern diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Zahlreiche ostdeutsche Delegationen kommen 1972 nach Frankreich und werden offiziell von Jean Lecanuet, dem Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses im Senat, und sogar vom Präsidenten des Senats, Alain Poher, empfangen.

Unterzeichnung des Grundlagenvertrags am 20. Juni 1972. Durch diesen Vertrag erkennen die beiden deutschen Staaten an, dass sich die Souveränität der beiden Länder auf ihr jeweiliges Staatsgebiet begrenzt; dies beendet den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik. In der Folge erkennen zahlreiche Staaten, darunter Frankreich am 9. Februar 1973, die DDR an. Die beiden Länder (die Bundesrepublik Deutschland und die DDR) werden 1973 in die UNO aufgenommen.

Quelle: www.guerrefroide.34sp.com/minidoc/ostpolitik

Letztlich ist Frankreich nicht das erste westliche Land, das die DDR anerkennt; Großbritannien kommt ihm am 9. Februar 1973 um einige Stunden zuvor. Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vergeht allerdings mehr als ein Jahr, bis Paris und Berlin ihre Beziehungen normalisieren (32). Als offizieller Vorwand gilt die Schwierigkeit, eine dem französischen Botschafter genehme Residenz in Berlin zu finden. Le Monde legt eine andere Erklärung nahe: die Westdeutschen hätten den Willen geäußert, den Botschafteraustausch so lange hinauszuzögern, bis die Mitglieder des NATO-Rates den Grundlagenvertrag ratifiziert haben. Jedenfalls wäre "solch ein Aufschub nicht dazu angetan, die ökonomischen und kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR zu stimulieren." (33)

Nach der Anerkennung der DDR verlieren die Kontakte zwischen Paris und Berlin paradoxerweise an Intensität. Die ab 1971 von Erich Honecker [1]  gegenüber den Dissidenten geführte Politik und das Auf und Ab der Politik der friedlichen Koexistenz verlangsamen die Annäherung zwischen beiden Ländern. Für die meisten Franzosen ist die DDR ein graues Land, das von einem kleinen Mann in dunklem Anzug regiert wird. Alle erinnern sich an jene jungen Ostdeutschen, die im Kugelhagel der Vopos die Mauer überwunden haben oder von ihren westdeutschen Brüdern freigekauft worden sind.

Auf politischer Ebene lastet die Vergangenheit schwer auf den Beziehungen der beiden Staaten. Der Botschafter Frankreichs ist "in Berlin bei der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik" akkreditiert und nicht wie gewöhnlich "in der Deutschen Demokratischen Republik", denn für Frankreich behält Berlin einen Sonderstatus unter Kontrolle der Alliierten. Paris lehnt auch ein Konsular-Abkommen ab, das den ostdeutschen Bürgern eine eigene Staatsbürgerschaft zuerkennen sollte, während Großbritannien ein solches Abkommen billigt. Die DDR versucht 1980, die französische Seite zur Unterzeichnung einer vielseitig auslegbaren Definition der deutschen Staatsbürgerschaft zu überreden. Frankreich verweigert sich, da es sich um eine Definition handelt, die die Regierung in Bonn im Grundlagenvertrag [2]  von 1972 nicht akzeptiert hatte. So will die französische Regierung ein Gleichgewicht zwischen den beiden deutschen Staaten aufrechterhalten.

Erich Honecker tritt 1971 die Nachfolge Ulbrichts an der Spitze der SED an. 1987 reist er in die Bundesrepublik Deutschland und distanziert sich von dem Reformkurs des sowjetischen Staatsoberhauptes Gorbatschow. Nach den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR muss er im Oktober 1989 von seinen Funktionen zurücktreten, da der Druck der Straße immer stärker wird.

Quelle: membres.lycos.fr/lemurdeberlin/honecker.html

Der ostdeutsche Außenminister Oskar Fischer wird 1976 nach Paris zu einem Arbeitsbesuch und nicht zu einem offiziellen Besuch eingeladen; er trifft hier seinen französischen Amtskollegen Jean Sauvagnargues, wird aber nicht vom Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing [3]  empfangen. Am 23. Juli 1979 reist Jean François-Poncet nach Ostberlin. Dieser offizielle Besuch wird durch den drei Monate später stattfindenden Besuch des französischen Staatspräsidenten in Westberlin kompensiert. Jean François-Poncet ist dennoch der erste Außenminister der drei Westmächte, der in das andere Deutschland reist, wodurch dieser Besuch eine wirkliche Wende in der Beziehung zwischen den beiden Ländern einleitet. Er fährt nach Berlin, um die Kulturbeziehungen im Sinne des Korb drei der Charta von Helsinki [4]  über die "Zirkulation von Ideen und Personen in Europa" (34) zu entwickeln, aber auch, um den Besuch des ostdeutschen Wirtschaftschefs Günter Mittag [5]  für September 1979 vorzubereiten.

Sechs Jahre später reist der französische Premierminister Laurent Fabius [6]  in die DDR. Das Ziel seiner Reise ist vor allem ökonomischer Natur, doch die ostdeutsche Führung unterscheidet nicht gleichermaßen zwischen Politik und Wirtschaft. Sie versucht, Frankreich für ihre Konzeption der Souveränität der DDR über Berlin zu gewinnen - und zwar als eine Art Gegenleistung für gute Geschäftsabschlüsse der Franzosen. "Fabius spricht von Geschäften und Honecker von Abrüstung" - so der Titel in Le Matin vom 12. Juni 1985. Der französische Premierminister muss bei diesem Besuch verschiedene "Fallen" umgehen; während des offiziellen Essens setzt man einen hochdekorierten Offizier an die Seite von Edith Cresson und verletzt damit das Viermächteabkommen, demzufolge in den beiden Teilen Berlins keine anderen Truppen als die der Alliierten zugelassen sind. Fabius bringt seine Missbilligung zum Ausdruck und betont am Ende des Essens auch seine Verbundenheit mit den Beschlüssen von Helsinki, insbesondere mit dem Recht jedes Individuums auf freie Wahl seines Wohnortes, und forderte Reisefreiheit ein (35). Dieses Plädoyer für die Menschenrechte wird im Parteiorgan Neues Deutschland abgedruckt.

Von Fabius nach Frankreich eingeladen, reist Erich Honecker erst im Januar 1988 nach Paris. Diese Reise verzögert sich, weil Paris schwerlich einen Politiker empfangen kann, der unter dem Druck Moskaus mehrmals seinen Besuch in Bonn verschoben hat. Die französische Presse durchschaut, dass sich die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau abgekühlt haben. Die Wochenzeitschrift Nouvel Observateur bemerkt am 7. September 1987, dass "Honecker nachsitzen muss. Der frühere Musterschüler des Ostblocks wollte seine Cousins im Westen besuchen, der Zensor hat Nein gesagt ".

In den Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR gibt es jede Menge Klippen, so dass offizielle Besuche lange Zeit auf sich warten lassen. Erst im Jahr 1988 empfängt der französische Staatspräsident François Mitterrand den Präsidenten des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Erich Honecker, auf dem Flughafen Orly.

Quelle: www.france.diplomatie.fr/photos/diplo/paysest/Est42.html

Die Entspannung der Beziehungen zwischen Ost und West macht dann die eine oder andere Reise von Politikern möglich. Der Besuch Honeckers hat rein symbolischen Charakter, denn Frankreich empfängt als erste der drei Westmächte den ostdeutschen Staatschef. Der Besuch bringt allerdings keinen Gewinn für die Beziehungen zwischen Frankreich und der DDR; man erwartet im übrigen auch nichts. Aber der Besuch ist eine logische Folge der Politik der kleinen Schritte, die durch beide Länder unternommen wird: eine Politik, die sich trotz zahlreicher Hindernisse in gewissen ökonomischen und kulturellen Erfolgen konkretisiert.

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Anmerkungen

(31) Le Monde, 01.10.1071.
 
(32) Der Botschafteraustausch findet erst 1974 nach der Ratifizierung des innerdeutschen Vertrages statt. Der erste Botschafter der DDR in Frankreich ist Ernst Scholz, ein Widerstandskämpfer der ersten Stunde gegen den Nationalsozialismus, der aktiv an der französischen Résistance teilgenommen hat.
 
(33) Le Monde, 28.02.1974.
 
(34) Ein ärgerlicher „Zufall“: am Tag des Besuchs des französischen Ministers erfährt man, dass der Kassationseinspruch des berühmten Dissidenten Robert Havemann zurückgewiesen wurde. 
 
(35) Libération, 12.06.1985.