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Schluss

Das, wofür Hansi sein ganzes Leben lang arbeitete und agitierte, das Elsass möge zu einem durch und durch französischen Elsass werden, scheint heute weitgehend Realität geworden zu sein. Auch wenn es im Innern Deutschlands noch viele Menschen - darunter nicht selten begeisterte Elsassbesucher - gibt, die mit Blick auf das Elsass und die Elsässer von deutschen Wurzeln oder von deutscher Stammeseigenart sprechen (65), so dürfte doch feststehen, was der Elsässer Martin Graff in einem teilweise den Leser verstörenden Buch so beschreibt: Nach den Erfahrungen der letzten Besatzung bzw. Annexion des Elsass durch Deutschland im Zweiten Weltkrieg hätten die Elsässer "auf ihre deutschen Wurzeln endgültig verzichtet. Sie waren bisher Alemannen, genauso wie die Badener, Vorarlberger oder Schweizer - alle Erben des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie haben sich ihre alemannische Zunge abschneiden lassen und lassen dies immer noch tagtäglich mit sich geschehen... Das Elsaß ist weltweit das einzige Beispiel einer Völkergemeinschaft, die Sprache und Kultur freiwillig wechselte, um den Deutschen endgültig zu entkommen. Dieses einmalige Phänomen, aus einer germanischen Welt in eine romanische zu wechseln, ohne Waffengewalt, ist die direkte Konsequenz des Zweiten Weltkriegs." (66) Nach Graff hätten die Elsässer der französischen Republik einen "Potlatsch", eine Gabe dargebracht, gewissermaßen ihre alemannische Identität bzw. ihre deutschen Wurzeln geopfert, um rechte und echte Franzosen zu werden. (67) 

Abb. 19: Titelblatt des Buches von Martin Graff: Von Liebe keine Spur - Das Elsass und die Deutschen (München 1996).

Graff nennt zahlreiche Persönlichkeiten aus der elsässischen Geschichte, die seit dem 18. Jahrhundert diesen Übergang angebahnt hätten. Hansi war sicher einer jener Elsässer, der in der Zeit des Kaiserreiches seinen Potlatsch in Gestalt seiner antideutschen Bilder und seiner Verherrlichung der französischen Republik und Freiheit eingebracht hat. (68) Nach dem Ersten Weltkrieg hätten die Regierenden, so Hansi, leider den Fehler gemacht, das "Experiment des Regionalismus" gerade in jener französischen Provinz durchzuführen, in der sie es am allerletzten hätten tun dürfen, wo doch gerade dessen Wortführer die Steigbügelhalter für jene "d'outre-Rhin" seien, "qui rêvent d'une plus grande Allemagne et espèrent encore exploiter le sol fertile de l'Alsace." Dabei hätte man gegenüber diesem Gegner, der jedes Zugeständnis als Schwäche interpretiert, Festigkeit beweisen müssen. (69) Hansi, in der Zeit des Kaiserreichs selbst entschiedener Elsässer (noch im Juni 1914 bezeichnet er sich in einem Brief an einen französischen Freund als "un entêté alsacien"), wird in der Zwischenkriegszeit zum Gegner der Regionalbewegung und zum entschiedenen französischen Nationalisten. Er wird nicht müde, vor dem Feind im Osten zu warnen - zurecht, wie man im Elsass ab 1940 leidvoll erfahren sollte. Zugleich steht Hansi aber auch am Beginn jener von Martin Graff geschilderten Bewegung, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer freiwilligen Selbstpreisgabe der elsässischen Identität ihr Ende fand.

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Anmerkungen

(65) Im Augenblick, da ich diesen Artikel schreibe, zieht bei der Tour de France der französische Meister Thomas Voeckler das Gelbe Trikot des Spitzenreiters über. Voeckler, der aus Schiltigheim stammt, also Elsässer ist, wird von der deutschen Fernseh-Kommentatorin als "deutschstämmig" bezeichnet! Ein anderer Fernsehkommentator meinte ein paar Tage zuvor, es gehe das Gerücht, Voeckler würde wenige Interviews im französischen Fernsehen geben, weil er so schlecht französisch spreche. Ich habe in sprechen hören: Alles Quatsch. Was, so muss man fragen, geht eigentlich in den Köpfen dieser Leute vor und was bewirken sie mit derart dummem Dahergerede? 

(66) Martin Graff: Von Liebe keine Spur. Das Elsaß und die Deutschen, München 1996, S. 14. Verstörend erscheint dies Buch deshalb, weil Graff darin seine Intimfeinde (z.B. dem Zeichner und Schriftsteller Tomi Ungerer, der damaligen Straßburger Oberbürgermeisterin Christine Trautmann und dem deutschen Gastronomen Dieterle, der in Straßburg zahlreiche elsässische Gasthäuser betreibt) mit Kritik und Spott überzieht.

(67) S. hierzu ebd., S. 17ff. - Jene Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, in dessen Verlauf die Elsässer eine neuerliche Vergewaltigung durch die Deutschen erfahren mussten, zugleich aber auch erlebten, wie wenig der französische Staat mit den Elsässern anzufangen verstand (außer dass er die Benutzung der deutschen Sprache verbot), die Elsässer dennoch aber den "Potlatsch" intensivierten, beschreibt eindringlich Frédéric Hoffet: Psychoanalyse de l'Alsace, Colmar 1981; es handelt sich hier um die integrale Erstfassung des Buches aus dem Jahr 1951, das 1973 mit einem neuen Vorwort und einer neuen Einleitung wieder aufgelegt wurde.

(68) Bei Graff wird er nur ganz am Rande erwähnt (ebd., S. 41f.).

(69) S. die Abrechnung Hansis mit dem Regionalismus der Zwischenkriegszeit in: Les clochers dans les vignes, Paris 1929, S. 86ff.; Zitat S. 87 und S. 88.

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