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'Bonnes à tout faire: deutsche Dienstmädchen'
 
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Bonnes à tout faire: deutsche Dienstmädchen

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte eine zunehmende Feminisierung der deutschen Einwanderer in Paris ein. Waren 1880 etwa die Hälfte aller deutschen Einwanderer in der französischen Hauptstadt weiblich, so waren es 1906 über 65%.

Anzahl deutscher Frauen und Männer in Paris 1881-1911

Jahr Frauen Männer Gesamt Anteil Frauen
1881 15 719 15 441 31 160 50%
1886 17 461 12 768 30 229 58%
1891 16 510 10 353 26 863 61%
1896 17 198 10 209 27 407 63%
1901 16 258 9 310 25 568 64%
1906 16 916 8 915 25 831 65%
1911 17 772 11 199 28 971 61%

Angaben aus: Résultats statistiques du recensement général de la population von 1881 bis 1911.

Diese Entwicklung hatte zwei Gründe: Zum einen waren deutsche Männer in Paris nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 unterrepräsentiert. Aufgrund der schlechten Beziehungen zwischen beiden Staaten und dem schwelenden Deutschenhass zogen es viele deutsche Männer vor, Arbeit und Glück in anderen Großstädten zu suchen. Zum anderen machten sich die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt für Dienstboten bemerkbar. Da für den Beruf des Dienstmädchen weder Vorbildung noch Erspartes erforderlich war, wanderten immer mehr junge Frauen aus ländlichen Gegenden in die Großstädte ab. Dort konnten sie sofort mit der Arbeit beginnen, da sie von ihrem Arbeitgeber neben dem üblichen Lohn auch Kost und Logis bekamen.

Deutsche Dienstboten waren in Paris sehr gefragt, da sie als fleißig, ordentlich und zuverlässig galten. Man lobte ihre Tüchtigkeit und Arbeitsfähigkeit. Die deutschen Dienstmädchen galten im Vergleich zu ihren französischen Kolleginnen als weniger zimperlich, und sie waren auch mit niedrigeren Löhnen zufrieden. In französischen Familien gehörte es zum guten Ton, ein ausländisches Dienstmädchen zu haben, das den Kindern ihre Sprache beibringen sollte. Gerade die deutsche Sprache galt als Träger kultureller Werte, und so wurden die deutschen Dienstmädchen den anderen oftmals vorgezogen: 1901 stellten die deutschen Dienstmädchen 43% der ausländischen Dienstmädchen in Paris und damit weitaus mehr als alle anderen Nationen. Der Arbeitsmarkt für Dienstpersonal, so heißt es, war fest in deutscher Hand (Endnote 17).

Herkunft ausländischer Dienstboten in Paris 1901

                                                                 
LandFrauenMännerGesamt
Deutschland7 6002227 822
Italien 947 3011 248 
Belgien 2 239 6902 929
Schweiz 2 786 8613 647
Luxemburg 609 1631 772
England 1 223 3401 563
Spanien 280 87 367
Österreich363 43 406
Andere Länder629 171 800
Gesamt 17 676 2 878 20 554

Angaben aus: Résultats statistiques du recensement général de la population, effectué le 24 mars 1901, Bd. 1, Paris 1904, S. 328f. 

Für ihren Aufenthalt in Paris planten die jungen Frauen etwa drei bis vier Jahre ein. Sie versuchten ihr Glück entweder als qualifizierte Erzieherinnen, Gouvernanten und Köchinnen oder als einfachere Kindermädchen und "Mädchen für alles". Paris war attraktiv, weil dort die Löhne fast doppelt so hoch waren wie in Berlin. Auch wollten die jungen Frauen Französisch lernen, was für die Erzieherinnen in Deutschland unerlässlich, für alle anderen Dienstboten ein Pluspunkt auf dem Arbeitsmarkt war. Und schließlich wollten die Frauen mit ihrem Aufenthalt in Paris der heimatlichen Enge entgehen. Sie kamen auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer, wollten tanzen gehen, sich amüsieren und vielleicht auch ihren zukünftigen Ehemann finden. Der Aufenthalt in Paris war demnach Befreiung und gleichzeitig Mittel für einen sozialen Aufstieg. Oftmals kam es jedoch anders.

Problemlos verlief der Aufenthalt für diejenigen, die sich bereits von zu Hause aus um eine Stelle gekümmert hatten. Sie traten dann die Nachfolge für die ältere Schwester oder Freundin an, wussten, in welche Familie sie kamen und kannten das Leben als Dienstmädchen zumindest aus Erzählungen und Briefen.

Viele junge Frauen machten sich jedoch allein im Glauben auf den Weg, in einer großen Stadt wie Paris werde sich schon Arbeit finden lassen. Die Ausgangslage war für sie eher ungünstig: Es waren zumeist sehr junge, alleinstehende und Großstadt unerfahrene Mädchen ohne Geld und Sprachkenntnisse, die nach Paris kamen.

Auf den Bahnhöfen warteten bereits skrupellose Werber "wie die Jäger auf das Wild" (Endnote 18). Sie boten den Mädchen gegen eine überhöhte Vermittlungsgebühr Arbeitsstellen an, die oftmals gar nicht existierten. Andere Werber versprachen ihnen billige Herbergen, verleiteten sie zum Schuldenmachen, so dass ihnen - einmal um ihr wenig Erspartes gebracht - nur noch die "Strasse in Jammer, Schande und Not" (Endnote 19) blieb.

Die Arbeitssuche nahm aufgrund der häufigen Stellenwechsel einen wichtigen Platz im Leben der Dienstmädchen ein. Es galt, eine unbestimmte Zeit mit möglichst wenig Geld über die Runden zu kommen. Vielfach wird davon berichtet, dass die Mädchen Wochen damit verbrachten, eine geeignete Stelle zu finden. Dazu schrieben sie sich in eine der zahlreichen Agenturen, den "bureaux de placement" ein. Diese Büros hatten einen schlechten Ruf und galten als Schmarotzer. Neben einer Einschreibegebühr wurde bei erfolgreicher Vermittlung eine weitere Zahlung fällig, und zwar bis zu 5% des Jahresgehalts. Problematisch wurde es, wenn die junge Frau mit der Arbeit nicht zurecht kam und sich schon nach kurzer Zeit wieder auf der Straße fand. Dann ging die kostspielige Arbeitssuche aufs Neue los. Jeder Tag kostete Geld, die Pension musste bezahlt, Essen gekauft werden. Das Ersparte ging schließlich zur Neige und reichte dann selbst für die Heimreise nicht mehr.

Hatten die Mädchen endlich eine akzeptable Stelle gefunden, begann der harte Arbeitsalltag. Von morgens ab 6.00 Uhr ging der Dienst bis 22.00 Uhr, und auch nachts wurden die Dienstmädchen herausgeklingelt. Die größte Belastung hatten die "Mädchen für alles", die "bonnes à tout faire", die sich neben dem Haushalt und dem Einkauf auch noch um die Kinder kümmern mussten.

Wie in Deutschland so hatten auch in Frankreich die Dienstboten keine geregelte Freizeit. Ausgang gab es in der Regel nur vierzehntägig am Sonntag Nachmittag. Da sie auch in die Familie nicht integriert waren, fühlten sich die jungen Frauen oft einsam und isoliert. Anders als in Berlin wohnte das Dienstpersonal nicht in der gleichen Wohnung, sondern zusammen mit allen Dienstboten eines Hauses ganz oben unter dem Dach in den sogenannten "chambres de bonnes". Ein separater Treppenaufgang für die Dienstboten führte in die 6. Etage. Die Zimmer waren spärlich möbliert, eng, unbeheizt und schlecht gelüftet. Elektrizität oder fließendes Wasser gab es nicht.

Vor einem großen Problem standen die Dienstmädchen, wenn sie krank oder schwanger wurden. In ihrem Zimmer im 6. Stock lagen die jungen Frauen isoliert und wurden nicht gepflegt. Eine gesetzliche Regelung oder gar Kündigungsschutz gab es nicht. Im Normalfall wurden 8 Tage Krankheit akzeptiert, Schwangerschaft galt als Kündigungsgrund. Einmal auf der Straße, begann für die jungen Frauen die zeit- und kostenintensive Arbeitssuche erneut. Einige Mädchen verpfändeten Schmuck und andere Wertsachen, weil sie nicht vorzeitig in die Heimat zurückkehren wollten. Andere "machten den Boulevard" und verdingten sich zeitweise als Prostituierte. Etwa 4.000 deutsche Prostituierte wird es um 1900 in Paris gegeben haben.

Um die Mädchen bei ihrer Arbeitssuche zu unterstützen, richtete die katholische Kirche zwei Herbergen, die protestantische Kirche ein "Doppelwohnheim für Erzieherinnen und Dienstmädchen" ein. Das Heim war zum einen Beratungs- und Vermittlungsstelle und wollte zum anderen Unterkunft und Schutz gegen die Versuchungen der Weltstadt bieten.

Mädchenherberge Jahresbericht Doppelheim, Foto des Eckhauses

aus: Hauptarchiv der v. Bodelschwinghschen Antalten Bethel, 2/90 - 34.

Im Jahr 1903 verfügte das protestantische Dienstmädchenheim über 25 Betten in acht Zimmern. Aufgenommen wurden "alle unbescholtenen deutschen Bonnen und Dienstmädchen jeder Confession, die sich durch gestempelte Papiere ausweisen können" (Endnote 20). Wöchentlich 11 Francs kosteten Übernachtung und Vollpension, wenn die Mädchen im Heim mithalfen, 16 Francs für diejenigen, die von den Arbeiten des Hauses befreit bleiben wollten. Ganz billig war die Unterkunft damit nicht, sie entsprach etwa einem durchschnittlichen Monatslohn eines Dienstmädchens. Nur absolute Notfälle wurden kostenlos untergebracht oder für die Heimreise der Mädchen gesorgt, Kranke wurden nicht aufgenommen. Es bleibt die Frage, ob die Hilfe dort ankam, wo sie am dringendsten benötigt wurde.

Ausschnitte aus der Hausordnung der Mädchenherberge (siehe Endnote 21)

aus: Sarepta-Archiv, v. Bodelschwinghsche Anstalten Bethel, Sar 1 / 257.

Durchschnittlich beherbergte das Mädchenheim über das Jahr etwa 500 Mädchen. Die meisten der Mädchen (390) waren bereits in Frankreich tätig, bevor sie im Heim um Unterkunft baten. Nur 90 Mädchen kamen direkt aus Deutschland zugereist (Endnote 22). Das war für das Selbstverständnis des Heims insofern wichtig, als man durch seine Errichtung nicht noch mehr Dienstmädchen nach Paris locken wollte. Es zeigt auch, dass die meisten Frauen erst in Schwierigkeiten kamen, nachdem sie ihre Stelle verloren hatten.

Angeschlossen an das Wohnheim war ein Vermittlungsbüro für Dienstmädchen. Einschreibegebühren gab es nicht, jedoch musste bei erfolgreicher Vermittlung eine relativ niedrige Gebühr entrichtet werden.

Im Sommer 1914 ging mit Beginn des Ersten Weltkriegs die große Zeit der deutschen Arbeitsmigration nach Paris zu Ende. Alle Deutschen wurden erneut aus Paris ausgewiesen und hatten 48 Stunden Zeit, die Stadt zu verlassen. Einige Deutsche wurden in französische Arbeitslager interniert (Endnote 23). Die deutsche Schule und das Mädchenwohnheim wurden geschlossen, letzteres auch nach dem Krieg nicht wieder eröffnet. Waren vor Ausbruch des Krieges über 30.000 deutsche Einwanderer in Paris, so wurden in der Volkszählung von 1921 nur noch 1.800 Deutsche gezählt. Bedeutung bekam Paris wieder in den 1930er Jahren als Zufluchtsort für deutsche Juden, die vor dem Nationalsozialismus fliehen mussten (Endnote 24).

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