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'Persistenz und Verselbständigung des Leitprinzips Zentralismus'
 
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Persistenz und Verselbständigung des Leitprinzips Zentralismus

Die Kraft des Zentralismus beruht auf seiner uralten Tradition und auf dem Machtwillen der zentralen Führungselite, die in einem weniger zentralisierten System keine vergleichbare Machtfülle erreichen könnte (vgl. Tocqueville [1] 1856), vielleicht aber beruht sie mehr noch auf der Verwurzelung des Leitprinzips im Raum. Durch stetige Wechselwirkung zwischen beiden verstärken sich sowohl die räumliche Bindung zentralistischer Strukturen als auch der Mechanismus des Leitprinzips: Augenfälligstes Beispiel sind die beherrschenden radialen Verkehrsadern, die mit jeder Erweiterung bzw. Modernisierung, bis hin zum TGV [2] , weiter konsolidiert werden und umgekehrt die Einflussmöglichkeiten der Zentrale auf das Territorium intensivieren: Je einfacher es wird, seine Wohnung in der Provinz zu behalten und nur, wenn nötig, in wenigen Stunden ein Geschäft in der Hauptstadt abzuwickeln, um so mehr wird der Einfluss der Zentralmacht gefestigt.

Abbildung 12:

Das TGV-Netz Frankreichs: Stand und Planung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Pletsch, 2003, S. 258

Hier liegt die ganze Zwiespältigkeit der durch höhere Geschwindigkeit erzielten Verkürzung von Zeit und Distanz zwischen Hauptstadt und "Provinz": Wird, wenn man dort wohnt und in Paris arbeitet oder nur Angelegenheiten erledigt, der Einfluss der Hauptstadt verringert oder, ganz im Gegenteil, die Pariser Zentralisierung verstärkt? Auf solche Weise bewirkte der Zentralismus im Laufe der Geschichte eine hochgradige Persistenz von Strukturen, Systemen und Einrichtungen, z.B. von Rechts- und Sozialordnungen, Grenzen, Kulturen, Verkehrsnetzen oder der Sprache. Alle Bereiche, von denen aus das Leitprinzip attackiert werden könnte - Verwaltung, Wirtschaft, Infrastruktur, Technik und Technologie, Regierung und Politik - bilden ja immer nur "äußere" Teilbereiche der Zentralmacht. Diese sind dem tragenden Leitprinzip selbst nie ebenbürtig, sie werden vielmehr von ihm durchdrungen, ihm untergeordnet und, da sie letztlich systemimmanent sind, gelähmt. Damit hat sich das Leitprinzip verselbstständigt, ist gar zum Selbstzweck geworden.

Abbildung 13:

Das französische Autobahnnetz 2003

 

 

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [3]

Die Persistenz des Leitprinzips Zentralismus liegt nicht zuletzt darin begründet, dass dieses einen anhaltenden Prozess steuert, die Zentralisierung. Ein Prozess als etwas Aktives, Lebendiges ist widerstandsfähiger als etwas Abgeschlossenes, Erstarrtes. So wird der Zentralismus als Prozess nicht nur fast unangreifbar für eine Totalveränderung; im Gegenteil, er selbst beeinflusst und steuert die Veränderungen in Gesellschaft und Raum. Nicht Innovationen, technologischer Wandel oder Verkürzung zeitlicher Distanzen modifizieren das Leitprinzip, sondern umgekehrt: Beispielsweise hat die Modernisierung des Verkehrs immer primär der schnelleren Anbindung an die Zentrale gedient; die Direktverbindungen zwischen den Provinzstädten stehen nicht einmal zur Debatte, ausgenommen die Autobahnen [4] , aber auch nur an letzter Stelle. Die Hauptradialen des Autobahnnetzes werden binnen kurzem fertig gestellt sein, doch wird heute, 2003, an einigen der 1987 geplanten Strecken, die Paris in weitem Bogen umgehen, immer noch gebaut - wenn sie nicht schon in Vergessenheit geraten sind, wie z.B. Alençon - Rouen....