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'Hauptstadt und Städtesytem - die armature urbaine'
 
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Hauptstadt und Städtesytem - die armature urbaine

Resultat und zugleich Motor der Zentralisierung ist die überdimensionierte Hauptstadt. Den Ausschlag zu ihrer Fixierung gab nicht determinierte Lagegunst, sondern die Standortentscheidung des aufstrebenden Herrscherhauses der Kapetinger [1] . Fast von Anfang an erfolgten territoriale Expansion und Aufbau des Einheitsstaates aus der unverrückbaren Metropole. Das Hexagon wurde von der Hauptstadt Paris aus geschaffen, nicht umgekehrt; damit zugleich entstand deren unwiderrufliche Vormachtstellung. Da dieser Ort nicht die ideale geometrische Mitte einnimmt, die etwa 200 km südlich von Paris bei Bourges liegt, müssen die Nachteile - größere Entfernungen und Zeitaufwand, administrative Reibungsverluste - durch erhöhte organisatorische Anstrengungen kompensiert werden. Zweifellos hat gerade dieser Zwang die Zentralisierung noch verstärkt.

Diese außergewöhnliche Konzentration der Macht in der Metropole bedingt dort eine entsprechende Ausstattung mit Verwaltungsinstitutionen, kulturellen und repräsentativen Einrichtungen. Darüber hinaus entwickeln Glanz und Renommee, verbunden mit einem systematisch gepflegten Mythos der Metropole, ihre Eigendynamik: Die Hauptstadt Frankreichs, nach London zweite Agglomeration Westeuropas, wurde zum internationalen Schwerpunkt von Politik, Kultur, Handel, Finanzen, Transport, zu einer der tonangebenden Weltstädte. Hier nur einige stichwortartige Indikatoren der Hyperdimension der Region Ile-de-France [2] (vgl. Bastié 1980, Robert 1994): mit Abstand größte Industrieballung, über 70% der Dienstleistungsbeschäftigten, 75% der Journalisten, fast 60% der Forscher, rund die Hälfte aller Körperschaftssteuern und Bankkredite, über 80% der Hauptverwaltungen der 100 umsatzstärksten Unternehmen. Birnbaum et al. (1978, S. 150) registrierten dort die Wohnsitze von etwa zwei Dritteln aller Entscheidungsträger Frankreichs! Mit dem außerordentlichen Gewicht ihrer Funktionen hat sich die Metropole einen weiten Einflussbereich geschaffen, der inzwischen schon über das Pariser Becken hinausgreift. Wenn man demnächst mit dem TGV selbst von Nizza aus ein Geschäft in Paris inklusive Bahnfahrten an einem Tag erledigen kann, dann ist die flächendeckende Beherrschung des ganzen Landes durch die Hauptstadt erreicht, abgesehen von entlegenen Lücken in den Südalpen, im Zentralmassiv oder am Pyrenäenrand, die auf nationalem Niveau ohnehin unbedeutend sind.

Abbildung 8:

Die Ile-de-France ist sowohl im historischen als auch im demografischen Sinne die wichtigste Region Frankreichs: Auf 2,2% des nationalen Gebiets leben fast 20% der gesamten Bevölkerung. Diese Konzentration der Bevölkerung ist durch die Anziehungskraft der Hauptstadt erklärbar. Seit Jahrhunderten ist Paris absolutes politisches und wirtschaftliches Zentrum Frankreichs. Hier werden alle wichtigen Entscheidungen getroffen. Auch alle Verkehrsverbindungen führen traditionell über Paris. Erst in den letzten Jahren kommt es allmählich zu einem Umdenken, ohne jedoch bisher tiefgreifende Veränderungen bewirkt zu haben. 

Internet-Quelle [3] (11.02.2003)

In keinem vergleichbaren europäischen Staat tritt ein ähnlich abruptes Gefälle von der Metropole zu den folgenden Städten auf. Die Einwohnerzahl von rund 10 Millionen der agglomération de Paris entspricht der der 17 nächstgrößten Ballungsräume zusammen bzw. dem Doppelten der fünf nächstgrößten! Durch ihr Übergewicht hat sie diese buchstäblich von sich weggedrückt: Regionalmetropolen wie Lyon liegen ausnahmslos peripher, näher zur Hauptstadt nur zweitrangige Zentren wie Dijon und drittrangige wie Amiens, d.h. je näher an Paris die Stadt liegt, desto niedriger ist ihr Platz in der Hierarchie. Von Hautreux/ Rochefort (1965) wurde dieses zentral-periphere Verteilungsmuster in das Schema einer armature urbaine gefasst. Es lässt sich jedoch nicht vergleichen mit dem hierarchischen System der zentralen Orte in Deutschland, weil in der französischen Hauptstadt eine einzigartige Kumulation von lokalen, regionalen und nationalen Funktionen zugleich ausgeübt wird, die Provinzstädte nicht über ausreichende Autonomie verfügen und beide Gründe eine hierarchische Rangordnung der zentralörtlichen Funktionen verhindern.

Abbildung 9:

Das französische Städtesystem 2003

 

 

 

 

 

 

Quelle: Hautreux & Rochefort 1995, Brücher 1992, Pletsch 2003, p. 161

Die 25 größten Städteagglomerationen Frankreichs 1975 bis 1999
(Rangfolge 1999)


    Bevölkerung 1999 Bevölkerung 1990 Bevölkerung 1975
Rang Stadt Agglom. Zentrum Agglom. Zentrum Agglom. Zentrum
1 Paris 9644,5 2147,9 9318,8 2152,4 8878,9 2317,2
2 Marseille-Aix-en-Prov. 1349,8 807,1 1230,9 807,7 1222,1 914,4
3 Lyon 1348,8 453,2 1262,2 422,4 1220,7 462,8
4 Lille 1100,9 191,2 959,2 178,3 944,1 194,9
5 Nice-Grasse-Cannes 888,8 345,9 516,7 345,7 461,2 346,6
6 Toulouse 761,1 398,4 650,3 365,9 551,0 383,2
7 Bordeaux 753,9 218,9 696,4 213,3 628,0 226,3
8 Nantes 544,9 277,7 496,1 252,0 456,1 263,7
9 Toulon 519,6 166,4 437,6 170,2 378,4 185,1
10 Douai-Lens 518,7 36,2 527,5 35,0 534,5 38,2
11 Strasbourg 427,2 267,1 388,5 255,9 365,3 257,3
12 Grenoble 419,3 156,2 404,7 154,0 391,9 169,7
13 Rouen 389,9 108,8 380,2 105,5 388,7 118,3
14 Valenciennes 357,4 41,3 338,4 39,3 365,5 43,2
15 Nancy 331,4 105,8 329,4 102,4 324,1 111,5
16 Metz 322,5 127,5 315,2 119,6 315,7 114,2
17 Tours 297,6 137,1 282,2 133,4 258,0 145,4
18 Saint-Étienne 292,0 183,5 313,3 201,6 334,8 221,8
19 Montpellier 288,0 229,1 248,3 210,9 214,5 195,6
20 Rennes 272,3 212,5 245,1 203,5 229,3 205,7
21 Orléans 263,3 116,6 243,2 108,0 209,2 110,0
22 Béthune 259,2 28,5 261,5 25,3 265,0 28,2
23 Clermont-Ferrand 258,5 141,0 254,4 140,2 253,2 161,2
24 Avignon 253,6 89,9 239,5 86,9 228,7 89,1
25 Le Havre 248,6 193,3 253,6 197,2 264,4 219,6

Quelle: Pletsch 2003, p. 159