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'Grand Paris und Groß Berlin'
 
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Grand Paris und Groß Berlin

Wenn der Einfluß des Berliner Beispiels auf die Konzeption und die Verwaltung des Großraums Paris konkret schwer nachzuweisen ist, so hat Berlin dennoch in gewisser Weise die Überlegungen geprägt, die zu dem von Henri Prost entworfenen Plan für die Pariser Region führen und mit dem 1934 eine an Entwürfen und Konflikten reiche Periode ihren Abschluss findet. Die Analysen der Volksvertreter und der Forscher konzentrieren sich auf das Verhältnis Zentrum/Peripherie und auf die Regierbarkeit der Hauptstadt. 1930 analysiert Sellier, einer der Förderer des Prostplans und aufmerksamer Beobachter der deutschen Entwicklungen, die Erfahrungen mit Groß Berlin. Er sieht in ihnen beispielhaft die "einheitlichen Lösungen" verkörpert, die die "vollblütigen städtischen Organismen" brauchen, zu denen die europäischen Hauptstädte geworden sind. Es bedarf "einer Organisation, die die Beziehungen zwischen der Stadt an sich und den Vorstädten festlegt, denn die Vorstädte sind Wohnviertel und Industriestandorte und somit immer enger mit der Stadt vernetzt." (47) Er erinnert an die Geschichte des 1911 gegründeten Zweckverbands und kommentiert das Gesetz zur Schaffung der erweiterten Gemeindeverwaltung Groß Berlin vom 27. April 1920. Da er in seinen eigenen Überlegungen zu Paris auf eine gerechte Verteilung der Rechte und Pflichten Wert legt, unterstreicht er die Rolle von Streitigkeiten über Abgabensysteme, über die "gleichmäßige Verteilung von Steuergeldern" zwischen den Arrondissements und vor allem über "den wahrhaften Kampf um die Frage des Verhältnisses zwischen der Zentralverwaltung und den Bezirken." Insgesamt scheint er eine zu starke Zentralisierung zu befürchten: Die gegenwärtig in Groß Berlin angewandte Lösung hat sicherlich ihre Vorteile und man darf nicht vergessen, daß die Möglichkeit der Mitbestimmung durch die Bevölkerung sowie das früher in Deutschland so fruchtbare Recht auf Selbstverwaltung der Gemeinden weiter besteht, diese Lösung ist aber nur zufriedenstellend, wenn nicht, wie leider zu befürchten ist, eine zu starke Zentralisierung der Verwaltung erfolgt. Von der Warte des Städtebaus aus betrachtet ist es unwahrscheinlich, daß man heute noch einmal einen so riesenhaften Organismus wie Groß Berlin ins Leben rufen würde. (48)

Abbildung 18:

Le "Plan Prost".

En 1934, le plan d'aménagement de la région parisienne par l'architecte et urbaniste Henri Prost, prévoit de développer l'axe historique avec une voie triomphale partant du rond-point de la Défense et arrivant à la Croix de Noailles dans la forêt de Saint-Germain-en-Laye.

Internet-Quelle [1]

Maurice Halbwachs [2] , ein Berlinkenner seit langem, beschäftigt sich mit denselben Problemstellungen. Er war 1909 als Stipendiat aus Deutschland ausgewiesen worden, weil er in seinen Artikeln die polizeilichen Zwangsmaßnahmen erwähnte, die ihn daran hinderten, Berlin "mit denselben Methoden wie in Paris" zu untersuchen, wo er über den Immobilienmarkt und die Bedürfnisse der Allgemeinheit geforscht hatte. Er hatte wegen seiner mangelnden Vertrautheit mit den Stadtteilen und den Statistiken der Stadt auf sein Vorhaben verzichtet, sich aber während seines Aufenthalts mit Berliner Intellektuellen und Künstlern wie Max Liebermann [3]  angefreundet. Halbwachs veröffentlicht fünfundzwanzig Jahre später einen hervorragenden Text, in dem er eine Bemerkung Liebermanns aufgreift: "Was (Berlin) am meisten fehlt, sind historische Ereignisse. Die Stadt trägt nur eine sehr kurze Geschichte mit sich herum." (49)

Er kommt auf die Geschichte der Stadtteile und auf die Schwierigkeit zurück, sie abzugrenzen und ihr "wahres Zentrum" zu bestimmen, weil es "realistisch gesehen, mehrere gibt." Er erinnert an die Interaktion zwischen "der Bevölkerungsansiedlung" und den "neuen Transportmitteln". Halbwachs, unterstreicht vor allem, dass Berlin seine "ursprüngliche Physiognomie" nicht erhalten konnte. Der Theoretiker des kollektiven Gedächtnisses stellt im übrigen fest, dass "die Erinnerung an sie im Denken der heutigen Bevölkerung nicht verankert ist", obwohl er in diesem Ballungsraum, der an seinem "Wachstum arbeitet", "schöne städtische Landschaften" entdeckt. Er "erinnert an eine großzügige Werkstatt, an eine Baustelle unter freiem Himmel, auf der Maschinen quietschen und noch nichts endgültig fertiggestellt ist."

Halbwachs zeichnet auf, dass eine Spaltung besteht zwischen den "gegenwärtigen Unterteilungen der Verwaltung einerseits und den Gewohnheiten in Sachen Verkehr und Raumaufteilung, den Vorstellungen bezüglich der früher vorhandenen Orte und Stadtteile andererseits." Kurz gesagt stellt er sich die Frage, ob angesichts der Zuwanderung eine "gemeinschaftliche Gesinnung" bzw. ein "kollektives Denken" vorhanden ist, das "ausländischen Elementen widerstehen kann und auch in der Lage ist, sie zu assimilieren." Insgesamt ist Halbwachs der Meinung, dass sich die Bevölkerung "unwohl" fühlt "in dieser weiten, zum Teil leeren Fläche der Verwaltung Groß Berlins. Dieser Rahmen ist der Bevölkerung von außen aufgezwungen worden und geht nicht aus ihrer eigenen Entwicklung hervor." Berlin fehlt "das Zusammengehörigkeitsgefühl und die organische Einheit, die die Anziehungskraft einer modernen Großstadt ausmachen. Ohne diese Beigaben kann man sie nicht einmal als städtisches Gemeinwesen im eigentlichen Wortsinn bezeichnen." (50)

Eine rationale Form der Verwaltung der Hauptstadt zu gewährleisten ist in Berlin ebenso wie in Paris eine Frage der Institutionen und des Kräfteverhältnisses zwischen Klassen und Parteien. Dieser Umstand spiegelt sich natürlich in den Lösungsansätzen [4]  des Plans von Prost wieder. In dem Umkreis von 35 Kilometern, die ihm als Grundlage dienen, wird die Autonomie der Gemeinden geschont und vor allem ihre industrielle Erweiterung geregelt. Es handelt sich wohl kaum um neuartige Strukturen, sondern um bruchstückhafte Einrichtungen, die der Staat weiterhin streng kontrolliert.

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Anmerkungen

(47) Henri Sellier, "L'organisation du grand Berlin", La Vie urbaine, 15. Januar 1930, S. 15 27. Sellier schreibt in den Rubriken der Zeitschrift regelmäßig über die jüngsten Ereignisse in Deutschland. Siehe zu seinem Gesamtwerk Katherine Burlen (Hrsg.), La banlieue oasis: Henri Sellier et les cités jardins 1900 1940, Saint Denis, Presses Universitaires de Vincennes, 1987.

(48) Ebd, S. 27.

(49) Maurice Halbwachs, "'Gross Berlin' : grande agglomération ou grande ville?", loc. cit., Version Paquot, S. 469.

(50) Ebd., S. 483.