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'Hindernisse des Zusammenwachsens und Instrumente ihrer Überwindung '
 
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Hindernisse des Zusammenwachsens und Instrumente ihrer Überwindung

Die zitierten Beispiele belegen eine Reihe von bestehenden, aber mehr noch von nicht bestehenden grenzübergreifenden Verflechtungsbereichen im Saar-Lor-Lux - Raum. Dabei erhebt sich die Frage nach den Gründen. Hierzu einige Erklärungsversuche, ohne jeglichen Anspruch auf deren Vollständigkeit:

1. Grund:
Die einzelnen Teilgebiete sind sich in allzu vielem allzu ähnlich, um sich sinnvoll zu ergänzen. Und ähnlich sind sie sich meist - leider - im Negativen. Dazu einige Stichworte zur Erinnerung: Krise in Bergbau und Stahlindustrie, schwach ausgebildete industrielle Weiterverarbeitung, unzureichende Verkehrserschließung, periphere Lage etc.

Abbildung 21:

"Arbeiter ohne Grenzen"

 

 

 

 

 

 


Quelle: Pétry, 1995

2. Grund: 
Zugleich besteht seit langem ein wirtschaftliches Gefälle zwischen Luxemburg und dem Saarland auf der einen und dem strukturschwächeren Lothringen auf der anderen Seite. Gerade dieses Gefälle führt zu scheinbaren grenzübergreifenden "Beziehungen". Sie werden zwar immer wieder gelobt, so z.B. vom luxemburgischen Ministerpräsident Jean-Claude Juncker [1] , der die Bedeutung von Saar-Lor-Lux ausgerechnet damit unterstreichen will, dass hier jeder fünfte Grenzgänger der EU lebt (Saarbrücker Zeitung 12.11.2001). Im Grunde aber sind solche "Beziehungen" nur negativer Ausdruck dieses Gefälles (Abb. 21 und 22): Zehntausende von Grenzpendlern fahren, fast wie auf einer Einbahnstraße, von Lothringen nach Luxemburg und Deutschland zur Arbeit, natürlich wegen deutlich höherer Löhne. Umgekehrt siedelten sich - wie schon gezeigt - aus ähnlichen ökonomischen Gründen vor allem deutsche Unternehmen auf der anderen Seite an. Auch haben sich unmittelbar jenseits der Grenze auffällig viele Deutsche wegen der dort billigeren Häuser und Grundstücke sowie der günstigeren Steuern niedergelassen (Abb. 23). Geradezu symbolhaft stehen wenige Meter von der Zollstation Goldene Bremm [frz. Brême d'Or] zwischen Saarbrücken und Forbach in friedlicher Eintracht die Telefonhäuschen der deutschen Telekom und der französischen Télécom (Abb. 24). Dahinter wird zweisprachig für einen Supermarkt geworben.

Abbildung 22:

Grenzgänger/Travailleurs frontaliers

 

 

 

 


Quelle : Saar-Lor-Lux-Rheinland-Pfalz-Wallonie, Statistische Kurzinformationen/Statistiques en bref, herausgegeben von den Statistischen Ämtern der Großregion 2001 / édité par les offices statistiques de la Grande Région 2001

Abbildung 23:

Anteil der Hauskäufe durch Deutsche in Moselle-Est 1988 - 1994

 

 

 

 

 

 


Quelle: Ramm 1999, vol. 2, carte no. 30

Abbildung 24:

Telefonhäuschen der Deutschen Telekom und der France Télécom am deutsch-französischen Grenzübergang Goldene Bremm / La Brême d'Or

 

 


Aufnahme: Brücher, 2001

Leider täuscht die Idylle. In manchen französischen Gemeinden werden die zugezogenen Saarländer zunehmend einflussreicher, sind zahlungskräftiger als die ansässigen Lothringer, lernen in vielen Fällen kein oder schlecht Französisch, arbeiten und versorgen sich im Saarland, schicken dort ihre Kinder zur Schule, wollen gleichwohl aktiv an der Kommunalpolitik in Frankreich mitwirken - das alles kaum zur Begeisterung der alteingesessenen Bevölkerung. Nur das Schreckgespenst eines deutschen Bürgermeisters wird durch die französische Verfassung ferngehalten. Andererseits bevorzugen die "Neubürger" natürlich die Restaurants auf der französischen Seite, denn schon aus Goethes Faust wissen wir: "... doch ihre Weine trinkt er gern"... Letztlich handelt es sich hier um nichts anderes als eine Ausweitung des saarländischen Ballungsraums über die abgebaute Grenze hinweg, was aber nicht unbedingt zum Zusammenwachsen der Region und ihrer Menschen beiträgt.

Abbildung 25:

Aufruf zum gemeinsamen deutsch-französischen Protest gegen Müllverbrennungsanlagen

Vergessen wir auch nicht den noch vor wenigen Jahren in die Schlagzeilen geratenen "Mülltourismus": Wohlstandsabfall aus deutschen Ballungsräumen wurde in großen Mengen über die Grenze gekarrt und gegen gute Bezahlung von mancher armen Gemeinde im dünnbesiedelten Lothringen auf Deponien erschreckenden Ausmaßes gelagert, bis Frankreich die Grenzen für solche "Wirtschaftsbeziehungen" dicht machte. Solche Ausdrucksformen des "Gefälles" führen ebenfalls zu Spannungen - aber auch zu neuen Kontaktmöglichkeiten besonderer Art, denn die betroffenen französischen und deutschen Anrainer organisierten nun gemeinsame Proteste.

Aufnahme: Brücher, 1989  

3. Grund:
Manche Sanierungsansätze sind auf allen Seiten getrennt in Angriff genommen worden - u.a. im Kohlenbergbau, in der Stahlindustrie, in der Energiewirtschaft - wo doch eine Koordinierung bzw. Einsparung von kostenträchtigen Aktivitäten für alle Beteiligten zweifellos rationeller und erfolgreicher gewesen wäre.

4. Grund:
Grundsätzlich und objektiv kann man heute auf allen Seiten den guten Willen zur Zusammenarbeit feststellen. Sie kann jedoch nur äußerst langsam voranschreiten, solange ebenfalls auf allen Seiten die Souveränität eifersüchtig gehütet wird: solange nämlich erhebliche Unterschiede bestehen zwischen Staats- und Regierungsformen, Verwaltungsstrukturen, Gesetzen und Verordnungen, ja der gesamten Rechtskultur, in Polizei, Gesundheitswesen, Versicherung, Schulwesen, Energieversorgung und vielem mehr. So kann es nicht verwundern, dass unnötige, unverständliche Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit auftreten: Die Meisterprüfungen in Luxemburg und Frankreich gelten in Deutschland nicht, die TÜV-Prüfungen werden zwischen Frankreich und Deutschland nicht anerkannt. Der Deutsche, der selbst unmittelbar hinter der Grenze einen Autounfall erleidet, darf sich nur einen französischen Rechtsanwalt nehmen. Selbst bei lebensgefährlichen Verletzungen durfte der im grenznahen Saarbrücker Krankenhaus stationierte Rettungshubschrauber bis Ende 2002 nicht grenzüberschreitend angefordert werden, denn das wäre gesetzwidrig gewesen. Gottseidank sind solche Einsätze inzwischen aufgrund eines halblegalen Abkommens auf regionaler Ebene möglich, doch fehlt immer noch der für eine gesetzliche Absicherung notwendige binationale Staatsvertrag.

5. Grund: 
Es ist nicht einfach, zumal in einem peripheren, zu großen Teilen strukturschwachen Raum, nun ausgerechnet mit denjenigen ausländischen Nachbarn zusammenzuarbeiten, die vorher durch eine scharfe Grenze abgeschottet, ja zeitweise sogar Feinde waren. So wird die Grenze als psychologische Barriere noch lange in den mental maps der Grenzraumbewohner weiterleben.

Nun sollen hier nicht allein Negativtöne anklingen und nicht die zahlreichen, stetig zunehmenden Bemühungen und Vereinigungen übersehen werden, die intensiv an einer Verbesserung der Zusammenarbeit im Grenzraum Saar-Lor-Lux arbeiten. Sie können hier nicht im einzelnen bewertet, aber zumindest genannt werden:

  • die Regierungskommission Saar-Lor-Lux, mit Vertretern der Regierungen der beteiligten Staaten,
  • die Regionalkommission Saar-Lor-Lux, seit 1971, mit Vertretern der Teilgebiete,
  • der Interparlamentarische Rat der Region,
  • die für die interkommunale Zusammenarbeit zuständige " Euregio Saar-Lor-Lux-Rhein "
  • Konferenzen der einzelnen Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Arbeitskammern, Gewerkschaften,
  • eine Kooperationscharta der Universitäten,
  • eine Koordinierung von Flugplänen und Bahnverbindungen,
  • gemeinsame Konzepte für die Förderung des Tourismus,
  • kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten, z.B. Erhaltung des kulturellen Erbes, Schüler- und Lehreraustausch, ein "Saar-Lor-Lux- Orchester", ein "Saar-Lor-Lux Film- und Videofestival" oder ein gemeinsamer Museumspass etc.,
  • Kooperation im Polizeiwesen (z.B. mit heute praktizierter Verfolgung über die Grenze hinweg) oder in der Drogenprävention.

Die Liste ist bei weitem nicht vollständig. Viele Formen der Zusammenarbeit bestehen allerdings nur bilateral, wie z.B. zahlreiche Projekte im Rahmen der Kooperationscharta der Universitäten. Trotzdem aber zeigen sich hier zahlreiche positive Ansätze und Erfolge. Betont wird immer wieder, dass die persönliche Zusammenarbeit über die Grenze hinweg hervorragend funktioniert, die Probleme sich vielmehr aus der Unvereinbarkeit vieler Strukturen ergeben, vor allem zwischen Frankreich und Deutschland.