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'Föderalismus und regionale Selbstbestimmung'
 
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Föderalismus und regionale Selbstbestimmung

Bemerkenswerterweise verhinderte jedoch die Bruchlinie innerhalb der politischen Landschaft des Saarlandes, die im Abstimmungskampf entlang der Referendums-Frage aufgeworfen wurde, in den darauf folgenden Jahren den verhältnismäßig schnellen Übergang zur politischen Kooperation nicht. Schon im Januar 1956 akzeptierten alle Parteien [1] das Resultat des Referendums als Auftrag und Grundlage für ihre Politik. Eine Zutrittsschwelle zum politischen System hatte die frühere Einstellung in der Referendumsfrage bereits vorher nicht dargestellt. Insbesondere bei den Christdemokraten benötigte der Prozess bis zur endgültigen Vereinigung der Parteien nach ihrer weltanschaulichen Ausrichtung zwar einige Zeit; die gemeinsame Arbeit an der regionalpolitischen Ausgestaltung des Vereinigungsprozesses mit der Bundesrepublik blieb davon aber praktisch unberührt.

Ein ebenso bemerkenswertes Resultat der Jahre nach 1955 besteht darin, dass die seit 1945 mit der Saarfrage verstärkt verknüpfte Forderung nach regionaler Selbstbestimmung trotz des völligen Scheiterns des teilautonomen Saarstaates keinen Abbruch erlitt. Die Eigenständigkeit des Saarlandes wurde von keiner Seite der am Abstimmungskampf von 1955 beteiligten Kombattanten zur Disposition gestellt. Ganz im Gegenteil fand die Staatlichkeit des Saarlandes auch nach der Eingliederung in die Bundesrepublik in Form eines Bundeslandes ihre Fortsetzung.

Abbildung 25:

Sonderheft zur Frage des Föderalismus.

Daraus folgendes Zitat: "Seit 1976 lautet die Verfassungsbestimmung zur Neugliederung: "Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Dabei sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen." (Art. 29 Abs. 1 GG)

Internet-Quelle [2]

Abgesehen von überwiegend kraftlos geführten Debatten über eine allgemeine Länderneugliederung [3] in der Bundesrepublik hat der Gedanke einer regionalen Selbstbestimmung die Saarfrage weit überdauert, die ursprünglich für sein Entstehen konstitutiv war. Als ein wichtiger Grund dafür ist anzunehmen, dass die 1919/20 etablierte Eigenstaatlichkeit, abgesehen von der beharrenden Tendenz, die Verwaltungsstrukturen ganz allgemein zueigen ist, sich insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aller Kritik zum Trotz eben doch als funktional im Sinne einer regionalpolitischen Problemlösung erwiesen hat. Hinzu kommt die ebenfalls bereits in den 20er Jahren grundgelegte Projektion des Heimatbegriffs auf das Saargebiet als Ganzes, die die frühere administrative, politische und ökonomische Fragmentierung des Territoriums überdeckte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser Gedanke verstärkt wieder aufgegriffen, zunächst, um die Neuschaffung administrativer Grenzen im Osten zu legitimieren. Bald übernahm der Heimatgedanke aber auch im Saarland seine für die deutsche Nachkriegsgeschichte typische entlastende Funktion bei der Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht [4] : Die "saarländische Heimat" stellte den dringend benötigten positiven Gegenentwurf zum zentralistischen Unrechtsstaat des "Dritten Reiches" mit seinen Verbrechen dar. In der auf die Eingliederung in die Bundesrepublik folgenden Wirtschaftskrise leistete die Eigenstaatlichkeit einen wichtigen Beitrag zur Kompensation von ökonomisch bedingten Zentrum-Peripherie-Konflikten und bildete damit - ähnlich wie wohl die föderale Gliederung der Bundesrepublik allgemein - eine wesentliche Grundlage für die System- und Sozialintegration [5] im westdeutschen Staat.