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'Die Saarfrage als "Kampf der Kulturen"'
 
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Die Saarfrage als "Kampf der Kulturen"

Zu einem wichtigen neuen Feld der Auseinandersetzung über die Saarfrage entwickelte sich die Forschungs-, Bildungs- und Kulturpolitik. In der auch para-wissenschaftlich geführten Auseinandersetzung um die nationale Zugehörigkeit von Elsass und Lothringen seit deren Annexion durch Deutschland nach 1871 hatte das Saargebiet eher eine Randstellung inne; nur ansatzweise wurde die französische Tradition - z.B. der Stadt Saarlouis - als Argument für Besitzansprüche angeführt, was unverzüglich gegenläufige Stellungnahmen auslöste. Nach der Abtrennung des Saargebiets von Deutschland setzten jedoch sehr bald vergleichsweise breit gefächerte und intensiv vorangetriebene Versuche der Beeinflussung der Saar-Bevölkerung im französischen Sinne ein: Neben der Förderung der Präsenz von französischen Elementen, die bis zur Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern reichte, spielte dabei die Schulpolitik eine wichtige Rolle. Die Gründung zahlreicher französischer Schulen durch die Mines Domaniales sollte die Grundlage einer profranzösischen Mentalitätsentwicklung im Saargebiet legen.

Abbildung 19:

Die französische Schule von Dudweiler in den 1930er Jahren

 

 

 

 

Internetquelle [1]

Dagegen setzte sehr früh bereits eine Gegenbewegung ein, die prodeutsch ausgerichtet war und kaum auf regionale Autonomie ausgerichtete Elemente kannte. Die Grundlage dafür bildete die bereits ein Jahrhundert zuvor erarbeite Perspektive einer weit ins Mittelalter reichenden Tradition des Saargebiets als deutsches Territorium [2] . Die noch in ihren Anfängen steckende territorial- und dynastiegeschichtliche Forschung, die z.B. in der "Geschichte der Grafschaft Saarbrücken" Friedrich Köllners erste Ergebnisse erarbeitet hatte, wurde ergänzt um eine wahre Flut von lokal- und heimatgeschichtlichen Arbeiten, die überwiegend von interessierten Laien vorgelegt wurden. Den institutionellen Rahmen für diese para-wissenschaftlichen Forschungsinitiativen bildete eine Vielzahl von Geschichtsvereinen, die in verschiedenen Städten und Gemeinden entstanden. Als wohl größter Erfolg dieser Bewegung ist die Jahrtausendfeier der Rheinlande zu bezeichnen. Die mit großem Aufwand inszenierten Feierlichkeiten fanden unter der Beteiligung Hunderttausender in fast allen Orten des Saargebiets statt; wie kein anderes Mittel dienten die Jahrtausendfeiern dazu, in der kollektiven Erinnerung die historische Begründung für den deutschen Anspruch auf die Saar mit para-wissenschaftlicher Absicherung zu verankern. Nachhaltige Unterstützung fand das Ziel einer prodeutschen Beeinflussung der Bevölkerung auch in der Lehrerschaft [3] , die sich den auf Frankreich ausgerichteten Initiativen der Saargebietsverwaltung weitgehend verweigerte.

Abbildung 20:

Prodeutsches Plakat aus dem Abstimmungskampf von 1935

 

 

 

 

 

 

Vgl.: Gerhard Paul u. Ralph Schock, Saargeschichte im Plakat 1918-1957, Saarbrücken 1987. 

Bis zu Beginn der 30er Jahre war damit eine Perspektive auf die Saarfrage entworfen und durchgesetzt, die die antifranzösischen bzw. national eingestellten Kräfte im Saargebiet praktisch unabhängig von ihrer weltanschaulichen und politischen Positionierung auf das Ziel eines Anschlusses an Deutschland einschwor. In ähnlicher Richtung wirkte auch die Neuordnung des politischen Lebens durch die Völkerbundsverwaltung. Auf "innen"politischer Ebene blieben die Möglichkeiten ungenutzt, die eine Demokratisierung der politischen Landschaft möglicherweise geboten hätte. Erst 1922 wurde mit dem sogenannten Landesrat [4]  ein gewähltes Repräsentantengremium eingerichtet, dessen politische Mitspracherechte jedoch eng begrenzt waren und der deshalb zu keinem Zeitpunkt die Funktion eines Parlamentes übernehmen konnte. Diese spezielle Struktur des politischen Systems an der Saar und die besondere Bedeutung der kollektiven Erinnerung sind als wesentliche Voraussetzungen dafür anzuführen, dass viele politische Sachkonflikte im Saargebiet bereits früh durch die Grundsatzfrage der nationalen Zugehörigkeit überformt wurden. Bereits deutlich vor der Volksabstimmung des Jahres 1935 lösten sich auch viele der bürgerlichen Parteien, deren zumindest konsultative Beteiligung an der Völkerbundsverwaltung [5]  nicht zu einer entsprechende Festigung ihrer politischen Situation führte, zugunsten der sogenannten "Deutschen Front" auf und nahmen damit ihre "Gleichschaltung" praktisch vorweg. Auch im linken Teil des Parteienspektrums hatte vor 1933 allerdings das nationale Bekenntnis weite Teile der politischen Orientierung bestimmt. Nur einzelne Kräfte und Persönlichkeiten konnten sich angesichts der Herrschaftsübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland zu einer Befürwortung des Status quo durchringen, die ab 1933 von SPD und KPD [6]  propagiert wurde.