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'Heimkehr, kollektive Erinnerung, Status und Entschädigung'
 
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Heimkehr, kollektive Erinnerung, Status und Entschädigung

Die Repatriierung der bei Kriegsende noch in Deutschland festgehaltenen Franzosen - es waren dies schätzungsweise noch 900.000 Kriegsgefangene, 700.000 zivile Zwangsarbeiter und ca. 40.000 Überlebende in den Konzentrationslagern - wurde seit Dezember 1943 durch die provisorische Regierung in Algier vorbereitet. Bis jedoch im März 1945 mit Hilfe des schwedischen Roten Kreuzes aus Ravensbrück die ersten Verschleppten aus den Konzentrationslagern nach Frankreich zurückkamen, herrschten auch im Ministerium Frenay nur sehr vage Vorstellungen von der Anzahl der zu erwartenden Überlebenden und vor allem von ihrem Gesundheitszustand. Erst die Befreiung der Lager machte das Grauen in ganzen Umfang deutlich, ohne dass jedoch in jedem Fall der Rettung der Überlebenden die Priorität gegeben werden konnte, die notwendig gewesen wäre: bis zur deutschen Kapitulation hatten militärische Aufgaben bei den Alliierten Vorrang. Es kam hinzu, dass Ärzte und medizinische Wissenschaft bei der Behandlung der repatriierten KZ-Opfer vor Rätseln standen, sodass sie nicht verhindern konnten, dass von den überlebenden Deportierten ein nicht genau zu beziffernder Anteil in den ersten Nachkriegsjahren an den Folgen der KZ-Haft verstarb. Die allermeisten Repatriierten kehrten im April/Mai 1945 nach Frankreich zurück, mit Ausnahme der im Osten von der Roten Armee befreiten Lager (z.B. Auschwitz), die erst nach einer langen Reise über Odessa Frankreich erreichten.

Le Retour -
Die Heimkehr von französischen Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen
  

 

 


Quelle: DURAND, Yves: La captivité. Histoire des prisonniers de guerre français 1939-1945, Paris: Fédération nationale des Combattants Prisonniers de Guerre, 1980 , p.509

Allen Repatriierten gemeinsam ist das Erlebnis, in ein befreites Frankreich heimzukehren, das bereits über eine neue staatliche Ordnung verfügte und in dem die Identifikation mit der Résistance als staatstragende Ideologie fungierte, hinter der ein ganzes Volk die unrühmlichen Jahre der Vichyzeit verdrängen konnte. Die zurückkehrenden Opfer der Nazis und ihrer französischen Helfershelfer, wurden zwar mit offenen Armen empfangen und erfuhren in materieller Hinsicht die Zuwendung, die das stark ausgeblutete Land ihnen zuteil werden lassen konnte. Auf der politischen Bühne waren aber die Plätze für Helden und Sieger bereits weitgehend vergeben. Die zugestandene Rolle des Opfers dagegen (1954 wurde der letzte Aprilsonntag zur Journée nationale du souvenir des victimes et des héros de la Déportation erklärt) war auch in der französischen Nachkriegsöffentlichkeit nicht eben dankbar, rief sie doch nicht nur Mitleid, sondern auch peinliche Betroffenheit und Abwehrmechanismen hervor. Die Rolle des Anklägers war, zumindest im eigenen Land, so gut wie chancenlos: von den bei der Befreiung rund 40.000 verhafteten Kollaborateuren waren knappe 10 Jahre später so gut wie alle wieder auf freiem Fuß und auch später sollten prominente französischen Helfershelfer der Deportation lange Zeit völlig unbehelligt bleiben.

Die Diskussionen und Definitionen der verschiedenen Statusabgrenzungen unterschiedlicher Personengruppen in Frankreich, die auf Folgen des Zweiten Weltkriegs basieren - es gibt 10 verschiedene juristische Kategorien in dieser Hierarchie - ist in Europa. Die erste Statusdefinition für die KZ-Häftlinge (Mai 1945) schließt die Häftlinge mit kriminellem Hintergrund aus und bezeichnet alle übrigen, ohne Unterschied als "politische Deportierte". Allerdings kommen nur Franzosen in den Genuss dieser Eingruppierung und der damit verbundenen materiellen Vorteile. Die von französischem Boden aus verschleppten Ausländer waren bis 1981 davon ausgenommen, was angesichts der Tatsache, dass von den KZ-Häftlingen mit der höchsten Todesrate, nämlich den 76.000 Juden, nur 24.500 einen französischen Pass hatten, sehr schwer wiegt. Vichy hatte seit 1940 kürzlich erfolgte Einbürgerungen einer Revision unterzogen. Das Gesetz von 1948 unterscheidet dann, auf Betreiben der bürgerlichen Parteien, zwischen Résistance-Deportierten einerseits, die aufgrund von Résistance-Aktivitäten interniert oder ins KZ nach Deutschland gebracht worden waren (sozusagen ein persönliches Verdienst daran hatten, zu Opfern zu werden), und andererseits der Gruppe der aus politischen oder rassischen Gründen Verschleppten, die, abgesehen von ihrer Zugehörigkeit zu einer verfolgten Gruppe persönlich "nichts dafür konnten", dass sie ins KZ gebracht wurden. Mit dieser zweiten, hierarchisch niedriger eingestuften Kategorie müssen bis heute im wesentlichen Kommunisten und Juden vorlieb nehmen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war in der französischen Öffentlichkeit ein KZ-Häftling in erster Linie ein Widerstandskämpfer. Heute haben sich die Verhältnisse praktisch ins Gegenteil verkehrt und sind durch die fast ausschließliche Assoziation KZ - Holocaust ersetzt worden.

Plakat: "Sie sind vereint, trennt sie nicht". Ein Appel an die Einheit der heimkehrenden Kriegsgefangenen, Zivilarbeiter
und KZ-Häftlinge
    
Quelle : DURAND, Yves: La captivité. Histoire des prisonniers de guerre français 1939-1945, Paris: Fédération nationale des Combattants Prisonniers de Guerre, 1980, p.514

Die Betonung der Résistance im Nachkriegsfrankreich hatte allerdings auch zur Folge, dass mit den Gaullisten und den Kommunisten politische Kräfte in den Vordergrund rückten, die den Kalten Krieg der fünfziger Jahre und seine Fronten nicht in der in anderen westeuropäischen Ländern verbreiteten Form zur Innenpolitik werden ließen, und die auch beide nicht bereit waren, Frankreichs Interessen der westlichen Hegemonialmacht unterzuordnen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kalte Krieg nicht auch in Frankreich gesellschaftliche Gruppen entlang dem Ost-West- Gegensatz in ideologische Lager spaltete. Dafür sind die Verbände der KZ-Überlebenden leider ein besonders deutliches Beispiel. Schon 1945/46 gab es im Gegensatz zu den Kriegsgefangenen und den zivilen Zwangsarbeitern, die sich als FNPG (Fédération Nationale des Prisonniers de guerre) und FNDT (Fédération Nationale des déportés du travail) zusammenschlossen keinen einheitlichen Verband der ehemaligen KZ-Häftlinge, sondern mehrere Organisationen mit komplizierter Entwicklung. Heute gibt es drei Verbände: die prokommunistisch orientierte FNDIRP [1] (Fédération Nationale des Déportés et Internés Résistants et Patriotes), die den bürgerlichen Parteien nahestehende FNDIR (Fédération Nationale des Déportés et Internés Résistants, sie befürwortete die Hierarchisierung von 1948) und die 1950 aus einer Abspaltung der FNDIRP hervorgegangene UNADIF.

Die Unterstellungen (Verantwortung für die militärische Niederlage, Kollaborationsbereitschaft im Feindesland), denen sich die heimgekehrten Kriegsgefangenen [2] in der direkten Nachkriegszeit hin und wieder ausgesetzt sahen, sind längst vergessen. Ihr Verband, die Fédération Nationale des Prisonniers de Guerre war zeitweise die größte französische Massenorganisation nach der CGT. Die Gruppe der zivilen Zwangsarbeiter hingegen hat ihren Platz in der kollektiven Erinnerung Frankreichs bis heute nicht gefunden und der jahrzehntelange verbitterte Kampf der Fédération Nationale des Rescapés et Victimes des Camps Nazis du Travail Forcé [3] (wie sie sich nach dem Verbot, sich als déportés du travail zu bezeichnen, nennt) um gesellschaftliche und politische Rehabilitierung muss wohl als gescheitert angesehen werden. Eine Abkehr von einem pauschalen Kollaborationsvorwurf an diese Gruppe, eine zumindest symbolische Anerkennung als Opfer und ein zaghaftes Aufbrechen des sechs Jahrzehnte herrschenden Erinnerungstabus sind erst in allerjüngster Zeit zu verzeichnen.

Ein letztes bitteres Kapitel stellt der generelle Ausschluss aller Kriegsgefangenen, vor allem aber die Nicht-Berücksichtigung der zivilen Zwangsarbeiter [4] , die aus den besetzten westeuropäischen Ländern deportiert wurden, aus den Entschädigungszahlungen der 2000 eingerichteten Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ dar. Die mit der Abwicklung für diese Kategorie Zwangsarbeiter („Rest der Welt“ genannt) beauftragte International Organisation for Migration in Genf rät, im Widerspruch zum Geist der Stiftung, systematisch von einer Antragstellung ab und begegnet den wenigen, die ihre Ansprüche dennoch anmelden, in einer Weise, die viele als eine erneute Demütigung empfinden.