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'De Gaulles Konzept für Partnerschaft und Ostpolitik'
 
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De Gaulles Konzept für Partnerschaft und Ostpolitik

Bevor dieser Gemeinsame Markt in Kraft treten konnte, brach die IV. Republik [1] im Mai 1958 in einer Algerienkrise [2] zusammen, und General de Gaulle und seine Anhänger nutzten die Gunst der Stunde. Der Mann, der bald an der Spitze einer neuen V. Republik [3] mit starker Regierungsgewalt stand, überraschte alle, die seine Nachkriegspolitik gegen Deutschland und seinen Kampf gegen die ersten europäischen Gemeinschaften erlebt hatten: Er schuf mit einer Währungsreform die Voraussetzung dafür, dass die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) am 1. Januar 1959 in Kraft treten konnte. Und er legte durch eine Zusammenkunft mit Bundeskanzler Adenauer am 14. September 1958 in Colombey les Deux Eglises [4] die Grundlagen für eine Partnerschaft, die am 23. Januar 1963 im Elysee Palast durch einen Vertrag besiegelt wurde, der eine enge Zusammenarbeit ihrer und aller folgenden Regierungen ins Leben rief.

De Gaulle im Garten seines Anwesens in Colombey-les-deux-Eglises (Lothringen). Hier fand am 14. September 1958 das denkwürdige Treffen mit Konrad Adenauer statt, das die ersten Grundlagen für die die deutsch-französische Partnerschaft schuf. Im folgenden Filmausschnitt wird der Besuch Adenauers in Colombey-les-deux Eglises dokumentiert

Quelle: www.france.diplomatie.fr/archives/dossiers/elysee/photo4_4.html

Bei offiziellen Besuchsreisen Adenauers in Frankreich im Juli und de Gaulles im September 1962 in der Bundesrepublik, die wegen mehrerer deutschsprachiger Reden bei großen Kundgebungen einem Triumphzug glich, erhielt die Zusammenarbeit auch breite, populäre Grundlagen. Bald zeigte sich, dass de Gaulle um die Deutschen geworben hatte, weil er sie für eine neue Politik der Öffnung nach Osten gewinnen wollte, die er 1965 mit der Losung détente, entente, coopération zwischen "Atlantik und Ural" begann. Sie führte zu scharfen Spannungen zwischen Frankreich und den USA, infolge derer Adenauers Nachfolger die Beziehungen zu Paris lockerten.

De Gaulle während seines Deutschlandbesuchs im September 1962, als er begeistert empfangen wurde und seine berühmte “Ludwigsburger Rede” hielt

Quelle: www.france.diplomatie.fr/archives/dossiers/elysee/photo6_5.html

Aus den für die deutsch französischen Beziehungen wichtigen Regierungsjahren de Gaulles sind folgende Entwicklungen und Tendenzen bemerkenswert:

  • Sein Entschluss, beide Länder an eine Partnerschaft zu gewöhnen für ein nicht integriertes, aber gemeinschaftlich organisiertes Europa, das soweit wie möglich politisch unabhängig von den USA handeln kann (l'Europe européenne) war fundamental.
  • Die Partnerschaft sollte auch für ein wiedervereintes Deutschland gelten, denn, so ließ er 1965 den Polen ausrichten, "eines Tages wird die Wiedervereinigung Deutschlands möglich sein, also unausweichlich." (Maillard 2001: 8).
  • Ein starkes, zur Verteidigung bereites (West )Europa war für ihn auch die wichtigste Voraussetzung für dessen Erweiterung nach Osten, "vom Atlantik zum Ural", möglichst also unter Einschluss Russlands nach dem Ende der Sowjetherrschaft, mit dem er in unbestimmter Zukunft rechnete.
  • Die (west ) europäische "Union", von der er ausging, war auf den Kreis der sechs Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft beschränkt.
  • Ihre Erweiterung durch England (und die mit England den EFTA Raum bildenden skandinavischen Staaten) erschien ihm erst möglich, wenn auch England für ein "europäisches Europa" optierte.
  • Soweit er an eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten dachte, ging er davon aus, dass außer den Siegermächten auch die Nachbarn Deutschlands dabei mitzureden hätten, und wie Frankreich für eine deutsche Konföderation eintreten würden.

Aus diesen Tendenzen ergaben sich Übereinstimmungen und Widersprüche mit der Regierung in Bonn: Als der sowjetische Generalsekretär Nikita Chrustschow [5] im November 1958 eine schwere Berlin Krise auslöste, die praktisch bis zum Bau der Berliner Mauer [6] (13. August 1961) dauerte, erwies sich General de Gaulle als der zuverlässigste Verbündete Adenauers, vor allem gegen englische und amerikanische Neigungen zu einem Kompromiss. Er versuchte damit auch die Anlehnung Bonns an die USA zu stören. Da de Gaulle dem Abschluss des deutsch-französischen Vertrags vom 22. Januar 1963 eine scharfe Ablehnung der Aufnahme Englands in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vorausgehen ließ, geriet der Vertrag unter starken angelsächsischen Druck, dem sich die deutsche Opposition und auch ein Teil der Regierungspartei mit Adenauers Nachfolger, Wirtschaftsminister Ludwig Erhard [7] , anschloss.

Der Bau der Berliner Mauer im August 1961 – hier im Bereich der Zimmerstrasse / Markgrafenstrasse. In dieser Phase erwies sich Charles de Gaulle als einer der verlässlichsten Partner der Bundesrepublik Deutschland.

Quelle: www.dailysoft.com/berlinwall/photographs/berlinwall-1961/berlinermauer-1961_013.htm

Der wichtigste amerikanische Gegenzug gegen die Entwicklung französischer Atomwaffen war das Projekt einer "Multilateralen Atom Streitmacht" (MLF) innerhalb der NATO. Es sah die Ausrüstung von Kriegsschiffen mit Atomraketen vor. Gegenüber dem starken Interesse der Bundesregierung an diesem Plan zeigte de Gaulle deutlich seine Enttäuschung. Und als er im März 1966 aus seinem Gegensatz gegen die Dominanz der USA im atlantischen Bündnis die Konsequenz zog und aus der integrierten Verteidigungsorganisation NATO (nicht aber aus dem Bündnis) austrat, erlebten die deutsch französischen Beziehungen nur darum keinen Tiefpunkt, weil wenige Wochen vorher ein monatelanger Streit um die Einordnung der Agrarpolitik in den Gemeinsamen Markt, nicht zuletzt mit Hilfe Bonns, überwunden worden war. So kam dann auch schnell ein Vertrag für den weiteren Verbleib der französischen Truppen in der Bundesrepublik zustande. Schließlich gab es während der Osteuropareisen de Gaulles im Zuge seiner "Politik vom Atlantik zum Ural" einige Mißverständnisse, obwohl er sich überall für mehr Vertrauen gegenüber Bonn einsetzte und die DDR "ein künstliches Gebilde" nannte.

Als die Regierung Ludwig Erhards am 1. Dezember 1966 durch eine Koalition von CDU und SPD mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger [8] und Außenminister Willy Brandt [9] abgelöst wurde, bemühte diese sich erfolgreich um ein besseres Klima zwischen Paris und Bonn ohne dass es zu wesentlichen Fortschritten in den Beziehungen kam. Vielmehr kam es Ende November 1968 erneut zu einer Verstimmung, als eine Internationale Währungskonferenz in Bonn eine Abwertung des französischen Franc beschloß, die de Gaulle ablehnte. Im Februar 1969, kurz vor seinem Abgang von der Macht, unternahm er den (erfolglosen) Versuch einer Annäherung an England mit dem geheimen (aber von London bald aufgedeckten) Angebot einer Neuordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

Der Nachfolger de Gaulles, Staatspräsident Georges Pompidou [10] , war dann vor allem mit der neuen, auf Hinnahme der Realitäten und auf menschliche Erleichterungen für DDRBewohner eingestellten Ostpolitik [11] Bonns konfrontiert. Bundeskanzler Willy Brandt konnte sich zwar auf Ratschläge von General de Gaulle berufen, aber Pompidou, der langfristig ein deutsches Abgleiten nach Osten befürchtete, verband mit formeller Zustimmung ein inneres Mißtrauen. Er festigte die französisch englischen Beziehungen, stimmte der Aufnahme Englands in den Gemeinsamen Markt zu und warb in den USA für den Erhalt amerikanischer Truppen Präsenz in Europa, vor allem in der Bundesrepublik wobei sich auch die Gegensätze Frankreichs mit der NATO abschwächten. Gleichzeitig spielte Frankreich eine aktive Rolle bei Verhandlungen um ein neues Berlin Abkommen, das 1971 den Zugang zur ehemaligen deutschen Hauptstadt auf eine nun störungsfreie Weise regelte, ohne die Bindung von Westberlin an Bonn zu schwächen. Es war die Voraussetzung für die Ratifizierung der Ostverträge [12] durch die Bundesrepublik (1972 73). Ihnen folgte nach einiger Zeit auch die diplomatische Anerkennung der DDR durch Frankreich und durch die anderen Westmächte.

“Mein Freund Elmut” – Valéry Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt anlässlich des Staatsbesuchs des Französischen Präsidenten in Deutschland 1974.

Quelle: fhh1.hamburg.de/fhh/internetausstellungen/hambourg-france/francais/f/4.htm

Dem frühen Tod Pompidous folgte unter der Präsidentschaft von Valéry Giscard d'Estaing [13] (1974 81) eine Zeit, in der der deutsch französische Vertrag voll wirksam wurde. Giscard d'Estaing und der neue deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt [14] hatten schon als Finanzminister eine vertrauensvolle Zusammenarbeit begonnen, die sie jetzt fortsetzten und zwar so demonstrativ, dass sich zu ihrer Regierungszeit auch in der hohen Beamtenschaft die Gewohnheit zu unkomplizierten, z.B. telefonischen Absprachen ausbreitete.

Das gute Einvernehmen wurde die Grundlage für eine Reihe gemeinsamer und erfolgreicher Schritte zugunsten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die wichtigsten waren die Direktwahl des Europäischen Parlaments [15] , die im September 1976 beschlossen wurde, und die Gründung eines Europäischen Währungs Systems [16] (EWS) im Juli 1978 auf einer Gipfelkonferenz der EWG in Bremen. Außerdem trat auf Initiative Frankreichs im November 1975 eine Gipfelkonferenz der sieben wichtigsten Industriestaaten zusammen, die zu einer Dauereinrichtung wurde, der ersten Welt Gipfelkonferenz, zu deren Mitgliedstaaten von Anfang an die Bundesrepublik gehörte. Die Zusammenarbeit zwischen Bonn und Paris bewährte sich auch, als der US Präsident Jimmy Carter aus angeblicher Sorge vor der Verbreitung von Kernwaffen bedeutende Aufträge der deutschen Atomindustrie für Brasilien und der französischen für Indien in Frage zu stellen suchte.

Meinungsumfrage unter den Franzosen über die Beliebtheit ihrer Nachbarn Ende der 1960er Jahre. Trotz grosser Anstrengungen auf der politischen Bühne ist die Beliebtheit der Deutschen noch sehr belastet. Dies habe sich jedoch, so H. Kaelble [17] , seither deutlich verbessert.

Quelle: www.dhm.de/lemo/objekte/statistik/DieZuspitzungDesKaltenKrieges_umfrageDeutschlandbildFranzosen/index.html

Im Warenaustausch waren beide Länder für einander bald die wichtigsten Partner, und die Meinungsumfragen belegen ab Ende der 70er Jahre einen bedeutsamen Stimmungsumschwung: Seitdem bis heute pflegt auch die französische und deutsche Bevölkerung sich gegenseitig als die wichtigsten und zuverlässigsten Partner zu bezeichnen. Trotzdem kam es während des Wahlkampfes für das Europäische Parlament, das im Juni 1979 zum ersten Mal direkt gewählt wurde, noch zu antideutschen Tönen in den Wahlkundgebungen einzelner Parteien, die damit allerdings keine Wahlerfolge hatten. Eine große soziologische Studie von Hartmut Kaelble (1991) stellte bald fest, dass sich beide Völker auch in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen und Lebensbedingungen stark angeglichen hatten, was sich deutlich am Strukturwandel der Wirtschaft zeigte. Während 1950 noch zwei Fünftel der Bevölkerung Frankreichs in der Landwirtschaft arbeiteten, waren es 1975 kaum 10 Prozent. Es ist aber nicht zu übersehen, dass dieses Gleichgewicht für viele Franzosen, auch für Giscard d'Estaing, durch das auf der Teilung Deutschlands beruhende Gleichgewicht ergänzt werden musste.

Die deutsch-französischen Beziehungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sind Gegenstand eines 1991 veröffentlichten Werkes von H. Kaelble, der für www.deuframat.de [18] einen Beitrag zu den Nachbarn am Rhein [19] verfasst hat.

Quelle: www.deuframat.de/parser/parser.php