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'Reaktionen auf die Vertragsbedingungen'
 
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Reaktionen auf die Vertragsbedingungen

Die vergleichsweise harten Bedingungen des Versailler Friedensvertrages stießen vor diesem Hintergrund in allen politischen Lagern gleichermaßen auf schärfste Ablehnung, selbst bei jenen, die grundsätzlich einräumten, dass das Deutsche Reich ein hohes Maß von Verantwortung für die Auslösung des Ersten Weltkrieges besaß. Die Anhänger einer Neuordnung der internationalen Politik im Sinne Woodrow Wilsons in Deutschland sahen in den Friedensbedingungen eine Art Wortbruch, eine Einstellung, die eine nüchterne Einschätzung der Lage erschwerte (2). 

"Was wir verlieren sollen!"
Plakat zu den Beschlüssen der Friedenskonferenz von Versailles
(Louis Oppenheim 1919 Lithographie 71,3 x 96 cm Berlin Pl 1988/1942)

 

 

 

 

Quelle: www.dhm.de/lemo/objekte/pict/88-1942/index.html

Der erste sozialdemokratische Reichskanzler Scheidemann [1] sprach aus, was alle Deutschen dachten, als er im Reichstag erklärte, dass die Hand, welche sich dazu hergeben sollte, diesen Vertrag zu unterzeichnen, verdorren werde.. Am Ende siegte dann doch die Einsicht, dass die Unterzeichnung dieses in allen wesentlichen Punkten oktroyierten Friedensvertrages immer noch besser sein würde als eine militärische Okkupation durch die Alliierten Mächte, der am Ende doch die Hinnahme der drückenden Bestimmungen folgen würde. Aber die Warnung Max Webers, dass die Unterzeichnung des Versailler Vertrags zu einer schweren Hypothek für die junge deutsche Demokratie werden würde, erwies sich als nur zu richtig: Am Ende, so hatte er geschrieben, werde es heißen, dass die Alliierten den Deutschen die Demokratie aufgezwungen hätten. So kam es denn auch. Die Gleichsetzung der Weimarer Republik mit dem System von Versailles und die Polemik gegen die dafür angeblich verantwortlichen »Novemberverbrecher«, die zu einem bevorzugten Thema der Reden Adolf Hitlers werden sollten, haben wesentlich zur Untergrabung der parlamentarischen Demokratie von Weimar und deren Zusammenbruch beigetragen.

Germania am Marterpfahl Propagandapostkarte gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags. Der Text auf der Postkarte lautet: "Wenn auch entwaffnet und gefesselt – am Himmel leuch't ein Hoffnungsstrahl, Es naht die Stunde der Erlösung Germanias am Marterpfahl"
(Verlag: Josef Winter Oberndorf bei Salzburg, um 1920 13,8 x 9,5 DHM, Berlin PK 96/235)

 

Quelle: www.dhm.de/lemo/objekte/pict/96003584/index.html

Von allen Vertragsbestimmungen empfanden die Deutschen den Vorwurf der Alleinschuld des Deutschen Reiches am Kriege, der in dem berühmten § 231 festgeschrieben war, besonders demütigend; obschon dieser, wie wir heute wissen, von der Wahrheit nicht weit entfernt gewesen ist. Dies unter anderem hinderte sie daran, zur Tagesordnung überzugehen und das Beste aus den widrigen Bedingungen zu machen, die nach dem Ende des Krieges bestanden, während die Deutschen nach 1945 die Niederlage innerlich akzeptiert haben. Vielmehr konzentrierten sich die Bemühungen nicht nur der Politiker, sondern auch der Wissenschaftler und nicht zuletzt der Unternehmer und Bankiers nach 1919 darauf, den Friedensvertrag von Versailles mit allen verfügbaren Mitteln auszuhebeln, selbst auf die Gefahr hin, der deutschen Nation neuerlich einen schweren Schaden zuzufügen, statt auf der Grundlage der durch ihn gegebenen Verhältnisse konstruktive Wiederaufbauarbeit zu leisten.

Artikel 231 des Versailler Vertrages:

"Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber aller Verluste und aller Schäden verantwortlich sind, welche die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Angehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben."

Internet-Quelle [2]

Die Bestrebungen, die Reparationsverpflichtungen so gut es ging zu unterlaufen und schließlich abzuschütteln, führten zur Hyperinflation [3] des Jahres 1921, zu Störungen des Welthandels und zur Verschärfung der ohnehin bestehenden Ungleichgewichte im internationalen Finanzsystem. Der Reichskanzler Brüning [4] war während der Weltwirtschaftskrise [5] bereit, eine weitere Verschlechterung der katastrophalen wirtschaftlichen Lage in Kauf zu nehmen, um die ehemaligen Feindmächte zum Verzicht auf die Reparationen zu zwingen. Ohne die verheerenden Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 1930/32 wären die Nationalsozialisten wohl kaum zur Macht gelangt.

Dies hat dazu geführt, dass es zu einer Entwicklung kam, welche das düstere Szenario der Befürworter eines harten Friedens 1918/19 noch bei weitem in den Schatten stellen sollte. Denn die Nationalsozialisten haben nach 1933 nicht nur die Bestimmungen des Versailler Vertrages schrittweise unterlaufen und schließlich endgültig annulliert, sondern zielbewusst auf einen erneuten Krieg hingearbeitet, der die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges wieder rückgängig machen und die von den Nachbarn Deutschlands mit einigem Recht gefürchtete Hegemonie des Deutschen Reiches über ganz Europa verwirklichen sollte.

Vor diesem Hintergrund werden die Argumente jener, die im Frieden von Versailles eine Halbheit sahen, welche die Deutschen nicht von einer erneuten gewaltsamen Revision der europäischen Länderkarte abhalten würde, in gewisser Weise bestätigt. Aus der Sicht vor allem der Franzosen war der Friedensvertrag von Versailles im Gegenteil viel zu milde, weil er ihnen unzureichende Sicherheit gegen eine mögliche Wiedererstarkung des Deutschen Reiches gewährte, insbesondere nachdem der ursprünglich mit Großbritannien und den USA ausgehandelte zusätzliche Bündnisvertrag für den Fall eines erneuten deutschen Angriffs wegen des Einspruchs des amerikanischen Senats entfallen war.

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Anmerkungen

(2) Vgl. Wolfgang J. Mommsen, Die europäische Reaktion auf Woodrow Wilsons "New Diplomacy", in: Gerhard A. Ritter/Peter Wende (Hrsg.), Rivalität und Partnerschaft. Studien zu den deutsch-britischen Beziehungen! im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1999, S. 145-162, hier S. 155 ff.; siehe oben S. 193-197. Vgl. auch Klaus Schwabe, "Gerechtigkeit für die Großmacht Deutschland". Die deutsche Friedensstrategie in Versailles, in: Gerd Krumeich (Hrsg.), Versailles 1919. Ziele, Wirkung, Wahrnehmung, Essen 2001, S. 71-86, hier S. 77 ff.