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'Der Erste Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis der Deutschen und der Franzosen'
 
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Der Erste Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis der Deutschen und der Franzosen

Der Erste Weltkrieg ist im kollektiven Gedächtnis der Franzosen fest verankert. In der Erinnerung der Deutschen spielt er eine weit geringere Rolle. Dies mag u.a. daran liegen, dass die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, die bei uns die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg weitgehend ausgelöscht hat, für die Franzosen wohl nicht die Bedeutung hat wie für uns Deutsche. Der 11. November 1918, Tag des Waffenstillstandes, ist für Franzosen noch immer ein bedeutender Gedenktag. In der Erinnerung der Deutschen spielt dieser Tag keine Rolle. Für die meisten Deutschen war der 9. November, Tag der Abdankung des Kaisers und Tag der Ausrufung der Republik, das bei weitem wichtigere Datum. Wenn der 9. November 1918 den Deutschen heute kaum noch etwas sagt, so hängt dies natürlich auch damit zusammen, dass der 9. November mittlerweile für Ereignisse steht, die uns näher sind als jener 9. November 1918: 9. November 1923: Hitler-Putsch; 9. November 1938: Reichspogromnacht; 9. November 1989: Fall der Berliner Mauer. Dass der Erste Weltkrieg für Franzosen eine größere Bedeutung hat als für Deutsche hängt auch damit zusammen, dass dieser Krieg mit einem Sieg Frankreichs endete, während er für Deutschland nicht nur die (wenn auch uneingestandene) Niederlage brachte, sondern auch das Ende der Monarchie bedeutete. Darüber hinaus war die Erinnerung vieler Deutschen durch den Versailler Vertrag belastet, der als Diktat der Sieger, vor allem Frankreichs, angesehen wurde und dessen Bestimmungen als ungerecht und unangemessen betrachtet wurden. Vor allem der Kriegsschuldparagraph, der Deutschland die alleinige Kriegsschuld zuschrieb, wurde in Deutschland nie wirklich akzeptiert. Er war mit eine Ursache dafür, dass im Nachkriegsdeutschland nach 1918 der Krieg in den Köpfen vieler Deutscher noch nicht wirklich beendet war. Und tatsächlich wird der Versailler Vertrag als eine Ursache für den Zweiten Weltkrieg angesehen - ein weiterer Grund dafür, dass der sozusagen noch im nachhinein belastete Erste Weltkrieg aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen weitgehend verbannt wurde.


Der Kriegsbeginn


Eine Vorstellung davon, welche Bedeutung der Erste Weltkrieg im kollektiven Gedächtnis der Franzosen einmal haben würde, lässt sich schon einem Brief entnehmen, den ein Freund Romain Rollands, Kunstkritiker und Reserveoffizier, diesem in den ersten Kriegstagen geschickt hat. Romain Rolland hat ihn in „Au-dessus de la mélée" zitiert.

"[...] Quelle race admirable! Si vous voyiez comme moi notre armée, vous seriez enflammé d'admiration pour ce peuple. C'est un élan de la Marseillaise, un élan héroïque, grave, un peu religieux. [...] Je n'ai pas envie de mourir mais je mourrai sans regret maintenant; j'ai vécu quinze jours qui en valent la peine, quinze jours que je n'osais plus me promettre du destin. On parlera de nous dans l'histoire. Nous aurons ouvert une ère dans le monde. [...] La France n'est pas prête de finir. Nous voyons sa résurrection. Toujours la même: Bouvines, croisades, cathédrales, Révolution, toujours les chevaliers du monde, les paladins de Dieu."

Aus: Romain Rolland: Au-dessus de la mêlée. Lettre ouverte du 15 septembre 1914; zitiert nach: Philippe Contamine: Mourir pour la patrie, Xe-XXe siècle, in: Les lieux de mémoire, hrsg. v. Pierre Nora, II: La nation, Paris 1986, S. 39.


Erläuterung: Bouvines: Ort im Dep. Nord, südöstlich von Lille. In der Schlacht von Bouvines am 27. 7. 1214 besiegte der französische König Philipp II. August, der mit dem Staufer Friedrich II. verbündet war, den mit England verbündeten welfischen Kaiser Otto IV., der damit auch im Streit um die deutsche Krone unterlag.

Die Schlacht von Verdun im kollektiven Gedächtnis der Franzosen

Obwohl fast ebenso verlustreich wie für die Franzosen, spielt die Schlacht von Verdun im kollektiven Gedächtnis der Deutschen keine große Rolle mehr. Erst das symbolische Zusammentreffen zwischen Präsident Mitterand und Kanzler Kohl am 22. September 1984 vor dem Gebeinhaus in Douaumont hat die monatelange Schlacht des Jahres 1916 den Deutschen für eine kurze Zeit wieder in Erinnerung gerufen. Das, was für die Franzosen „Verdun" ist, ein Symbolwort, das für den ungebrochenen Willen der Franzosen steht, ist für uns Deutsche "Stalingrad".

Der französische Historiker Antoine Prost schreibt hierzu:
"Deux mémoires collectives de Verdun se sont donc constituées simultanément dès 1916. Une mémoire nationale tout d'abord, en un double sens: mémoire de la nation entière, structurée par la presse, les autorités publiques, les notables locaux et les conversations quotidiennes; mémoire nationale aussi, résonnante de fierté patriotique. A côté de cette mémoire, et liée à elle par les lettres du front ou les récits incomplets et pudiques des permissionnaires, une mémoire combattante, plus étroite, plus dense, plus forte, à la fierté plus intime, chargée d'émotions, d'angoisses, de deuils: celle des soldats qui ont "fait" Verdun. En 1916, l'événement fondateur soude ces deux mémoires. Une fois la bataille épuisée, et dès 1917, elles ne sont plus liées que par la figure d'un homme, Pétain, qui prend par là une stature exceptionnelle, et par les lieux mêmes où elles situent l'héroïsme ou le sacrifice. Ces lieux deviennent alors un enjeu symbolique: quelles significations durables leur aménagement leur conférera-t-il?

[...] ces propos tenus pendant la bataille même signalent une identité durable. Pour nos contemporains, la guerre de 1914 se résume dans ce nom. Verdun est à la fois le sommet de la guerre, son point culminant en quelque sorte, et son essence même. Ce n'est pas seulement l'épisode décisif où s'est jouée l'issue du conflit, mais la bataille où se concentrent, de façon exemplaire, les traits les plus caractéristiques de cette guerre.

[...] Verdun occupe, de ce fait, une position exceptionnelle dans la mémoire nationale, ce n'est pas un épisode parmi d'autres, un élément d'une série, mais le point indépassable où le patriotisme du XIXe siècle trouve son apogée et sa limite dans un immense sacrifice, à la fois sur-humain et in-humain. Aussi l'imaginaire collectif ne peut-il ni l'oublier, ni le comprendre vraiment. Dans la mémoire de Verdun, il entre cette part irréductible de mystère et de sacré qui désigne les légendes."

Aus: Antoine Prost: Verdun, in: Les lieux de mémoire, hrsg. v. Pierre Nora, II: La nation, Paris 1986, S. 118, 137f., 139.

"... Noch heute gibt der Boden [des Schlachtfeldes von Verdun, G.S.] jedes Jahr viele Tausend Kilogramm Eisen frei: Granaten (auch gefüllte!) genauso wie Ausrüstungsteile aller Art, Helme, Gewehrläufe, Geschirr usw., ein paar Schritte abseits der großen Wege findet sich das alles mühelos - und es gibt eine ganze Gilde von sog. "Verdunläufern", d.h. Schlachtfeldfanatikern, die die Felder und Wälder systematisch abgehen, auf der Suche nach Objekten. Das ist die makabre Spitze eines Interesses, das jeden packt, der hier gewesen ist: die Gegenwart eines Krieges, der ein dreiviertel Jahrhundert vorbei ist.

Tatsächlich ist die Schlacht von Verdun wie kein weiteres Ereignis dieses Jahrhunderts in der kollektiven Erinnerung Frankreichs präsent - wenngleich sicherlich heute in anderer Form als etwa vor 20 Jahren, als die "poilus" noch lebten und in Vereinigungen [...] agitierten. Sicherlich ist auch in Frankreich heute die Erinnerung anders als in den 30er Jahren, als noch aus Tonerde geformte Miniatur-Kilometersteine der Straße von Bar-le-Duc nach Verdun [diese Straße war die französische Nachschublinie zum Schlachtfeld und die Straße, auf der Verwundete ins Hinterland gebracht wurden, G.S.] als Objekte der Erinnerung und des Gedenkens verkauft wurden, in denen man eine Handvoll Erde aufbewahren konnte. Aber bei aller Distanz, die in unserer Zeit auch in Frankreich gegenüber nationalen Mythen herrschen mag: Das Verdun-Ereignis, seine ungeheure Kraft der Identitätsstiftung hält nach wie vor gebannt - eine Identifizierung, die über mehr als ein halbes Jahrhundert von Generation zu Generation weitervermittelt wurde."

Aus: Gerd Krumeich: Verdun: ein Ort gemeinsamer Erinnerung? In: Franzosen und Deutsche. Orte der gemeinsamen Geschichte, hrsg. v. Horst Möller und Jacques Morizet, München 1996, S. 163f.

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