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'Erfahrungen der Schulzeit'
 
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Erfahrungen der Schulzeit

Jean-Jacques Waltz (1), der später als Künstler den Namen Hansi annahm, wird am 23. Februar 1873 in dem kurz zuvor nach fast 200 Jahren wieder deutsch gewordenen Colmar, der Hauptstadt des Bezirks Oberelsass, als jüngstes von vier Kindern des Metzgermeisters Jacques André Waltz und seiner Frau Rosalie Clémence Dunan geboren. Sein Vater, dessen außerordentliches Interesse an der Geschichte seiner Heimatstadt ihn zunächst Schatzmeister der neu gegründeten Schongauer-Gesellschaft, im Jahr 1881 Bibliothekar der Stadt und zehn Jahre später Konservator des Museums Unterlinden werden ließ, begeisterte den kleinen Jacques (2) schon früh für die Geschichte und Kunst des Elsass. Schon den 10jährigen Schüler zeichnet ein außerordentliches zeichnerisches Talent aus. Sein bereits ausgeprägter kritischer Geist hindert ihn daran, sich der Disziplin einer kaiserlich-deutschen Schule zu unterwerfen: Jacques ist ein schlechter Schüler. Noch viele Jahre später schreibt er, wie er im "lycée boche" misshandelt worden sei, wie "der Deutschlehrer uns gelehrt hat, dass die deutsche Sprache die schönste und älteste aller Sprachen sei, wie der Geschichtslehrer unsere Väter und alle Franzosen bis zurück in die Zeit Karls des Großen beleidigt hat, wie der Französischlehrer aus Königsberg uns bewies, dass weder die Franzosen noch die Elsässer ihre eigene Sprache können würden und dass man nur in Königsberg das Französisch richtig sprechen würde, wie ich auf dem Rückweg vom Gymnasium, wo ich jeden Tag einige Ohrfeigen und einige Stunden Arrest einfuhr, auf unverschämte Offiziere stieß, die das Pflaster unserer Stadt traten, auf hässliche und arrogante Beamten und wie ich traurig und entmutigt nach Hause kam, mein Vater mir dann, um mich zu trösten, erzählte, wie schön unsere kleine Stadt zur französischen Zeit gewesen sei." (3) (Abb. 01)

Abb. 01: Le professeur et sa classe

 

 

 

Aus: © La Maison de Hansi, Riquewihr

Sein ehemaliger Geschichtslehrer am Gymnasium ("plus ennuyeux encore que ses collègues") steht ihm auch nach Ende des Ersten Weltkriegs noch klar vor Augen: "Dieser hatte die Manie, uns die Tugenden aller Hohenzollern aufzuzählen… Ihm zufolge hatte jeder Hohenzollern-Fürst eine besondere Tugend; jener aber, der uns damals regierte, Wilhelm II., vereinigte in sich allein die Tugenden und Talente aller seiner Vorfahren… Zum Beweis erzählte er uns naive und dumme, von ihm aber für geistreich gehaltene Anekdoten, um uns den Arbeitseifer Ottos des Faulen, das Zartgefühl Alberts des Bären, die Seelengröße Friedrich Wilhelms I. und die Offenherzigkeit und den Großmut Friedrichs II. verständlich zu machen. Denn man praktizierte im deutschen Gymnasium das Eintrichtern, lange bevor das Wort erfunden worden war. Beim Hören dieser bis zum Überdruss wiederholten Geschichten gerieten die kleinen Boches in Verzückung, während die kleinen Elsässer Fliegen fingen, Maikäfer dressierten oder kleine, ausgeschnittene Soldaten tauschten. Ich versteckte mich hinter dem Rücken eines Klassenkameraden, schloss die Augen und erzählte mir, schläfrig geworden durch die so oft gehörte Litanei, eine herrliche Geschichte. Es war immer die gleiche: Nachdem er den Boches manche Streiche gespielt hatte, rettete sich ein kleiner Elsässer dadurch, dass er freiwillig in die französische Armee eintrat und nach vielen erstaunlichen Abenteuern als französischer Offizier in roter Hose und mit einem schönen Kreuz auf der Brust (=Kriegsorden) zu seinen entzückten Eltern zurückkehrte." (3a) Und genau diese so oft nur geträumte Geschichte, so Hansi weiter, habe er tatsächlich erlebt. Doch bis dies geschieht, sollte es noch ein paar Jahrzehnte dauern. 

Was ist ein boche?

Das Wort "boche" taucht erstmals in Frankreich nach 1870 als abwertende Bezeichnung für die Deutschen auf (les Allemands = les Allboches) und wird hauptsächlich während und nach dem Ersten Weltkrieg gebraucht.

Abb. 02: Les Boches

 

 

 

 

 

Aus: L'Alsace heureuse a.a.O., S. 51 (unten) 

Abb. 3: L'uniforme du gendarme

 

 

 

 

 

 

 

Aus: © La Maison de Hansi, Riquewihr

Nach dem Verlassen des Gymnasiums noch vor dem Abitur schickt der Vater den Sohn im Herbst 1892 nach Lyon, wo er eine Ausbildung als Stoffdesigner erhält und zeitweise auch Kurse an der Ecole nationale des Beaux-Arts besucht. Eine schwere Krankheit ("une grave pleurésie") lässt ihn 1896 ins Elsass zurückkehren, wo er nach seiner Genesung als Zeichner in eine Textilfabrik ("dessinateur industriel") in Cernay, später in Logelbach bei Colmar eintritt. In dieser Zeit sucht er seine Maltechnik zu verbessern; gleichzeitig übt er sich in Radierungen und in der Aquarelltechnik. Inzwischen war in Österreich und in Deutschland die Korrespondenz-Postkarte erfunden worden, der schon bald die ersten Bildpostkarten ("Grüße aus…") folgten. Auf Vermittlung eines Verlegers veröffentlicht er im Jahr 1897 seine erste Postkarte: "Colmar et sa plaine". Postkarten mit elsässischen Kindern, Landschaften und Stadtansichten werden zu seinem bevorzugten künstlerischen Ausdrucksmittel. Einige Postkarten kombinieren diese Motive mit antideutschen Anspielungen. (Abb. 3) 

Immer deutlicher zeichnet sich jetzt ab, dass Hansis Beruf der eines Künstlers sein würde - sehr zur Sorge seiner Eltern, die vor allem die Unsicherheit eines solchen Berufes sahen. Diese Hinwendung Hansis zur elsässischen Folklore korrespondiert mit einer allgemeinen Wiederentdeckung der elsässischen Kultur, wie sie sich um 1900 in der Malerei, im Theater und in der Literatur manifestierte. Jetzt, da eine baldige Rückkehr des Elsass nach Frankreich immer unwahrscheinlicher wurde, begann man sich im Elsass mit der Annexion zu arrangieren, allerdings nicht ohne seine spezifisch elsässische Kultur innerhalb dieses großen Deutschland authentisch bewahren zu wollen. Hansi gewinnt Zugang zu dem Straßburger Kunstmilieu im Umkreis der 1899 gegründeten "Revue alsacienne illustrée". Als im Jahr 1907 unter dem Pseudonym Hansi eine Bilderserie "Vogesenbilder" erschien, hatte er sich bereits einen Namen als Künstler gemacht und Kontakt mit anderen antideutschen Zeichnern aufgenommen. (4) 

Abb. 4: Deutsche Besucher der Hoh-Königsburg

 

 

 

 

 

 


Aus: Le Haut-Koenigsburg dans les Vosges et son inauguration; o.O. o.J., S.XVI; Übersetzung der deutschen Ausgabe 1908 © Editions Dernières Nouvelles d'Alsace

Zunehmend wichtiger und umfangreicher wird in seinem Werk jetzt die antideutsche Karikatur, die zunächst den in den Augen der Elsässer eigenartig kostümierten deutschen Vogesentouristen aufs Korn nimmt, hinter dem immer auch der alldeutsche Propagandist hervortritt (Abb. 4). Colmar, der Wohnort Hansis, war zu diesem Zeitpunkt ein Zentrum der antideutschen Agitation im Elsass, als deren Hauptvertreter der Herausgeber des "Nouvelliste d'Alsace-Lorraine", der abbé Wetterlé, ferner Jacques Preiss und Daniel Blumenthal, alle drei Abgeordnete des Deutschen Reichstags, galten. Gleichzeitig mit den "Vogesenbildern" veröffentlichte Hansi 1907 unter dem Titel "Tours et portes d'Alsace" eine Sammlung seiner Aquarelle, ganz frei von antideutscher Polemik und nur einem ausgeprägten elsässischen Partikularismus verpflichtet, allerdings mit einem Vorwort, in dem ein ehemaliger Mitschüler Hansis, der Colmarer Advokat Joseph Fleurent eine Kontroverse lancierte, "en prônant la seule culture française pour les Alsaciens." (5) Das Jahr 1907 ist für Jacques Waltz ein Jahr der Entscheidung, eine Art "mobilisation civile": Er stürzt sich in den Kampf gegen das Alldeutschtum, "le pangermanisme". (6) 

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Anmerkungen

(1) Die nachfolgenden Angaben zum Curriculum vitae Hansis sind verschiedenen Quellen entnommen, so den zahlreichen Websites im Internet (eine Google-Suche mit dem Stichwort "Jean-Jacques Waltz alias Hansi" ergab annähernd 400 Hits), darunter http://www.ac-strasbourg.fr/etablissement/sites_etab/MARCKO/hansi.htm [1] ,, den Schriften Hansis selbst, die immer wieder autobiographische Hinweise enthalten, dem Aufsatz von Hervé Pinoteau: "Hansi Hèraldiste d'Alsace", der als Einleitung des Nachdrucks von Jean-Jacques Waltz "L'Art héraldique en Alsace" (1975) erschien; s. a. die Homepage des Musée Hansi in Riquewihr (vgl. unten Anm. ): http://www.alsace-route-des-vins.com/artistes/hansi_musee.htm [2] . Ferner:Louis Kubler: Jean-Jacques Waltz (Hansi) 1873-1951, in : Annuaire de la Société historique et littéraire de Colmar II (1951-52), S. 162-168 ; Robert Perreau: Hansi ou l'Alsace révélée, Meaux 1962; ders., Avec Hansi à travers l'Alsace. Le livre du centenaire de Hansi 1873-1973, Colmar 1973; Pierre-Marie Tyl: De Jean-Jacques Waltz à Hansi, in: Le grand livre de l'oncle Hansi, Paris 1982, S. 7-14 ; Mathieu Méras : Lyon et Hansi, in : Mémoire Colmarienne No. 59/Septembre 1995, S. 5-9. - Zu Hansis Vater s. Robert Perreau : André Waltz, père de Hansi, in : Annuaire de la Société historique et littéraire de Colmar XI (1961), S. 110-117. - Sämtliche Übersetzungen in diesem Artikel stammen vom Verfasser. 

(2) So wurde er in der Familie genannt; s. Perreau: Avec Hansi (wie Anm. 1), S. 16. Wenn Hansi Bilder mit seinem richtigen Namen signiert hat, dann immer mit "J. Jacques Waltz".

(3) Hansi: Le paradis tricolore. Petites villes et villages de l'Alsace déjà délivrée. Un peu de texte et beaucoup d'images pour les petits enfants alliées, Paris 1918, S. 17. In das von Hansi gezeichnete Lehrerbild fließen immer wieder Züge des von ihm gehassten Direktors des Colmarer Gymnasiums, Professor Karl Gneisse, ein, der auch das Vorbild für seinen " Professeur Knatschke " abgab. Gneisse, geboren 1857, stammte aus Naumburg an der Saale, war zunächst Lehrer (1891-1895), dann Direktor (1907-1918) an diesem Gymnasium; s. hierzu ausführlich Louis-Paul Mathis: Hansi et le Lycée Bartholdi, in: Annuaire de la Société d'Histoire et d'Archéologie de Colmar XLV (2001-2002), S. 120-132.

(3a) Hansi: L'Alsace heureuse (wie Anm. 15), S. 25.

(4) Hier ist vor allem Henri Zislin, (*Mülhausen 1875, +1958) zu nennen, der bereits vor Hansi mit antideutschen Schriften (so die Zeitschriften "D'r Klapperstei", erschienen 1903-1905, und "Dur's Elsass", 1907-1914) hervorgetreten war und mehrere kleinere Gefängnisstrafen abzusitzen hatte. Vgl. auch Benoît Bruand: La guerre des images 1871-19145, in: Saisons d'Alsace 48. Jg. No. 128 (été 1995), S. 72-81. Zahlreiche Postkarten Zislins finden sich im Internet unter http://www.chez.com/hansi/zcartespostales.htm [3]  und http://perso.wanadoo.fr/horstg/pages/Zislin.htm [4] .

(5) Tyl (wie Anm.), S. 9; vgl. auch Perreau: Avec Hansi (wie Anm. 1), S. 28.

(6) Perreau: Avec Hansi (wie Anm. 1), S. 31.