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'Konsequenzen des Ersten Weltkriegs'
 
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Konsequenzen des Ersten Weltkriegs

Es bedurfte der Erfahrung des Weltkriegs, um die vertrauten politischen Glaubensgewissheiten im nationalprotestantischen wie im republikanisch-laizistischen Milieu in Frage zu stellen und die Dominanz der darauf gründenden Parteien wenigstens für einen kurzen historischen Moment zu erschüttern. Damals schien es in der Corrèze, als sei der Antiklerikalismus im Schlamm der Schützengräben versickert, so dass der rechte Nationale Block hier wie in ganz Frankreich im Geiste der Union sacrée, des Antigermanismus und des Antikommunismus bei den Parlamentswahlen 1919 zulasten der Radicaux obsiegte. Auch in Westmittelfranken kam es an der Jahreswende 1918/19, entgegen der historischen Tradition des Raumes, zu einer – allerdings nur sehr kurzen – parteipolitischen Lähmung des kaisertreuen, mit der Schuld an der militärischen Niederlage belasteten Konservativismus; hiervon profitierte indes nicht der – allzu nationale – Liberalismus, sondern die Sozialdemokratie, der es freilich nicht gelang, sich im Milieu zu verankern, so dass ihre Erfolge einmalig blieben.

Schon die bayerischen Räterevolutionen, die mit ihnen wachsende ”Große Furcht” vor dem religions- und eigentumsfeindlichen Bolschewismus und die Explosion eines Nationalismus der Niederlage nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrags [1] führten indes bei dem ”vaterländisch” gesonnenen lutherischen Landvolk wieder zu einer Rückbesinnung auf die Positionen von vor 1918 und begründeten den Aufstieg der Deutschnationalen Volkspartei, die im wesentlichen das Erbe der Deutschkonservativen in der Provinz übernahm, aber auch rasch als evangelisch-agrarische Protestpartei die Klientel des mit der Verantwortung für das ”Weimarer System” und seine außen- und wirtschaftspolitischen Misserfolge belasteten, ”jüdisch-demokratischen” Liberalismus zu absorbieren begann.

Abbildung 5:

Germania am Marterpfahl – eine zeitgenössische Propagandapostkarte (um 1920), die die tief empfundene Schmach über den Friedensvertrag von Versailles zum Ausdruck bringt.

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [2]

Während der Kommunismus für das Bauern- und Bürgertum in Westmittelfranken vor dem Erfahrungshintergrund der Revolutionen im eigenen Land durch die ganzen Weimarer Jahre vor allem ein Schreckbild blieb und die radikal-sektenhafte Entstehung der deutschen KPD jenseits der sozialdemokratischen Tradition ebenso wie ihre dogmatische Strenge nicht zuletzt in agrarpolitischer Hinsicht eine Einnistung im regionalen Wählermilieu unmöglich machte, nahm der französische Kommunismus gerade auf dem Lande einen ganz anderen Weg. Dass die Anhänger eines Anschlusses an die neue kommunistische Internationale auf dem sozialistischen Parteitag in Tours 1920 die Mehrheit stellten, verschaffte die Section Française de l’Internationale Communiste (SFIC) von vornherein eine ungleich günstigere Stellung im Parteiensystem Frankreichs, zumal der Sozialismus dort seit seinem Bündnis mit dem liberalen Bürgertum in der Affäre Dreyfus [3] (vgl. Beitrag Cabanel [4] ) bereits viel näher an die Republik herangerückt war als die SPD vor 1914 an den monarchischen deutschen Staat.

Abbildung 6:

Wegen angeblichen Verrats militärischer Geheimnisse an das Deutsche Reich wurde der Hauptmann Alfred Dreyfus 1894 auf der Grundlage gefälschten Beweismaterials von einem Militärgericht aus der Armee ausgestoßen und zu lebenslänglicher Verbannung auf die Ile du Diable (vor Cayenne, Französisch-Guyana) verurteilt. Nachdem Indizien für ein unrechtmäßiges Verfahren an die Öffentlichkeit gedrungen waren, entwickelte sich die Dreyfus-Affäre zur größten innenpolitischen Krise der dritten französischen Republik um die Jahrhundertwende.

 

Internet-Quelle [5]

Überdies sorgten pragmatische Politikerpersönlichkeiten, die für den Wähler in Frankreich insgesamt mehr Orientierung boten als die - in Deutschland so wichtigen - Parteien selbst, in der Corrèze und in einer Reihe ländlicher Verbände der Parti Communiste Français (PCF [6] ) dafür, dass selbst zentral verordnete ultralinke ideologische Phasen überstanden werden konnten; so fand der Ruralkommunismus zumindest in wirtschaftlich benachteiligten Gegenden bei Kleinbauern und Handwerkern als eine spezifisch sozialkonservative Schutztruppe Akzeptanz, die deren bescheidenes Eigentum nicht nur zu achten, sondern sogar noch zulasten der ”Gros” zu vermehren versprach. In diesem Sinne wurde der weit entfernten russischen Revolution als einer Bewegung zur Umverteilung des Bodens sogar Vorbildcharakter zugesprochen. Mit der Verankerung einer Kommunistischen Partei, die den Mitgliederstamm sowie den Organisationsapparat der Section Française de l’Internationale Ouvrière (SFIO) fast vollständig übernahm und bald ziemlich stabil um die 20 Prozent der Corréziens ansprach, verstärkten sich die schon vor 1914 zu beobachtenden Tendenzen des politischen ”Sinistrismus” in der Region noch weiter.

Wie schwer das Gewicht tradierter Mentalitäten auch nach den vorübergehenden Irritationen der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Regionen wog, war vor allem im Spannungsfeld von staatlicher Kirchenpolitik und lokalen politisch-religiösen Verhaltensweisen zu beobachten. Erstaunlich wenig beeinflusst von den großen politischen Ereignissen des Burgfriedens und der Union sacrée, vom gemeinsamen Kriegserlebnis evangelischer und katholischer bzw. kirchlicher und laizistischer Bevölkerung, wirkten die alten Mentalitäten des Antiklerikalismus wie des anti-ultramontanen Konfessionalismus in Form eines ”Kulturkampfs von unten” bis in die dreißiger Jahre hinein fort, sei es in Form des ”rumeur infâme” gegen die Leistungen corrézischer Pfarrer an der Front, sei es in Westmittelfranken als Empörung über die katholische These, 1918 habe mit Deutschland Martin Luther den Krieg verloren. In der Corrèze hatte der Antiklerikalismus eine stabilisierende Funktion für die politische Linke, wobei die Sozialisten seit Ende der zwanziger Jahre zunehmend den Radicaux die angestammte Rolle als Speerspitze des Laizismus streitig machten. In Westmittelfranken profitierten von anhaltenden konfessionellen Konflikten zwischen Lutheranern und Diaspora-Katholiken zunächst die DNVP, dann aber die NSDAP als ”evangelische Integrationsparteien” (W. Pytha).