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'Die Kampagne gegen die Notstandsgesetze'
 
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Die Kampagne gegen die Notstandsgesetze

Am 11. Mai 1968 fuhren 50.000 Studenten aus ganz Deutschland, junge Arbeiter und Gewerkschafter der IG Metall und IG Chemie zum Sternmarsch nach Bonn, um gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze [1] durch den Bundestag zu demonstrieren.

Abbildung 10:

Die sechziger und die erste Hälfte der siebziger Jahre sind als Zeiten des Wandels in die deutsche Nachkriegsgeschichte eingegangen.
Während die fünfziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland von Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Festigung des Staatswesens geprägt waren, brachten die folgenden Jahrzehnte erste Wirtschaftskrisen, Elitenwechsel - führende Repräsentanten, die noch in der Weimarer Republik ihre Karriere begonnen hatten, traten ab - , Jugendprotest, Politisierung der Bevölkerung, gesellschaftliche Reformen und Ansätze zu einer neuen Außen- und Deutschlandpolitik

 

Internet-Quelle [2]

Warum erfolgte diese Rückkehr zu Formen des Kampfes, die die deutsche Studentenbewegung abgelehnt hatte? Dass die Aktionslogik der traditionellen Linken wieder aufgenommen wurde, hängt mit dem Gefühl der Ohnmacht zusammen, das die APO nach den gewalttätigen Demonstrationen 1967-1968 erfasst hat: In den Augen der traumatisierten Studenten stellten die erlebten Konflikte einen Bürgerkrieg dar. Von den politischen Institutionen und vor allem von der Springer-Presse als Gesetzlose verunglimpft, der Bevölkerung zur Befriedigung von Rachegelüsten zum Fraß vorgeworfen, meinten die Studenten nur dann politisch überleben zu können, wenn es ihnen gelänge, eine breite gesellschaftliche Unterstützung, Partner außerhalb der Universitäten zu finden, im Klartext: wenn die Arbeiterklasse die Ziele ihres Kampfes unterstützen würde. Die Wiederentdeckung des Proletariats, welche die Dogmatisierung der Studentenbewegung zur Folge haben sollte, hing auch eng mit den Ereignissen des Mai 1968 in Frankreich [3] zusammen.

Abbildung 11:

Mai-Unruhen 1968 in Paris 
(vgl. Beitrag Guilcher-Holthey [4] )

 


 Internet-Quelle [5]

Die Pariser Barrikaden faszinierten die deutschen Studenten. In Paris hatten die Arbeiter gezeigt, wozu sie in der Lage waren und sich auf die Seite der Studenten gestellt. Aber auch Berlin setzte Zeichen: Wenn auch in kleinerem Maßstab, so hatten sich nämlich auch hier immerhin 30.000 Arbeiter mit den Studenten solidarisiert, indem sie sich der vom SDS organisierten Gegendemonstration während der traditionellen Arbeiterdemonstration vom 1. Mai 1968 anschlossen. (Die Faszination für die Arbeiterbewegung sollte nach den ersten großen wilden Streiks [6] der Geschichte der Bundesrepublik im Ruhrgebiet September 1969 zunehmen.) Im gleichen Maße, wie die Studenten die Kategorien des klassischen Marxismus wieder entdeckt haben – Proletariat und Klassenkampf –, näherten sie sich den traditionellen Kampfformen der Arbeiterbewegung an: Agitprop in den Betrieben, Einführung von Kaderorganisationen und strengerer Organisationsformen, Streiks. In den Tagen nach der ersten Lesung der Notstandgesetze im Bundestag rief der SDS in den Universitäten und Betrieben zum Generalstreik auf, um gegen die Durchführung der zweiten und dritten Lesung der Texte im Bundestag zu kämpfen. Durch die Anzahl der Arbeiter ermutigt, die an dem Marsch auf Bonn teilnahmen (allein 3000 Personen der Firma Ford in Köln), und bestärkt durch den Streik Tausender Arbeiter in über 30 Betrieben in Frankfurt während der zweiten Lesung der Notstandsgesetze, glaubte der SDS, dass nun endlich der gemeinsame Kampf von Studenten und Arbeitern möglich sei. Die neue Ausrichtung des SDS auf die Arbeiterschaft belegt, dass ein großer Teil der Studentenbewegung in eine neue Phase des Kampfes eingetreten war. Zu dem Zeitpunkt als die Kampagne gegen die Notstandsgesetze durchgeführt wurde, hatten sich bereits Kadergruppen - "K-Gruppen" - in den Betrieben mit maoistischer, leninistischer oder trotzkistischer Tendenz überall in der Bundesrepublik konstituiert.

Abbildung 12:

Marx, Engels, Lenin, Che Guevara: Symbolfiguren der Studentenbewegung

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 13:

 

 

 

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [7]

Unter der Vielzahl roter Zellen, die allerorts entstanden, erlangten einige Gruppen eine gewisse Bedeutung wie die Proletarische Linke/Parteiinitiative (PL/PI [8] ), die Proletarische Front (PF), die Kommunistische Partei Deutschlands/Aufbauorganisation (KPD/AO) und der Kommunistische Bund /Marxisten-Leninisten [9] . Sie alle einte das Schlagwort "Parteiaufbau". Die Hauptbastionen der "Traditionalisten", d.h. auf die Arbeiterschaft ausgerichteten Gruppierungen, lagen in Marburg und Köln und orientierten sich an der Zeitschrift "Facit", die vom SDS/Köln herausgegeben wurde. Die Traditionalisten organisierten sich in verschiedenen Vereinigungen wie der ASO (Arbeitsgemeinschaft Sozialistische Opposition), die vom Sozialistischen Zentrum kontrolliert wurde. Diese Traditionalisten, die sich für die Gründung einer Arbeiterpartei links von der SPD eingesetzt hatten, fanden schließlich eine neue politische Heimat, als im September 1968 offiziell die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) gegründet wurde. Die libertären Strömungen blieben lose in Klubs und Aktionsgruppen organisiert Und brachten eine Reihe lokaler Zeitschriften [10] heraus, die zumeist nur kurzen Bestand hatten. Einige Zeitschriften erlangten größere Bedeutung wie "883" (1971), "Fizz" (1972), "Die soziale Revolution ist keine Parteisache!" (1971) und "MAD. Materialien, Analysen, Dokumente" (1971), die später von "Revolte, Anarchistische Zeitschrift" abgelöst wurde. Weiterhin erschienen "Schwarzfront. Zeitschrift für Theorie und Praxis der libertären Bewegung" (1972), "Schwarze Protokolle. Zur Theorie der linken Bewegung" (1972), "Politikon", herausgegeben vom SDS/Göttingen und "Links. Sozialistische Zeitung" (1969). Das im April 1969 gegründete Sozialistische Büro (SB) setzte sich zum Ziel, alle diese anarchistisch geprägten Gruppen in einer flexiblen Struktur zu einen (Chronologischer Abriss [11] ).