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Bestandsaufnahme

Nach dem Zerfall der kommunistischen Regime und der Überwindung des Staatensystems, wie es der Kalte Krieg hervorgebracht hatte, entwickelten sich unterschiedliche konzeptionelle und praktische Ansätze, um der Neuordnung Europas neue Gestalt und ein zukunftsfähiges Profil zu verleihen. Zu den innovativen Ansätzen, die zu Beginn der neunziger Jahre Konturen annahmen, gehört die Konzeption des „Weimarer Dreiecks“, das mit einem Außenministertreffen [1] am 28. August 1991 in Weimar durch die damaligen Außenminister Roland Dumas (Frankreich), Hans-Dietrich Genscher (Deutschland) und Krzysztof Skubiszewski (Polen) initiiert wurde. Diesem folgten seither zahlreiche weitere Treffen auf Außenminister und Präsidentenebene, sodass eine Bestandsaufnahme und ein Ausblick bezüglich der Ideen und Potenziale des „Weimarer Dreiecks“ gerechtfertigt scheint.

Abbildung 1:

Treffen der Außenminister des "Weimarer Dreiecks" Hubert Védrine (Frankreich), Bronislaw Geremek (Polen), und Joschka Fischer (Deutschland) am 6. Januar 1999 in Paris.

 

Internet-Quelle

Ausgangspunkt der Idee des „Weimarer Dreiecks“ war die Erkenntnis, dass es ebenso notwendig wie möglich sei, gemeinsame Grundinteressen zwischen Frankreich, Deutschland und Polen in bezug auf die Zukunft der Entwicklung Europas zu identifizieren. Zugleich sollte eine Gesprächskultur entwickelt werden, die unterschiedliche Ausgangslagen anerkennt und nicht immer konvergierende europapolitische Zielvorstellungen respektiert, ohne die Chance zur Stärkung der französisch-deutsch-polnischen Beziehungen als einem künftigen Motor der europäischen Integration zu vermindern. Unterdessen ist ein dichter Konsultationsprozess und ein hohes Maß an Gesprächskultur in den französisch-deutsch-polnischen Beziehungen entstanden. Beides dient dem wechselseitigen Verständnis und der vertieften Weiterentwicklung gemeinsamer europapolitischer Vorstellungen. Dazu gehört der intensive Austausch über strategische und grundsätzliche Fragestellungen ebenso wie die Suche nach praktisch relevanten Vorhaben, um die französisch-deutsch-polnischen Beziehungen als Motor der europäischen Integration nutzbringend zu stärken, ohne einen Anspruch auf Exklusivität im Verhältnis zu den anderen Partnerstaaten der Europäischen Union zu erheben.

Zu Beginn der neunziger Jahre strebten die drei Partnerländer durchaus mit unterschiedlichen Ausgangsüberlegungen aufeinander zu. Polen hatte nach der Überwindung der kommunistischen Herrschaft in Deutschland einen erklärten Fürsprecher für sein Ziel der vollen Westbindung gefunden. Zugleich suchte das Land einen zweiten Verbündeten für die Realisierung seines Ziels der europäischen Integration. Während es in den Vereinigten Staaten einen Verbündeten für das Ziel der raschen NATO-Mitgliedschaft finden konnte, richtete Polen seine Hoffnungen in bezug auf die angestrebte Integration in die Europäische Union darauf, mit Frankreich den wichtigsten deutschen Partner im europäischen Integrationsprozess für das Ziel der polnischen Europaintegration zu gewinnen. Deutschland definierte alsbald nach Überwindung des Kalten Krieges und der kommunistischen Regime die Osterweiterung als sein vorrangiges europapolitisches Ziel und betonte frühzeitig die hohe Bedeutung, die eine Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union aus deutscher Sicht haben würde.

Abbildung 2:

Kwasniewski während des Treffens des Weimarer Dreiecks in Poznan (Posen), 1998

 

 

 

Internet-Quelle [2]

Zugleich war Deutschland von Anfang an außerordentlich daran interessiert, den wichtigsten europapolitischen Partner Frankreich in die Entwicklung gemeinsamer Vorstellungen über die Bedeutung der EU-Osterweiterung einzubeziehen. Frankreich empfand die Notwendigkeit einer Neubestimmung der Grundlagen der deutsch-französischen Beziehungen im Angesicht der deutschen Einigung, die in Frankreich vielfach als relativer eigener Statusverlust in Europa empfunden wurde. Zugleich versuchte es seine eigenen europapolitischen Vorstellungen, die eindeutig von der Priorität der Notwendigkeit einer weiteren Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses geprägt waren, mit den strategischen Interessen Deutschlands angesichts der allgemeinen Suche nach einer Neuordnung für den gesamten Kontinent zu harmonisieren. Auf dieser Basis entstand bei allen drei Partnerländern der Wunsch nach einer weitest möglichen Konvergenz des jeweiligen europapolitischen Denkens und der Entwicklung gemeinsamer, zielgerichteter europapolitischer Interessen.

Abbildung 3:

Stadtrundgang der Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands und Polens anlässlich des “Weimarer Dreiecks“ in Wroclaw, dem früheren Breslau, am 9. Mai 2003

 

 

Internet-Quelle

Diese Entwicklung prägte die erste Phase des Weimarer Dreiecks, die von 1991 bis zum Abschluss des Amsterdamer Vertrages [3] und den Beschlüssen des EU-Ministerratstreffens von Luxemburg am 12./13. Dezember 1997 währte. Nun war Polen ein offizieller Beitrittskandidat zur Europäischen Union geworden, eine neue Phase des „Weimarer Dreiecks“ hatte begonnen. Auch anlässlich des 10. Außenministertreffens des „Weimarer Dreiecks“ hält diese Phase noch an. Sie wird geleitet von der Frage, auf welche Weise die beiden größten Mitgliedstaaten der Europäischen Union dem größten Kandidatenland unter den beitrittswilligen Staaten Mittelost- und Osteuropas Hilfestellungen auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union geben können. Dabei geht es ebenso sehr um die Entwicklung eines gleichgerichteten außen- und europapolitischen Denkens als auch um die Bestimmung praktischer Kooperationsbemühungen. Zu diesen gehören unter anderem folgende gemeinsame Beschlüsse und Empfehlungen, auf die die Außenminister sich während des 8. Treffens am 6. Januar 1999 in Paris einigen konnten:

  • Das Format des „Weimarer Dreiecks“ soll künftig neben den bereits im „Weimarer Dreieck“ - Format konsultierenden Verteidigungsministern auch von weiteren Fachministern genutzt werden, wobei zunächst die Umwelt-, Innen- und Verkehrsminister trilaterale Treffen im Stil des „Weimarer Dreiecks“ durchführen sollen. Am 7. Mai 1999 fand überdies zum zweiten Mal - nach dem ersten Treffen im Frühjahr 1998 in Posen - ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des „Weimarer Dreiecks“ in Nancy statt.
  • Den Bürgermeistern von Berlin, Paris und Warschau wurde von den Außenministern die Einrichtung einer dreiseitigen Städtepartnerschaft nahegelegt.
  • Die Außenminister ermunterten die Stärkung der Zusammenarbeit auf den Gebieten der zivilen Luftfahrt und der militärischen Rüstung.
  • Ein Ausbau der bereits bestehenden trilateralen Zusammenarbeit von Unternehmern und Unternehmen wird als besonders wünschenswert angesehen.
  • Trilaterale kulturelle Veranstaltungen sollen erweitert und unterstützt werden, wobei der Jugend- und Kulturaustausch durch die Organisation eines Festivals miteinander verbunden werden soll, wodurch das deutsch-französische beziehungsweise das deutsch-polnische Jugendwerk näher aneinander rücken können.
  • Mit Hauptsitz in Warschau soll ein trilaterales Graduiertenkolleg unter Einbeziehung bereits existierender Institutionen entstehen.
  • Polen soll zunehmend und verstärkt an der Entwicklung des bisherigen deutsch-französischen Fernsehkanals „Arte“ beteiligt werden.

Abbildung 4:

Bundeskanzler Gerhard Schröder bei seiner Ansprache während des „Weimarer Dreiecks in Wroclaw, dem früheren Breslau, am 9. Mai 2003

 

 

 

Internet-Quelle [4]

Neben solchen konkreten Beschlüssen und Empfehlungen diente das „Weimarer Dreieck“ in den vergangenen Jahren verstärkt als Forum des Meinungs- und Gedankenaustauschs über die jeweils aktuelle Tagesordnung der Europäischen Union sowie über anstehende regionale Fragen mit Wirkung auf die Entwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Damit hat das Weimarer Dreieck in seiner zweiten Phase bereits automatisch die Perspektive anklingen lassen, auf welche Weise nach einem erfolgreichen Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Polen und den anderen mittel- und mittelosteuropäischen Kandidatenstaaten der Zweck des „Weimarer Dreiecks“ weiterführend bestimmt werden kann, ohne dass der bisherige trilaterale Kooperations- und Konsultationsmechanismus seine Zweckgerichtetheit und zielbezogene Relevanz verlieren würde. In dieser Phase des Weimarer Dreiecks überlagern sich mithin die Themenstellungen, die sich aus den aktuellen Beitrittsverhandlungen Polens mit der Europäischen Union und anderen mittelosteuropäischen Staaten ergeben, mit den künftigen Perspektiven einer um mittel- bzw. mittelosteuropäischen Staaten erweiterten Europäischen Union. Ein klar definiertes strategisches Konzept für diese Zukunft der Europäischen Union besteht noch nicht. Das „Weimarer Dreieck“ kann ein Resonanzboden sein, um dieser Perspektive vorzuarbeiten. Daher müssen Überlegungen im Blick auf die langfristig angelegte Strategie und Entwicklungsperspektive der Europäischen Union sowie Folgerungen aus möglichen Problemen und Vorbehalten, die sich einerseits aus der Erweiterung der Europäischen Union und andererseits aus dem Potenzial des trilateralen „Weimarer Dreiecks“ im Blick auf die Ausgestaltung der Beziehungen mit den anderen EU-Partnerländern ergeben könnten, bereits heute antizipiert und in die weitere Fortentwicklung des „Weimarer Dreiecks“ einfließen, ohne dass auf den endgültigen Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen mit Polen und anderen mittel- und mittelosteuropäischen Kandidatenstaaten gewartet werden kann.

Abbildung 5:

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac während des „Weimarer Dreickes“ in Wroclaw, dem ehemaligen Warschau, am 9. Mai 2003

 

 

 

Internet-Quelle

Probleme des „Weimarer Dreiecks“ sind während der neunziger Jahre nicht zu übersehen gewesen. Immer wieder neu bedurfte es einer Definition der angestrebten gemeinsamen Interessen und der Austarierung jener „Tabuzonen“, die eher bilateral als zu dritt besprochen werden können. Besonders wichtig war und blieb es für die Akteure des „Weimarer Dreiecks“, mit Vorbehalten der anderen Partnerstaaten innerhalb der Europäischen Union beziehungsweise aus dem Kreis der Beitrittskandidaten sinnvoll und angemessen umzugehen. Das klare Bekenntnis der Europäischen Union, wie es der Amsterdamer Vertrag bestätigt, lautet: Es gibt und soll keine variable Geometrie im europäischen Integrationsgefüge geben, Konstellationen der Vernetzung und der Koalitionsbildung, die über den normalen Vorgang der Herausbildung von Mehrheiten im Rahmen der Entscheidungsprozesse, die die Europäische Union betreffen, hinausgehen, kann und darf es nicht geben. Insofern ist das „Weimarer Dreieck“ eine Ausnahme innerhalb des derzeitigen Heranführungsprozesses und des künftigen Entwicklungsprozesses der EU. Als eine Ausnahme kann das „Weimarer Dreieck“ nur dann angemessen legitimiert werden und die anderen Partner im europäischen Integrationsprozess vor Irritationen und Missverständnissen schützen, wenn Zweck- und Zielbestimmungen des „Weimarer Dreiecks“ komplementär zum europäischen Integrationsprozess verlaufen, diesen durch die Motorfunktion der französisch-deutsch-polnischen Beziehungen befördern und gegenüber allen anderen Partnern und informellen wie formellen Entscheidungsbildungsprozessen innerhalb der Europäischen Union keinen Exklusivitätsanspruch erheben.

Abbildung 6:

Bundeskanzler Gerhard Schröder (2.v.r.), der Präsident der Republik Polen, Aleksander Kwasniewski (Mitte), und der französische Staatspräsident Jacques Chirac (2.v.l.), stellen sich für ein Erinnerungsfoto im Ratskeller von Wroclaw (Breslau) auf.

 

Internet-Quelle [5]

Vor diesem Hintergrund bedarf es einer Bilanz der bisherigen Funktionsweise des Weimarer Dreiecks und der Beantwortung der Frage, auf welche Weise die bisher in Erscheinung getretenen Akteure Potenziale und Perspektiven der weiteren Ausgestaltung der trialogischen Kooperation im Rahmen des „Weimarer Dreiecks“ haben nutzen können. Darüber hinaus bedarf es eines Blicks auf die Potenziale und Aufgaben der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts, wobei es notwendig ist, mögliche Vorbehalte in den drei Staaten, zwischen den drei Partnerstaaten und gegenüber den anderen Partnern im Raum der Europäischen Union beziehungsweise der EU-Kandidatenländer in Rechnung zu stellen.