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'Wird das „Weimarer Dreieck“ die Aufnahme Polens in die Europäische Union überleben?'
 
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Wird das „Weimarer Dreieck“ die Aufnahme Polens in die Europäische Union überleben?

Auf dem Weg zur Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union hat sich das „Weimarer Dreieck“ als ein sinnvolles Instrument etabliert, das als Motor des Erweiterungs- und des inzwischen konkret gewordenen Verhandlungsprozesses verstanden werden kann. Daher sollte das „Weimarer Dreieck“ in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts noch stärker als davor Impulse geben oder befördern, die in Polen als hilfestellende Vorbereitung für den EU-Beitritt durch die beiden größten Mitgliedstaaten der heutigen Europäischen Union gegenüber dem größten Kandidatenland verstanden werden. Sinnvoll waren im Bereich der Wirtschaft bereits zwei Unternehmenstreffen, die in Straßburg im Sommer 1997 und unter Thüringer Schirmherrschaft in Krakau im Herbst 1998 stattgefunden haben.

Beide Treffen waren von einer hohen Intensität der Kommunikation und von sinnvollen Folgeprojekten und Aktivitäten gekennzeichnet. Im Bereich der Kultur haben verschiedene trialoge Begegnungen im Format des „Weimarer Dreiecks“ stattgefunden, so beispielsweise das deutsch-französisch-polnische Schriftstellertreffen „Trialog“ in Freiburg vom 12. bis 15. Mai 1998 und das polnisch-deutsch-französische Kolloquium „Les voix de la coopération“ am 14./15. November 1998 in Krakau. Aktivitäten dieser Art sollten weiter ermuntert und durch die Regierungen der drei Partnerstaaten des „Weimarer Dreiecks“ gefördert werden.

Abbildung 7:

Die Ostererweiterung der EU

 

 

 

 

 

Internet-Quelle, s. auch weitere Karte [1]

Seit seiner Entstehung ist das „Weimarer Dreieck“ allerdings auch mit den Schwierigkeiten konfrontiert worden, die sich sowohl in den verschiedenen bilateralen Verhältnissen als auch in bezug auf die Entwicklung gemeinsamer langfristiger Perspektiven für Europa insgesamt ergeben. Um die dadurch entstehenden Wahrnehmungs-, Interessen- und Handlungsunterschiede konstruktiv aufzufangen, muss das „Weimarer Dreieck“ der Grunderkenntnis der erfolgreichen jahrzehntelangen deutsch-französischen Zusammenarbeit folgen, die trotz aller Unterschiede in spezifischen Interessenbestimmungen und trotz unterschiedlicher Ausgangsparameter der europapolitischen Lage beider Länder immer wieder die entscheidende Dynamik entwickelt hat, um als Motor für die Weiterentwicklung des europäischen Integrationsprozesses sowohl in bezug auf seine Vertiefung als auch hinsichtlich der Erweiterung der Europäischen Union zu wirken. Im Blick auf die künftigen Perspektiven der Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und der im Zuge der gegenwärtigen Erweiterungsrunde anstehenden Einbeziehung einer Reihe von Staaten Mittel- und Mittelosteuropas wird auch in Zukunft eine Dynamik benötigt, um den europäischen Integrationsprozess zielgerichtet weiterzuführen. Dabei kann das „Weimarer Dreieck“, das geographisch von Brest [2] nach Brest [3] die Mittelachse des europäischen Festlands symbolisiert, eine nützliche Rolle spielen.

Die im „Weimarer Dreieck“ zusammengeschlossenen Partner verkörpern die drei kulturellen Archetypen des Kontinents, das lateinische, das germanische und das slawische Element, wobei dies häufig in der Wahrnehmung übereinander stärker artikuliert wird als dass es in der Selbstdefinition der drei Partner eine relevante Kategorie bilden würde. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass unterschiedliche Methoden der Organisation von Staat und Gesellschaft und mithin auch der Zugangsweise zu europapolitischen Fragestellungen bestehen. Es gilt, ein konstruktives wechselseitiges Verständnis füreinander zu wecken und die Möglichkeiten der Entwicklung einer gemeinsamen europapolitischen Orientierung zu fördern. Die für die Politik handlungsleitende Frage dabei bleibt, auf welche Weise sich die Perspektiven für die Ausgestaltung des „Weimarer Dreiecks“ nach einem Beitritt Polens zur Europäischen Union stellen werden:

  • Was wird das jeweilige Interesse der drei Partner sein, auf welche Weise lässt sich die Schnittmenge eines gemeinsamen Interesses definieren und das Störpotenzial unterschiedlicher Interessen aller drei bzw. jedes einzelnen der drei Partner gegenüber den Partnerländern und anderen Erwägungen im Rahmen der Europäischen Union minimieren?
  • Will und kann Frankreich weiterhin Deutschland als seinen präferierten EU-Partner an sich binden und gemeinsam mit Deutschland die Folgen der EU-Osterweiterung konstruktiv gestalten? Findet Frankreich eine europapolitisch angemessene Balance zwischen der durchaus auch in Frankreich anerkannten ersten Priorität der Osterweiterung und den Implikationen des französischen Bemühens um eine Intensivierung der Mittelmeerpolitik der Europäischen Union? Welche Handlungsräume ergeben sich in bezug auf jene Politikfelder, die, wie die Agrarpolitik, von dezidiert nationalen französischen Interessen geprägt sind?
  • Will, wird und muss Deutschland weiterhin ein Interesse an der Erweiterung des deutsch-französischen Motors unter Beibehaltung von dessen ureigenster Bedeutung und mit dem Ziel haben, das „Weimarer Dreieck“ als neuen, zukunftsträchtigen Motor der europapolitischen Entwicklung des künftigen europapolitischen Handelns zu pflegen? Oder strebt Deutschland nach einer Erweiterung des deutsch-französischen Motors um einen britischen Partner unter Verzicht auf den weiteren Ausbau des „Weimarer Dreiecks“ als eines künftigen Motors der Europapolitik? Oder droht Deutschland seine europapolitische Motorrolle zugunsten von innenpolitischen Erwägungen, die sich an Kosten-Nutzen-Überlegungen orientieren, aufzugeben und in der Vermutung, das größte Mitgliedsland könne sich selbst durchaus genug sein, europapolitisch eher zu provinzialisieren?
  • Wird Polen auch nach einem Beitritt von Deutschland und von Frankreich gleichermaßen als relevanter Partner verstanden und zugleich im Kreis der künftigen EU-Neumitglieder als größter Akteur dieses Kreises in einer gewissen Sprecherrolle akzeptiert? Entwickelt Polen kreative und konstruktive europapolitische Vorstellungen und eine damit in Verbindung stehende innenpolitische Diskussionskultur, die die Europäische Union nicht allein als Instrument der finanziellen und politischen Unterstützung des polnischen Transformationsprozesses definiert, sondern dazu beiträgt, dass Polen auf originäre Weise eigene europapolitische Zielvorstellungen artikuliert, die sich an den Erfahrungen und bewährten Erfolgen der bisherigen europäischen Integration orientieren, wiewohl Polen die Prozesse der vergangenen Jahrzehnte nicht aktiv hat miterleben können?

Abbildung 8:

Die Beitrittsländer zur EU am 01. Mai 2004

 

 

 

 

Internet-Quelle

Die Folge solcher in ihren Auswirkungen keineswegs unproblematischer Fragestellungen ist eindeutig: Das „Weimarer Dreieck“ muss seine Zwecke und Zielvorstellungen schon heute neu bestimmen und auf eine Weise stärken, die verhindert, dass es nicht inhaltsleer und auf Dauer überflüssig wird. Um dies zu vermeiden, bedarf es einer offenen Diskussion über die langfristig auf die Europäische Union zukommenden Fragestellungen und das in ihnen angelegte Potenzial zur Entwicklung gemeinsamer Interessen und politischer Positionen; beides darf nicht tabuisiert und aufgrund einer falsch verstandenen Höflichkeit oder auch nur deswegen ausgeklammert werden, weil im „Weimarer Dreieck“ zwischen Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und Polen auf der anderen Seite noch immer das Gefühl herrscht, man spreche zwischen zwei Ländern, die „drinnen“ sind und einem, das „draußen“ ist, so dass ein gemeinsames Gespräch über gemeinsame Zukunftsvorstellungen von den Entwicklungsprozessen der Europäischen Union noch nicht möglich oder noch nicht wünschbar sei. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Bereits heute das Denken bei allen beteiligten Partnern radikal und so zu ändern, als sei Polen bereits Mitglied in der Europäischen Union und als müsse das „Weimarer Dreieck“ die europapolitischen Entwicklungsprozesse und Zielvorstellungen gemeinsam reflektieren, ist zwingend notwendig.

Die bisherigen Erfahrungen während der neunziger Jahre erlauben es, das „Weimarer Dreieck“ als ein Hülle zu bezeichnen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Inhalten zum Wohl der drei beteiligten Partner und des europäischen Diskussions- und Integrationsprozesses insgesamt gefüllt werden kann. Dazu ist es notwendig, über die zentralen Themen der europapolitischen Entwicklungen im Rahmen des „Weimarer Dreiecks“ schon heute zu diskutieren und, wo immer möglich, Verständigung in der Lageanalyse und der Entwicklung europapolitischer Strategien zu erreichen, die über die bilateralen und internen Fragen innerhalb der drei Partnerstaaten des „Weimarer Dreiecks“ hinausgehen und die Perspektiven der Europäischen Union insgesamt zum Ziel haben. Das „Weimarer Dreieck“ muss Diskussionsprozesse einleiten, die es Frankreich, Deutschland und Polen erlauben, gemeinsam an Perspektiven der Europäischen Union zu arbeiten, die über die erste Dekade des 21. Jahrhunderts hinaus dem europäischen Integrationsprozess Dynamik, Richtung und Tiefgang geben können.