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'Gaullistische Traditionen und europäische Realitäten'
 
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Gaullistische Traditionen und europäische Realitäten

Frankreich hat Russland seit den gaullistischen Grundlagen seiner heutigen Außenpolitik stets als zumindest potenzielles Gegengewicht zu den USA angesehen, mit dem, wenn nicht koaliert, so doch zumindest "geflirtet" werden kann. Der Zusammenbruch der UdSSR wurde zwar aus antikommunistischer Perspektive begrüßt, hat sich jedoch aus französischer geopolitischer Perzeption nicht nur positiv für Paris ausgewirkt. Das Ende der "Ordnung von Jalta [1] ", in der Paris zumindest formal seine Unabhängigkeit bewahren konnte, machte eine vollständige Neudefinition der französischen Rolle in der Welt notwendig. Frankreich musste seine anfängliche Zurückhaltung gegenüber der von Russland stark kritisierten NATO-Erweiterung aufgeben und eine Ausdehnung der euro-atlantischen Strukturen tolerieren.

Die durch den Bosnien-Krieg erfolgte Annäherung Frankreichs an die NATO sowie die NATO-Operation im Kosovo-Konflikt machten deutlich, dass der französische "Spagat" zwischen euro-atlantischer Ordnung und Russland ein stärkeres Gewicht in der französischen Politik einnimmt, als dies partielle und temporäre Allianzen zwischen Frankreich und Russland im UN-Sicherheitsrat vermuten lassen. Frankreich erkennt mehr und mehr, dass eine ausschließlich auf Russland konzentrierte Europapolitik den Handlungsspielraum von Paris beim Aufbau einer neuen europäischen Ordnung einschränken würde.

Abbildung 6:

Offizieller Besuch von Wladimir Putin, Präsident der Russischen Konföderation, in Paris: Pressekonferenz mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und dem Präsidenten der Europäischen Kommission Romano Prodi am 30. Oktober 2000.

Internet-Quelle

Dennoch scheint in der französischen Perzeption der Wunsch nach einem starken Russland vorzuherrschen, was dazu führt, den derzeitigen geringen Handlungsspielraum der russischen Diplomatie zu unterschätzen. Genauso wie die USA eine "starke Ukraine" als Bestandteil eines "geopolitischen Pluralismus" anstreben, genauso erliegt Paris partiell der Versuchung eines "starken Russland" als Bestandteil einer "multipolaren Weltordnung". Doch bereits die Debatten um die NATO-Erweiterung und die von den USA und Russland ausgearbeitete NATO-Russland-Charta zeigen die Grenzen eines solchen Ansatzes auf. Gleiches gilt für die aktuellen Debatten um die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, in die Russland eingebunden werden möchte, was jedoch zum gegebenen Zeitpunkt nicht möglich erscheint.

Angesichts der Bemühungen um eine neue europäische Ordnung ist jedoch eine Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich absolut notwendig. Hierbei können sich die unterschiedlichen Ansätze durchaus ergänzen. Dies erfordert jedoch eine "Europäisierung" der Politiken, also für Deutschland das Bewusstsein eines europäischen strategischen Dialoges mit Russland und für Frankreich das Bewusstsein, dass das Konzept einer "multilateralen Weltordnung" nur mit einer einheitlichen europäischen Russlandpolitik Sinn macht. Deutschland kann seine traditionell guten bilateralen Beziehungen sowie seinen "wirtschaftlichen Hebel" für die Europapolitik genauso nutzbar machen, wie dies Frankreich als Atommacht und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat tun kann. Die russische Diplomatie, die bilaterale Kontakte zu den Europäern einem multilateralen Rahmen vorzieht, versucht zwar geschickt, direkt mit den europäischen Staaten zu kommunizieren, dessen ungeachtet sollten die Europäer jedoch mit einer Stimme sprechen.