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'Die Entstehung eines Europa der Nationen '
 
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Die Entstehung eines Europa der Nationen

Bei den Deutschen wurde die Entwicklung nationaler Gedanken und Gefühle ganz wesentlich durch die Französische Revolution und die Vorherrschaft Napoleons beschleunigt, allerdings er schon am Ende des 18. Jahrhunderts durch Philosophen wie J.-G. Herder (1744-1803) [1] eingeleitet. Herders vielseitiges Werk kann als eine Art Leitfaden auf dem Weg vom Weltbürgertum der Aufklärung zu einem national orientierten Wertemuster verstanden werden. Auf ihn geht die Idee zurück, dass jedes Volk seinen eigenen Genius besitzt. Er hat gegen den kulturellen und politischen Vorrang Frankreichs die europäische Mannigfaltigkeit betont und das mittelalterliche Bürgertum als Begründer der liberalen Kultur des modernen Europa gepriesen. Für Herder war die europäische Kultur vor allem die Frucht des Fortschritts- und Erfindungsgeistes, aber seine Philosophie der Geschichte, die die Idee eines stetigen Fortschritts mit derjenigen einer kreisförmigen Entwicklung zu vereinen versuchte, implizierte einen folgenschweren historischen Relativismus.

Johann Gottfried Herder, Novalis und Friedrich Schlegel: Wegbereiter der Entwicklung des nationalen Gefühls an der Wende vom 18. zum 19. Jh.

Quelle Herder: perso.wanadoo.fr/joel.puissant/perse/herder.html, inaktiv, 02.06.2006; Quelle Novalis: kulturenzyklopaedie.de/cards/, inaktiv, 02.06.2006; Quelle Schlegel: kulturenzyklopaedie.de/cards/, inaktiv, 02.06.2006

Obwohl die Romantiker die Gesinnung Herders und seiner "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (1784-1791) in einigen Punkten teilten, unterschieden sie sich von ihm durch ihre Ablehnung der Französischen Revolution und des Liberalismus, sowie durch ihre Auffassung einer schicksalhaften Sendung des Deutschtums. Die bekanntesten von ihnen, Novalis (1772-1801) [2] und F. Schlegel (1772-1829) [3] , rühmten das christlich-kaiserliche Ideal und sahen in einem föderativen, zugleich religiösen und politischen Reich die Lösung der Probleme des nachrevolutionären Europas. Nach dem aus der Aufklärung erwachsenden Europa der Vernunft entwarf die Romantik dann ein Europa des Glaubens, das von dem mittelalterlichen Modell der Republica Christiana inspiriert war. In seiner Schrift "Die Christenheit oder Europa" (1799) projizierte Novalis in die Zukunft das Bild eines "neuen Jerusalem", eines durch eine erneuerte Geistigkeit [4] versöhnten Europas.

Auf dem Weg, der ihn nach 1800 vom Europa der Vernunft zum Europa des Glaubens, von der Kantischen Idee einer rational-rechtlichen Organisation zu einer politisch-religiösen Ideologie führte, deren Kernpunkt ein supranationales, christliches Reich war, fasste F. Schlegel das Glaubensbekenntnis der Romantik in folgender Formel zusammen:

"Europa ist eine Idee. Jener Inbegriff von Ländern ist Europa, der nach der Realisierung der Ideen von Kirche, Kaisertum und freiem Bündnis strebt."

(Vom wahren Kaisertum. 1805-1822)

Diese Betrachtungen standen natürlich im Gegensatz zu Frankreich und dem napoleonischen Imperialismus, aber auch dem konservativen, legitimistischen, monarchistischen Europa Metternichs [5] (1773-1859) und der Restauration, diesem Europa der dynastischen Staaten, welches der Behauptung der Nationalitäten feindlich gegenüberstand und darauf bedacht war, das Gleichgewicht der Mächte wieder herzustellen. Vom Wiener Kongress (1815) [6] bis zur Revolution von 1848 [7] organisierte Metternich [8] den Alten Kontinent als "Pantarchie", "Staatenfamilie", "Europäisches Konzert". So legte auch sein Mitarbeiter, F. von Gentz (1764-1832), nach 1815 seine Theorien eines als pragmatisches, dem "Ancien Régime" entlehntes Gleichgewichtssystem geordneten Europa, eines "europäischen Völkerstaats" dar.

Europa nach dem Wiener Kongress 1815

 

 

 

 

Quelle der Karte [9]

Immerhin erachtete Gentz, vermutlich unter dem Einfluss der Herderschen Philosophie und im Gegensatz zu Metternich, die Sprachen und Nationalitäten als bestimmend für die Verfassung der Staaten. Diese Anschauung implizierte die Notwendigkeit, zugleich die Selbstbestimmung der Völker und die Einheit des Ganzen zu sichern, ein Widerspruch, den die Romantiker und andere durch den Föderalismus, insbesondere den deutschen, glaubten überwinden zu können.

Johann Gottlieb Fichte und Leopold von Ranke definieren ihre Visionen des modernen Europa zu Beginn des 19. Jh.: Für Fichte ist es, wie für Hegel, die germanische Welt, für Ranke die Gemeinschaft der römisch-germanischen Völker.

Quelle Fichte [10] ; Quelle von Ranke: perso.wanadoo.fr/joel.puissant/persc/ranke.html, inaktiv, 02.06.2006

In der Restaurationszeit [11] gipfelte das Übergewicht des germanischen Prinzips in Hegels Philosophie der Geschichte. Nach Fichte (1762-1814) [12] und seinen "neugermanischen" Völkern definierte Hegel (1770-1861) [13] das moderne Europa als die "germanische Welt" der "historischen Völker", als "das Ende der Weltgeschichte".

Zur gleichen Zeit schilderte Hegels Kollege, der Historiker L. von Ranke (1795-1886) [14] , Europa als die Gemeinschaft der "römisch-germanischen Völker", und steckte damit den Rahmen für die späteren Europaanschauungen der Deutschen ab.