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Reiseziel Paris

Paris war nicht erst seit den revolutionären Ereignissen Reiseziel unzähliger Ausländer. Schon während des Ancien Régime [1] zog es Deutsche in die französische Metropole, denn schließlich beherrschte die französische Kultur den europäischen Kontinent. Die Gründe für eine Parisreise waren unterschiedlich. Da ist die Tradition der adligen Kavalierstour [2] , die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht und dem jungen Herren Bildung im Sinne des Ideals eines honnête homme vermitteln und ihn damit auf seine ständischen Aufgaben und Lebensformen vorbereiten sollte. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gehörte die Auslandsreise auch zum Bildungskanon des Bürgertums.

Aufbruch zur Kavalierstour, die ab Mitte des 16. Jahrhunderts Bestandteil des adeligen Bildungswegs wurde, um fremde Länder, Sprachen und Sitten kennen zu lernen und Welt- und Menschenkenntnis, Urteilskraft und weltmännisches Auftreten zu fördern.

Quelle: www.gymnasium-meschede.de/projekte/projekt12-02/deutsch/reiseliteratur.htm

Dabei änderten sich freilich die Bildungsinhalte. Nützlichkeit und Vernunft, die Leitwerte der Aufklärung, bestimmten Ziel und Inhalt der Reisen. Neugierde, Hoffnung auf geistige Anregung und ein Bedürfnis nach Ausbildung und Wissensaustausch sowie die Suche nach Entfaltungsmöglichkeiten führten deutsche Gelehrte, Künstler, Schriftsteller und Ärzte aus der Enge oft provinzieller Verhältnisse nach Paris. Nicht zu vergessen ist die zahlenmäßig weitaus größere Gruppe deutscher Handwerker [3] , die in Paris bessere Erwerbs- und Ausbildungsmöglichkeiten und oft auch eine dauerhafte Existenz suchten. Doch waren bereits ihre Aufenthaltsorte innerhalb der Großstadt räumlich und sozial weit voneinander getrennt: während die adligen und bürgerlichen Reisenden in der Regel in der gepflegten Vorstadt Saint Germain Unterkunft suchten, wohnten die Handwerker meist in dem ungleich engeren und schmutzigeren Faubourg Saint Antoine, dessen Bewohner im 18. Jh. zu einem Fünftel Deutsche gewesen sein sollen. Aber nicht deswegen sollte er während der Revolution zu einem Zentrum der Massenaufstände und Volksbewegung werden, sondern auf Grund seiner besonderen sozialen Spannungslagen und materiellen Verhältnisse.

Deutschsprachige Lehrlinge und Gesellen kamen bereits im 17. Jahrhundert auf ihrer Walz nach Frankreich. Viele unternahmen eine regelrechte "Tour de France", die sie durch zahlreiche französische Städte führte. Die Wanderschaft dauerte oft mehrere Monate oder sogar Jahre.

Quelle: M. König: Wirtschaftliche Migration... (zum Beitrag [4] )

Mit der Revolution kam ein neues Reisemotiv hinzu, das politische. Paris wurde zu einem politischen "Wallfahrtsort". Man wollte die Revolution unmittelbar erleben, von der man in aufklärerischem Optimismus überzeugt war, dass sie die ganze Menschheit beträfe. Der Königsberger Johann Benjamin Jachmann schrieb seinem Lehrer Kant am 14. Oktober 1790: "Der Hauptgrund meiner Reise ... nach Paris war, um an diesem Ort in der Hauptepoche seiner Geschichte zu sein." Denn man war sich, wie der Braunschweiger Pädagoge Joachim Heinrich Campe [5] , sicher, einen Wendepunkt der Weltgeschichte zu erleben und wollte darum diese "in der ganzen Geschichte noch nie erhörte Begebenheit" vor Ort betrachten. Mit dem Wunsch, die Revolution in ihrem Ursprung zu erfahren und damit Geschichte unmittelbar zu erleben, begründete auch der Oldenburger Justizrat Gerhard Anton von Halem ebenfalls 1790 sein Reiseziel Paris: "Schon so lange umtönte uns das ferne Rauschen des gallischen Freiheitskatarakts. Warum sollten wir nicht näher gehen? ... Schlimm war's doch, wenn die nähere Ansicht die mannigfachen Urteile nicht einigermaßen berichtigen sollte."

Sitzung der Nationalversammlung 1789 nach einem zeitgenössischen Stich. Die Anfangsphase der Revolution wurde in oft emphatischen Reiseberichten als eine Zeit des "herrlichen Sonnenaufgangs" verklärt.

Quelle: mapage.noos.fr/mlopez/loi_4_aout.htm

Mit dem gemeinsamen Wunsch nach Welt- und Geschichtserfahrung durch eine Reise in die Revolution war freilich keineswegs eine Übereinstimmung in der Beurteilung vorhergegeben. Halems Bericht sollte ungleich zurückhaltender ausfallen als der des schwärmerischen Campe, der seine Reise eine "Wallfahrt" nannte: "denn als solche, und zwar hoffentlich zum Grabe des Despotismus sehe ich diese Reise an. "Zu einer solchen Pilgerfahrt gehörte es dann auch, dass man die heiligen Stätten der Revolution besuchte, etwa das Grab Rousseaus in Ermenonville nahe Paris, das Pantheon oder vor allem die Trümmer der Bastille, d.h. im Selbstverständnis der Revolution, die Trümmer des Despotismus. Auch Halem konnte nicht umhin, sich wie viele andere einen Trümmerstein mitzunehmen, als Reliquie mehr denn als bloßes Souvenir. "Mir ist es", schrieb er, "seit ich auf den Trümmern der Bastille ging und dort diesen Stein sammelte, mir ist's als trüge ich einen Talisman wider jede Bedrückung bei mir."

Der Abriss der Bastille durch die Revolutionäre (Gemälde von Houël). Die Trümmer der Bastille gehörten zu den "heiligen Stätten" der Revolution, die für die "Pilgerfahrer" nach Paris gleichbedeutend waren mit den Trümmern des überwundenen Despotismus. (vgl. Text)

Quelle: www.diagnopsy.com/Revolution/Rev_006.htm

Freilich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nicht alle Reisenden als "Revolutionspilger" nach Paris kamen. Der junge Wilhelm von Humboldt [6] , der im August 1789 in Begleitung seines ehemaligen Hauslehrers Campe in Paris eintraf, machte eher den Eindruck, als befinde er sich auf seiner traditionellen Kavalierstour, um sich als Mann von Stand und Welt zu vervollkommnen. Die Pariser Ereignisse berührten ihn wenig. Zur Zeit des Direktoriums [7] und noch mehr des Empire [8] überwogen wieder Bildungs- und Kunstreisen. Dass sich Revolutionsbegeisterung auch mit Geschäftssinn verbinden ließ, bewies der Publizist Johann Wilhelm von Archenholtz, der 1791 nach Paris aufbrach, weil er annahm, dass ein Nachrichtenmann möglichst nahe am Geschehen sein müsse und eine Zeitschrift, die ihre Informationen aus bester Quelle und möglichst schnell vermittelte, bei dem Heißhunger des Publikums auf aktuelle Nachrichten einen guten Absatz finden müsse. Der Erfolg seiner Zeitschrift Minerva, für deren Redaktion er wiederum andere deutsche Revolutionspilger verpflichtete, gab ihm recht.