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Einleitung

Angesichts der Vielzahl von Monographien und Studien über den städtischen Wandel in Paris, die in den letzten zwei Jahrzehnten erschienen sind, wäre es übertrieben zu behaupten, die Geschichte des Pariser Städtebaus [1]  zwischen den reißbrettartigen Planungen der wilhelminischen Kaiserzeit und den neuen Städten der V. Republik sei eine Unbekannte. Allerdings sind nur wenige Interpretationen der städtebaupolitischen Maßnahmen und der grundlegenden Forschungsprojekte des hauptstädtischen Paris als umfassend zu bezeichnen, weil sie die Pariser Entwicklungen nur im Ausnahmefall im internationalen Kontext betrachten. Die Untersuchung der Vorbilder, oder zumindest der Erfahrungen, die zwischen dem Ende des XIX. Jahrhunderts und dem Zweiten Weltkrieg diskutiert worden sind, steht noch aus. Die Untersuchung muss Teil einer Analyse dieses großen Zyklus der Modernisierung sein. So haben sich im Bereich der Kulturpolitik einige konkret vergleichende Studien als zutreffend erwiesen. (1) 

Abbildung 1:

Die Oper von Paris (Palais Garnier) 

 

 

 

 

Internet-Quelle

Während der Phase intensiver Überlegungen über das zukünftige Schicksal von Paris in der Zeit der Dritten Republik waren die deutschen Erfahrungen und insbesondere die in Berlin im gleichen Maß wie die in London ein andauernder Bezugspunkt. Die Aufmerksamkeit, die man heute den neuesten Entwicklungen der Berliner Stadtplanung widmet, führt die damalige Beobachtung des Stadtbilds der Reichshauptstadt fort. Das Themenspektrum dieser Beobachtungen ist ausgesprochen weit und muss im Zusammenhang mit den spezifischen Sorgen der Pariser Stadtväter, der Fachleute Architekten, Ingenieure, Landschaftsplaner und der Kritiker verstanden werden. Ihre Ausdrucksformen sind ebenfalls von größter Vielseitigkeit, über Berichte von technischen Delegationen bis hin zu Werken für das breite Publikum.

Abbildung 2:

Das Schauspielhaus in Berlin
1816 - 1818 von Karl Friedrich Schinkel erbaut. 

 

 

Internet-Quelle [2]

Frankreich hat in der Berliner Kultur schon seit langem eine hervorgehobene Stellung. (2) Paris gilt den deutschen Ästheten und Architekten einerseits, wie Hartmut Frank gezeigt hat (3) , als eine "Stadt der Kunst", andererseits aber auch als eine der Zerstreuung und der Frivolität zugeneigte Stadt, vor allem was die Boulevardkultur anbelangt. Die Pariser nehmen Berlin wie eine moderne, nach ihren Achsen und Bezirken gegliederte Metropole wahr, in der eine komplexe Sozialpolitik vorangetrieben wird. Während Deutschland auf dem europäischen, ja gar auf dem globalen Parkett zur Zeit der letzten Phase der Kolonialaufteilung noch zu den konkurrierenden Nationen gehörte, so entwickelte es sich anschließend doch zu einem der "modernen Länder" gleichauf mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Als einer der Vertreter der modernen Staaten ist auch Deutschland Thema von Reportagen, die nach Ansicht der Nationalisten die Franzosen aus ihrer schuldhaften Trägheit "aufrütteln" sollen. Für die Vorreiter des französischen Städtebaus, die entschiedene Befürworter vergleichender Analyse und Projektionsmethoden sind, ist Berlin hingegen einer der Fixpunkte, zu denen die für Paris angedachten Lösungen in Beziehung gesetzt werden müssen.

Berlin wird in der Tat als autonome Wesenheit verstanden, entweder gilt es als Kontrast zum Rest Deutschlands oder im Sinne eines pars pro toto als dessen Verdichtung. Aus dieser Sicht gliedert sich die Wahrnehmung der Berliner Architektur und des Berliner Städtebaus in zwei unterscheidbare Richtungen. Die erste ist darstellend: Sie behandelt die allgemeine Wahrnehmung Berlins im kulturellen Leben Frankreichs, wie sie beispielsweise von Cécile Chombard Gaudin [3]  analysiert wird. (4) Die zweite ist technisch und methodisch: Sie besteht in der gleichzeitigen Beobachtung großer Städte wie London, New York und Chicago. Letztere Art der Wahrnehmung begründet die neuen europäischen Städtebaupolitiken und bestimmt somit auch die Analyseverfahren für Berlin. (5) 

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Anmerkungen

(1) Die vergleichende Studie von Christophe Charle im Bereich der Lehre und des intellektuellen Lebens ist ein gutes Beispiel: "Paris et Berlin, métropoles culturelles, essai de comparaison", in Paris fin de siècle culture et politique, Paris, Seuil, 1998, S. 21 48.

(2) Pierre Paul Sauvage, 1871; Berlin Paris, Paris, Albin Michel, 1995 (1.Aufl.: 1871; Berlin, Paris Reichshauptstadt u. Hauptstadt der Welt, Frankfurt, Berlin, Wien, Propyläen Verlag, 1971).

(3) Hartmut Frank, in André Lortie (Hrsg.), Paris s'export; architecture modèle ou modèles d'architecture, Paris, Pavillon de l'Arsenal/Picard, 1995.

(4) Cécile Chombard Gaudin, "Frankreich blickt auf Berlin 1900 1939", in Gerhard Brunn, Jürgen Reulecke, Metropolis Berlin; Berlin als deutsche Hauptstadt im Vergleich europäischer Hauptstädte 1871 1939, Bonn, Berlin, Bouvier Verlag, S. 367 407.

(5) Siehe v. a, das Buch eines Pariser Beamten, dessen Schwerpunkt auf den städtebaulichen Achsen und der städtischen Finanzpolitik liegt: Gaston Cadoux, La vie des grandes capitales; études comparatives sur Londres Paris Berlin, Paris, Berger Levrault, 1908.