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'Sozio-kulturelle Einbettung der neuen Produktionsbeziehungen'
 
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Sozio-kulturelle Einbettung der neuen Produktionsbeziehungen

Die Reorganisation der Automobilproduktion betrifft nicht nur die räumliche Anordnung des Produktionsprozesses und der daran beteiligten Akteure, sondern auch die Organisations- und Produktionskultur der betroffenen Unternehmen sowie deren Umweltbeziehungen auf regionaler und überregionaler Ebene. Unabhängig von der Erforschung dieser neuen räumlichen Muster geht es also auch darum herauszufinden, wie die betreffenden Unternehmen bzw. Betriebe sozio-kulturell, d.h. sozial, ökonomisch, politisch und kulturell in der jeweiligen Region eingebettet sind (vgl. Grabher 1993; Gertler 1997).

Regionale, grenzüberschreitende Beziehungen mit Bezug auf Unternehmenskulturen wollen wir nun untersuchen hinsichtlich 

  •  der Ausübung alltäglicher Routinetätigkeiten im Produktionsprozess (z.B. gemischte Arbeitsgruppen), 
  •  der firmenspezifischen Kultur von Personalbeziehungen (Betriebsverfassung, Mitbestimmung, Diskursstile usw.) und
  •  firmeninterner und -externer Arbeitnehmerorganisation und -kooperation.

Wie bereits erwähnt, ist ein großer Teil der Belegschaft des Fordwerkes Saarlouis nicht deutscher Herkunft. Das Vorhandensein zahlreicher Industriearbeitskräfte auch jenseits der Staatsgrenze war bereits in den 60er Jahren ein wesentlicher Grund für die Ansiedlung des Werkes in der Grenzregion. In der Regel handelt es sich bei den ausländischen Mitarbeitern um Franzosen und Italiener, die meistens ebenfalls in Lothringen leben. (Der hohe Anteil der lothringischen Grenzpendler, die, wie in Abb. 6 gezeigt, im Landkreis Saarlouis arbeiten, ergibt sich nicht zuletzt aus der großen Anzahl lothringischer Arbeiter im Fordwerk Saarlouis). Zwar gibt es bei Ford gemischte Arbeitsgruppen, jedoch bestehen häufig Spannungen zwischen den deutschen Belegschaftsangehörigen und den Grenzpendlern. Nach Einschätzung des für die ausländischen Belegschaftsmitglieder verantwortlichen Betriebsratsmitgliedes ergeben sich diese Spannungen aufgrund der Tatsache, dass die aus Lothringen einpendelnden Arbeitnehmer angesichts des vergleichsweise hohen Lohnes in Saarlouis in den Augen ihrer deutschen Kollegen zu übermäßigen Konzessionen gegenüber der Werksleitung bereit sind.

Dass der Anteil der französischen Mitarbeiter im Betriebsrat besonders hoch ist, bedarf näherer Untersuchung. Von ihrer Herkunft her seien die französischen Arbeiter zwar andere Formen der Artikulation ihrer Arbeitnehmerinteressen gewohnt, sie hätten aber in hohem Maße die moderaten, kooperativen und stärker konsensorientierten Diskursformen deutscher Gewerkschaften adoptiert, weil sie in diesen bessere Möglichkeiten sehen, ihre Interessen zu verwirklichen. Mit Bezug auf die Regionalität dieses Adoptionsprozesses muss jedoch betont werden, dass der Diskursstil, welchen sich die deutschen und ausländischen Arbeitnehmer im Fordwerk Saarlouis angeeignet haben und praktizieren, weder spezifisch saarländisch noch ausschließlich deutsch ist. Vielmehr haben die Arbeitnehmervertreter hervorgehoben, dass die Struktur und die Machtbeziehungen zwischen den einzelnen Ebenen des Gesamtkonzerns (Konzern, nationales Konzernunternehmen, Einzelbetrieb) sowie die dort entwickelte Diskurskultur von entscheidender Bedeutung für die Austragung betriebs- und konzerninterner Auseinandersetzung seien.

Im Falle des Smartwerkes und von Smartville gibt es kaum Möglichkeiten interkultureller Kontakte am Arbeitsplatz. Wegen des niedrigeren Lohnniveaus in Frankreich arbeiten am Standort keine deutschen Fabrikarbeiter. Unter den Angestellten mit Leitungs- und Koordinationsfunktion gibt es einige von der baden-württembergischen Muttergesellschaft entsandte Deutsche, die in der Aufbauphase die zuvor erläuterte Arbeitsorganisation und Firmenkultur eingeführt haben. Einige der befragten französischen Arbeitnehmervertreter betonten die außerordentlich große Bedeutung der partizipativen Unternehmenskultur, welche viel Raum zur Selbstorganisation lässt. Durch diese hebe sich das System Smart/Smartville stark ab von anderen Industrieunternehmen und -betrieben in der Region. In dem Maße, wie die Arbeitnehmer die durch Partizipation und Selbstorganisation gekennzeichneten Arbeitsbedingungen wertschätzen und Auseinandersetzungen sowohl innerhalb von Smartville als auch mit der Konzernmutter konsensorientiert austragen, verlieren die französischen Gewerkschaften, die ideologisch ausgerichtet sind und in stärkerem Maße unternehmens-übergreifende, allgemeine politische Positionen beziehen, stark an Attraktivität.

In beiden untersuchten Fällen, Ford und Smart, bestehen weder innerhalb der Region noch auf regionaler Ebene über die Grenze hinweg bedeutende arbeitskulturelle Beziehungen. Kulturelle und interkulturelle Relationen spielen dagegen eine bedeutende Rolle auf der Ebene der jeweiligen Konzerne bzw. nationalen Konzernunternehmen. Dabei sind die Beziehungen in der Tat grenzüberschreitend, jedoch nicht auf regionaler Ebene, welche bildlich gesprochen übersprungen wird. Für die Durchsetzung individueller wie betrieblicher Interessen sind die nationalen Betriebsräte beider Konzernunternehmen sowie die jeweiligen Europäischen Betriebsräte von größter Bedeutung (s. Abb. 16). Andere überbetriebliche und grenzüberschreitende Einrichtungen, welche auf regionaler Ebene in den vergangenen Jahre eingerichtet worden sind, wie der Interregionale Gewerkschaftsrat oder informelle Treffen zwischen Belegschaftsvertretern der Automobilwerke in der SaarLorLux-Region, werden von den Arbeitnehmern zwar gelobt. Sie haben aber für diese allenfalls symbolische Bedeutung.

Abbildung 16:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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