French
German
 
Seite zur Sammlung hinzufügen
'Hypotheken für die europäische Einigung?'
 
1 Seite(n) in der Sammlung
 
 
 
 
 

Hypotheken für die europäische Einigung?

Die Grundfrage ist, ob das gemeinsame kulturelle Erbe beidseits des Oberrheins im Rahmen des Europäisierungsprozesses einen Vorteil bietet, oder ob die Konflikte gerade der jüngeren Geschichte eher ein Hindernis darstellen, das den neuen Grenzbeziehungen im Wege steht. Auch diese Frage muss in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden, da das Zusammenwachsen Europas ja nicht nur eine Frage der Oberrheinregion darstellt. Schon nach dem Ersten Weltkrieg setze das politische Bemühen um den Zusammenschluss der parlamentarisch-demokratischen Staaten Europas ein, wobei auch zu diesem Zeitpunkt der Europagedanke [1] nicht neu erfunden worden war. Von hoher Aktualität war er bereits im 19. Jahrhundert, jedoch konzentrierte sich die Europapolitik jener Zeit mehr auf die Herstellung und Erhaltung des europäischen Gleichgewichts, wie dies 1815 bereits im Wiener Kongreß [2] deutlich geworden war. Einen ersten Plan für den föderativen Zusammenschluss Europas entwickelte der französische Außenministers Aristide Briand [3] (1929/30), jedoch scheiterte er mit seinem Bemühen nicht zuletzt am Widerstand der Weimarer Republik.

Abbildung 37/38:

Persönlichkeiten des Europa-Gedankens:
links Konrad Adenauer und Jean Monnet, rechts Robert Schuman
(vgl. hierzu den Beitrag von R. Bölling [4] )

Quelle: Brockhaus Enzyklopädie (CD-ROM)

Eine Neubelebung erfuhr der europäische Gedanke dann erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei viele der Initiativen wiederum von Frankreich ausgingen. Wichtige Namen in diesem Zusammenhang sind Robert Schuman [5] , Vater der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion, Schuman-Plan, gegründet 1951) und Jean Monnet [6] , Gründer des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa (1956, 1975 aufgelöst). Von den zahlreichen internationalen Vereinigungen, die sich ab 1948 zur Europäischen Bewegung zusammenschlossen, seien nur die Gründung des Europarates [7]  (1949), der Montanunion [8]  (1951), der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft [9]  (1952), der EWG [10]  (1957) und der EURATOM [11]  (1957) erwähnt. Dieser Einigungsprozess war jedoch aufgrund der politischen Teilung Europas lediglich auf den westlichen Teil beschränkt. Die Staaten des östlichen Teils schlossen sich ihrerseits in Wirtschafts- und Verteidigungsgemeinschaften zusammen. Gleichwohl ist hervorzuheben, dass in der Frühphase dieser Entwicklung der Gedanke eines Europas ohne Grenzen noch nicht rückhaltlos verfolgt wurde. Die nationalstaatliche Souveränität blieb für viele Staaten, allen voran das gaullistische Frankreich, eine vorrangige Prämisse. Dies hinderte de Gaulle gleichwohl nicht daran, mit dem benachbarten Deutschland im Rahmen des Deutsch-französischen Vertrages [12]  die Grundlagen für eine Annäherung der beiden Völker zu schaffen, die für den europäischen Integrationsprozess eine wichtige Voraussetzung bedeuteten.

Abbildung 39:

Die europäische Union

Exkurs:
Die europäische Einigungsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg führte in mehreren Etappen zur Europäischen Union, die heute 15 Länder umfasst und die sich in den kommenden Jahren durch die Einbeziehung mehrerer Länder v.a. Ostmitteleuropas erheblich erweitern wird. Die Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland stellt in diesem Bündnis einen wichtigen Eckpfeiler dar.

Quelle: F. A. Brockhaus AG

Trotz des Neuanfangs von Zusammenarbeit und Versöhnung blieb bis Ende der 1960er Jahre die "Deutschenfreundlichkeit" in Frankreich in erster Linie eine Angelegenheit der Opinion-leaders<//a>. Die Umsetzung des deutsch-französischen Vertrages führte erst allmählich zu einer Intensivierung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Aktivitäten:

  • Von Beginn an von großer Bedeutung war dabei das Deutsch-Französische Jugendwerk mit einer breiten Palette von Aktivitäten, die das Grundverständnis der jungen Generation veränderten.
  • Auf Regierungsebene fanden (und finden bis heute) regelmäßige Konsultationen statt, die gemeinsame politische Maßnahmen koordinierten.
  • Auf wirtschaftlichem Gebiet erfolgten neue Impulse, die den europäischen Einigungsprozess beschleunigten.

Zu den Grundproblemen dieser Entwicklung zählte zumindest in der Anfangsphase die Unterschiedlichkeit der politisch-administrativen Struktur und der damit verbundenen regionalen Entscheidungskompetenz. Frankreich verkörpert seit Jahrhunderten das Prinzip des Zentralstaats, in dem den Regionen und Kommunen nur bedingt Planungsentscheidungen, raumordnerische Funktionen und wirtschaftliche Entscheidungskompetenzen zufallen. Demgegenüber verkörpert Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg das Prinzip des föderalistischen Staates, der den Ländern, Regionen und Kommunen in dieser Hinsicht weitgehende Entscheidungshoheit zubilligt. Seit den 1960er Jahren ist Frankreich darum bemüht, den Regionen mehr Eigenständigkeit zu übertragen. Wichtige Etappen hierbei waren:

  • Die Schaffung der Direction de l'aménagement du territoire im Jahre 1950. Dadurch sollte insbesondere die wirtschaftliche Entwicklung in der Provinz gefördert werden. 1963 erfolgte eine Umbenennung in Délégation à l'aménagement du territoire et à l'action régionale (DATAR). Sie wurde später durch die Commission de développement économique régional (CODER) ergänzt
  • Die Schaffung sog. Régions de programme (Programmregionen) im Jahre 1960, in der mehrere Départements zu größeren Planungs- und Wirtschaftseinheiten zusammengefasst wurden.
  • Die Dezentralisierungsgesetze (1982) unter Staatspräsident Mitterrand, die ein neues Leitbild für den Staat formulierten.

Im Rahmen der Neubildung der Programmregionen wurden die beiden elsässischen Départements Haut-Rhin und Bas-Rhin zur Region Elsass (Alsace) zusammengefasst. Dies hatte in der Anfangsphase relativ geringe Konsequenzen, da den Regionen weder raumordnerische Funktionen noch planerische Kompetenzen übertragen wurden. Im Gegensatz dazu waren auf der deutschen Seite des Oberrheins sowohl die Regionen als auch die Kommunen mit planerischen Vollmachten ausgestattet. Unter diesen Rahmenbedingungen war in den Anfangsjahren eine Kooperation schon aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten problematisch.

Abbildung 40:

Die administrative Struktur Frankreichs: Départements und Regionen im Überblick

 

 

 

 

 

Quelle: Brockhaus Länder und Städte: 
Frankreich-Paris. Leipzig-Mannheim 1997, S. 19.

Die Forderung der Regionen nach mehr Eigenkompetenz und Autonomie wurde schließlich im Jahre 1982 mit den Dezentralisierungsgesetzen zumindest teilweise erfüllt [13] . Die wesentlichen Elemente der Dezentralisierung waren (nach UTERWEDDE (2000), S. 161):

  • Die Abschaffung der staatliche Vorabkontrolle der Gebietskörperschaften durch den Präfekten und ihre Ersetzung durch eine ex-post Legalitätskontrolle.
  • Die Übertragung der administrativen Verantwortung über die Départements an den gewählten Präsidenten des Départementalrates (Conseil du département) (anstelle des früheren Präfekten).
  • Die Erhebung der Regionen in den vollwertigen Status einer Gebietskörperschaft, den sie zuvor nie hatten.
  • Der Vollzug eines Kompetenztransfers von der nationalen Ebene auf die regionale Ebene der Gebietskörperschaften.

Aus der Kompetenzverteilung ergaben sich nunmehr neue Anforderungen. Insbesondere in der Stadtplanung, dem Wohnungsbau und der Raumordnung sind die Kommunen seither angehalten, Kooperationsnetzwerke mit anderen Gemeinden zu bilden, um die Planungen miteinander abzustimmen. Die Départements besitzen lediglich die Kompetenz zur Stellungnahme in diesen Bereichen, während die Regionen in Fragen der Stadtplanung gänzlich ausgeschlossen sind. Deren Einflussbereich ist hinsichtlich der Raumordnung auf die nationale und regionale Ebene beschränkt, auch im Bereich Wohnungsbau besitzen sie lediglich Rahmenentscheidungskompetenz.

Das zentrale Problem hinsichtlich der Fragestellung, ob die Oberrheinregion mit Trümpfen oder mit Hypotheken im europäischen Integrationsprozess ausgestattet ist, hat somit mehrere Ebenen:

  1. Als Periphergebiet im französischen Zentralstaat war das Elsass traditionell weit ab vom politischen Geschehen und musste stets die Nachteile dieser Struktur ertragen (Abwanderung, Ressourcenabfluss, geringe Autonomie usw.)
  2. Die Regionalisierung brachte zwar den verwaltungsmäßigen Zusammenschluss, zunächst aber noch nicht die planerischen Entscheidungskompetenz in der Region. Die wichtigen planerischen Entscheidungen fielen auch nach der Einführung der Programmregionen (Régions de programme) überwiegend in Paris
  3. Andererseits verfügte das Elsass über bedeutende wirtschaftliche Ressourcen (Landwirtschaft, Bodenschätze, Industrie, Tourismus), deren Nutzung bei eigener Entscheidungskompetenz und im Rahmen sich öffnender Grenzen zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten bot.
  4. Die wichtigste Herausforderung bestand im Aufbau von Netzwerken, in die sowohl die Akteure aus Politik und Wirtschaft als auch die Bevölkerung selbst mit eingebunden waren. Dabei stellten die vorgegebenen Strukturen in den drei beteiligten Ländern ein besonderes Problem dar, da sie sich grundlegend voneinander unterschieden.