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'Arbeitsbeziehungen und Grenzgängertum'
 
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Arbeitsbeziehungen und Grenzgängertum

Neben den Kapitalverflechtungen gilt auch das sog. Grenzgängertum als ein primäres Merkmal grenzüberschreitender Kooperation. "Das tägliche (oder auch wöchentliche) Überqueren nationaler Grenzen unterscheidet den Grenzgänger von anderen Migranten sowie vom Berufspendler innerhalb eines Landes, indem sein Wohnsitz und sein Arbeitsplatz unterschiedlichen politisch-administrativen Regimes unterliegen, unabhängig davon, wie groß der Abstand zwischen diesen beiden Orten auch ausfällt" (Rausch, 2000, S. 175).

Die Situation der Grenzgänger in der Oberrheinregion ist in doppelter Hinsicht interessant. Einerseits spiegelt sie mögliche ökonomische Ungleichgewichte beidseits der Grenze wider, andererseits ist sie möglicherweise aber gerade hier auch Ausdruck historisch-kultureller Verflechtungen, die auf diese Weise ihre ökonomische Auswirkung zeigen. Hinzu kommt die politische Situation, die gerade in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst eine starke Belastung des Grenzgängertums (in beiden Richtungen) darstellte.

Vor allem vor diesem politischen Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das Grenzgängertum in den 1950er Jahren innerhalb der Oberrheinregion nicht sehr bedeutend war. Überraschend ist dabei die Tatsache, dass in jener Zeit offensichtlich mehr Deutsche ins Elsass pendelten als umgekehrt, auch wenn die Zahlen insgesamt gering waren (Koch, 1974, S. 163).

Dies änderte sich zu Beginn der 1960er Jahre, indem sich nunmehr die Vorzeichen umkehrten: die Zahl der elsässischen Grenzgänger in die benachbarte Schweiz und nach Deutschland überwog in immer stärkerem Maße die Zahl derer, die aus diesen Ländern im Elsass ihren Arbeitsplatz hatten. Dabei zeichneten sich deutliche Schwerpunkte ab. Für die Auspendler im südlichen Elsass (Département du Haut-Rhin) spielte als Zielgebiet vor allem der Großraum Basel eine wichtige Rolle. Im nördlichen Elsass ist bereits zu diesem Zeitpunkt eine stärkere Ausrichtung auf den Karlsruher Raum zu beobachten, in dem sich u.a. im Zusammenhang mit der petrochemischen Industrie ein kräftiger Entwicklungsimpuls vollzog.

Zu Beginn der 1980er Jahre stellte sich die Situation wie folgt dar: Insgesamt waren zu diesem Zeitpunkt im deutschen Oberrheingebiet ca. 14.500 elsässische Arbeitnehmer beschäftigt, davon 86,4 % im produzierendem Gewerbe und 13,6% im Dienstleistungsbereich. 70 % dieser Pendler waren männlich, ihr Durchschnittsalter betrug 30 Jahre und es handelte sich zu 80% um an- oder ungelernte Arbeiter (BÖRKIRCHER/ TIEDTKE (1981, S. 9). Zu Beginn der 90er Jahre waren rd. 22.000 Arbeitnehmer aus dem Elsass in Baden, rd. 3.000 in der Südpfalz und rd. 30.000 in der Schweiz (überwiegend Großraum Basel) tätig. Umgekehrt waren lediglich 850 badische und gar nur 250 schweizerische Grenzgänger im Elsass tätig (während 500 schweizerische Arbeitnehmer in Baden gezählt wurden) (Rausch, 2000, S. 177).

Abbildung 53:

Quelle: INSEE, Repères: chiffres annuels, Septembre 2000 

Im Verlauf der 90er Jahre hat sich die Zahl der elsässischen Grenzgänger nicht wesentlich verändert. Konjunkturbedingt fluktuiert sie um die Zahl von rd. 60.000, wobei sich die Auspendler in die Schweiz und nach Deutschland ungefähr die Waage halten. Die Situation im oberrheinischen Grenzgängertum verhält sich somit genau umgekehrt im Vergleich zu den Unternehmerinvestitionen, was die Frage nach den Ursachen und den Auswirkungen aufwirft. Es ist ganz offensichtlich, dass die Unternehmen durch die günstigeren Rahmenbedingungen im Elsass zu Investitionen angereizt werden, während umgekehrt das höhere Lohnniveau in Verbindung mit höheren Sozialleistungen in der Schweiz und in Deutschland viele französische Arbeitnehmer im grenznahen Raum veranlasst, jenseits der Grenze einen Arbeitsplatz zu suchen.

Das Lohngefälle in der Oberrheinregion

Die unterschiedlichen Lohnkosten und Lohnnebenkosten in den benachbarten Ländern der Oberrheinregion haben zweierlei Auswirkung:

Zum einen veranlassen sie die Unternehmen im grenznahen Raum zu Investitionen in den Nachbarräumen mit geringeren Rahmenkosten

Zum anderen stellen die höheren Stundenlöhne einen Anreiz für das Grenzgängertum dar.

Abbildung 54:

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: B. Mohr, Das Elsass - Grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein. Geographie heute, 21, 2000, S. 37

Unter räumlichen Gesichtspunkten weist das elsässische Grenzgängertum eine logische Orientierung auf die benachbarten Wirtschaftszentren auf. Schon traditionell war der Großraum Basel für Auspendler aus dem Oberelsass wichtigstes Zielgebiet. Im Unterelsass ist dagegen die Ausrichtung auf den Wirtschaftsstandort Karlsruhe deutlich, dies in einer Weise, dass Karlsruhe gelegentlich (nicht ohne kritische Untertöne) als die Hauptstadt des Unterelsass bezeichnet wird.

Abbildung 55:

Quelle: Chambre de Commerce et de l'Industrie de l'Alsace, CCI-Info-Documentation, 21.03.2001 

Abbildung 56:

Die räumliche Verteilung der Grenzgänger und die Arbeitslosensituation im Elsass 1998

Quelle: Mohr (2000), Das Elsass - Grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein. Geographie heute 21, S. 36 und S. 37

Die Auswirkungen dieser Situation auf die elsässische Wirtschaft sind von großer Tragweite. Die Unternehmensansiedlungen aus dem Ausland erhöhen das lokale Arbeitsangebot und reduzierten damit das Problem der Arbeitslosigkeit. Hinzu kommt die Entlastung des heimischen Arbeitsmarktes durch das starke Grenzgängertum, was insgesamt zu relativ niedrigen Arbeitslosenquoten [1] führt. Die euphorischen Töne der politischen und wirtschaftlichen Akteure über die Bedeutung des grenzüberschreitenden Arbeitsbeziehungen sind also durchaus verständlich.

Abbildung 57:

Quelle: J. Ganter, L'Express - L'hebdo de l'emploi, Supplément spécial 29.03.2001 

Allerdings ist die Situation regional unterschiedlich. Während im Norden die Arbeitslosenquote die niedrigste des ganzen Elsass ist, liegt sie im südlichen Teil der Region trotz der Nähe zur Schweiz sehr hoch. Auch Straßburg lässt deutliche Schwächen auf dem Arbeitsmarkt erkennen.

Über diese regional unterschiedlichen Auswirkungen hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, ob das Grenzgängertum ausschließlich positiv zu sehen ist bzw. wie es z.B. auch von der Bevölkerung selbst bewertet wird. Nur angedeutet seien hier anstehende Fragen der Gleichstellung der Arbeitnehmer auf dem regionalen Arbeitsmarkt, die Probleme der Grenzgänger mit Versicherungen, Besteuerungen, mit schwankenden Wechselkursen (auch wenn dies künftig durch die Einführung des Euro kein Thema mehr sein wird), mit Sozialleistungen, Altersversorgung, Schulfragen, usw. Speziell im Oberrheingebiet hat eine ganz andere Thematik Bedeutung erlangt, die teilweise zu erheblichen Belastungen der grenznahen Beziehungen geführt hat: der Immobilienmarkt.

Es ist dies eine Frage, die wiederum vor allem die deutschen Grenzgänger in das elsässische Gebiet betrifft. Diese haben in jüngerer Zeit verstärkt das Preisgefälle auf dem Immobilienmarkt zwischen Deutschland und Frankreich genutzt, um auf der elsässischen Seite zu investieren und sich hier auch anzusiedeln. 1984 wurden z. B. 4.151 deutsche Immobilienbesitzer im Elsass gezählt (nur grenznahe Kantone), 1994 war die Zahl auf 10.953 gestiegen, eine Entwicklung, die sich bis in die jüngste Zeit fortsetzt.

Das hat dazu geführt, dass hier das Preisgefüge angeheizt wurde, nicht eben zur Freude elsässischer Kaufinteressenten. Hinzu kam, dass die deutschen Investoren oft nur wenig Neigung zeigten, sich in ihr neues soziales Umfeld zu integrieren und dass sie oft jegliche Sensibilität im Umgang mit ihrer neuen Nachbarschaft vermissen ließen (Rausch, 2000, S. 178).

Deutscher Immobilienerwerb im Elsass 1993

In der nebenstehenden Karte ist der Anteil der Immobilienkäufe durch Deutsche an der Gesamtzahl der Verkäufe im Jahre 1993 dargestellt. Dabei wurden lediglich die grenznahen Kantone erfasst.

Es zeigt sich, dass in einigen Kantonen (v.a. im Nordosten, aber auch auf der Höhe von Freiburg) der Anteil über 30 % betrug.

Abbildung 58:

Deutscher Immobilienerwerb im Elsass 1993

 

 

 

 

 

 

Quelle: Mohr (2000), Das Elsass - Grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein. Geographie heute 21, S. 38 

Insgesamt wird deutlich, dass die Unausgewogenheit regionaler Grenzgängerströme nicht ohne Probleme ist. Sie hat in der Oberrheinregion auch immer wieder zu Verstimmungen und Konflikten geführt und ist seit vielen Jahren Gegenstand der Tagesordnungen der unterschiedlichsten Akteure in diesem Raum. Bereits in den 1970er Jahren wurde angeregt, zumindest eine verlässliche und nach einheitlichen Kriterien erfasste Grenzgängerstatistik anzulegen. Diese Anregung blieb letztlich in endlosen Diskussionen um die Freigabe verfügbarer Daten, die unterschiedlichen Bestimmungen hinsichtlich des Datenschutzes, die Beteiligung welcher regionaler oder nationaler Behörden usw. stecken und wurde bis heute nicht umgesetzt. Ein spezieller Expertenausschuss für Grenzgängerfragen wurde im Jahre 1990 durch die Oberrheinkonferenz eingeführt, jedoch verloren sich dessen Aktivitäten bereits wenige Jahre später wieder im Sand. Die Einrichtung der INFOBEST-Beratungsstellen im Rahmen des INTERREG II-Programms sollte diese Situation künftig verbessern.