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'Die Neubürger zwischen Integration und Ausgrenzung'
 
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Die Neubürger zwischen Integration und Ausgrenzung

Im Gegensatz zu einem Wohnortswechsel in zentrale Landesteile erlaubt der Zuzug in Grenzregionen, stärkere Beziehungen zum ausländischen Quellgebiet beizubehalten. Der "Zuzugsschock" ist für das Elsaß heftiger als im Landesinnern, wo die größere Distanz zur Grenze als Filter für Zuwanderung und Immobilienkauf durch Ausländer wirkt.

Aufs engste mit dem elsässischen Selbstverständnis einerseits und der staatlichen Sprachpolitik andererseits verbunden ist das Sprachproblem. Nachdem die französische Sprache sich erst nach 1945 vollständig durchsetzen konnte, wird nunmehr eine Revision dieses Prozesses befürchtet. Tatsächlich konnten sich nur 14 % der deutschen Probanden im südlichen Elsaß nach eigener Einschätzung fließend auf französisch verständigen, fast ein Fünftel besaß überhaupt keine und ein knappes Viertel lediglich passive Kenntnisse. Fast zwei Drittel der von Bohn (1997, 54) untersuchten Haushalte waren bei der Umzugsentscheidung davon ausgegangen, ein deutschsprachiges Dialektmilieu vorzufinden, rund ein Drittel davon wäre andernfalls nicht ins Elsaß gezogen.

Die unzulängliche Beherrschung der Landessprache führt zu Irritationen bei den elsässischen Mitbürgern und erschwert die Integration am Wohnort. Die Sprachbarriere schneidet die Neubürger von der regionalen bzw. französischen Kultur und den Medien ab. In der Tat schalten zwei Drittel von 100 befragten deutschen Haushalten im Unterelsaß fast ausschließlich deutsche Radio- oder Fernsehprogramme ein - die meisten besitzen kein Fernsehgerät mit Secam-Norm -, nur ein knappes Drittel liest eine elsässische Tageszeitung (Bohn 1997, 68ff).

Die von Ramm (1999, 114) für Nordostlothringen beschriebenen Kommunikationsprobleme treffen in gleicher Weise auf das Elsaß zu: "Der Hauptvorwurf, den die Moselaner den Neuankömmlingen in ihrer Gemeinde machen, sind deren mangelnde französischen Sprachkenntnisse ... Viele verfügen über Bruchstücke, aber alle tendieren dazu, im Département Moselle Deutsch zu sprechen, was die Einheimischen irritiert, da sie dies als Gefährdung ihrer Kultur empfinden ... Es ist ... ein psychologischer Aspekt, der die Moselaner verletzt und ihnen das Gefühl gibt, von den Neuankömmlingen "erobert" zu werden, da diese nicht nur sehr zahlreich sind, sondern auch ihre Kultur und ihre Gewohnheiten mitbringen." Gewiß ist das Sprachproblem aufgrund der historischen Entwicklung im Elsaß besonders brisant. Grundsätzlich tritt es aber auch in anderen Zielgebieten ausländischer Immobilienkäufe und Migrationen auf. "A weak grasp of the French language and a lack of preparedness for living in a rural area that is different from Britain", so faßten Buller/Hoggard (1994, 109) beispielsweise die Schwierigkeiten britischer Zuzügler zusammen.

Abbildung 12:

Schild: "Vorsicht freilaufender Hund" 

 

 

 

Aufnahme: Michna, Algosheim, März 1999

Abbildung 13:

Schild: Briefkasten und
"Achtung Hund Attention chien"
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Aufnahme: Michna, Algosheim, März 1999

Als weiteres Problem, das die Integration erschwert und wesentlich mit den mangelnden Französischkenntnissen der Eltern zusammenhängt, wird die Einschulung deutscher Kinder auf der badischen Grenzseite beklagt. Normalerweise unterliegen auch sie der französischen Schulpflicht, doch kann wegen eventueller Sprachschwierigkeiten eine Freistellung erfolgen. Sowohl die Untersuchungen von Bohn (1997, 76) als auch unsere Erhebungen in den Jahren 1998/99 sowie die Auskünfte badischer Schulleitungen zeigen indessen, daß der überwiegende Teil der deutschen Schulpflichtigen im Elsaß eingeschult ist - und zwar je jünger, desto häufiger.

Mit harten Worten geht Graff (1999, 116) mit der Anpassungsbereitschaft der deutschen Neubürger ins Gericht: "Finalement, l'ensemble des nouveaux résidents se caractérise par une passivité socio-culturelle évidente. ... Tous ont une tendance à cultiver les frontières dans la tête." Gewiß erleichtert die Teilnahme am örtlichen Vereinsleben gerade in kleinen Gemeinden die Integration am neuen Wohnort. Allerdings kann eine solche Mitgliedschaft wegen einer heutzutage allgemein verbreiteten "Vereinsmüdigkeit" nicht mehr als valider Indikator für den Integrationswillen gelten. Eher trifft dies auf informelle Formen des geselligen Zusammenlebens zu (Feste, Ausflüge etc.), woran immerhin zwei Drittel der Probanden im Oberelsaß mindestens einmal pro Halbjahr teilnehmen.

Abbildung 14: 

Wohnen in Frankreich … Radio-Tips

 

 

Quelle: SWR 24.03.1997

Abbildung 15: 

Achtung die Deutschen kommen 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: ZDF 05.02.1999

Als integrierendes Moment scheiden berufsbedingte Beziehungen im Elsaß aus, da die Neubürger im Oberelsaß nach der Übersiedlung zu 96 % weiterhin in Deutschland arbeiten. Anders verhält es sich in der Freizeit und während der Ferien: Etwas mehr als die Hälfte der Befragten verbringt Freizeit und Urlaub überwiegend in Frankreich, nur ein Zehntel ist dabei weiterhin auf Deutschland fixiert. Verständigungsprobleme und Gewohnheit sind die Hauptgründe dafür, daß die Neubürger meistens weiterhin in Deutschland einen Arzt oder Zahnarzt aufsuchen. Wenn nur 7 % der Probanden ausschließlich und 41 % überwiegend in der Zuzugsregion einkaufen, 52 % dagegen vor allem in Baden ihre Einkäufe tätigen, so ist zu berücksichtigen, daß gerade kleine Gemeinden nur einen dünnen Besatz bei Handel, sonstigen Dienstleistungen sowie kulturellen oder freizeitorientierten Einrichtungen aufweisen.

Knapp 60 % der Befragten im Oberelsaß geben an, stärkere Kontakte mit Elsässern zu suchen, 8 % interessieren sich dafür weniger und 14 % halten dies im Moment für nicht notwendig. 80 % der Probanden geben an, elsässische Freunde zu besitzen. Haushalte mit Kindern haben signifikant mehr elsässische Freunde bzw. Bekannte und sind auch zahlreicher an Freizeitaktivitäten mit elsässischen Mitbürgern beteiligt. Von den im Oberelsaß befragten Franzosen besitzen 46 % unter den deutschen Mitbürgern Freunde oder Bekannte, immerhin beurteilen nur 9 % die Integration der Deutschen als schlecht, jeweils 33 % dagegen als gut bzw. als normal und 5 % sogar als sehr gut. Die positive Beurteilung steigt bei den schon länger ortsansässigen Franzosen sowie denjenigen, die selbst deutsche Mitbürger kennen.

Der Grad der Integration scheint - wie die Sprachkenntnis - schichtenabhängig zu sein: Laut einer Studie für den Conseil Général du Bas-Rhin (zit. in Regio Basiliensis 1998, 39/2: 205) treten Spannungen vor allem bei Zuzüglern aus schwachen bis mittleren Einkommensklassen auf; freiberufliche Zuzügler, die meist auch bessere Kenntnisse der französischen Sprache besitzen, bemühen sich eher um soziale Kontakte mit der Ortsbevölkerung.

Alles in allem weist die Integrationsbereitschaft der Deutschen im Elsaß eine außerordentliche Spannweite auf. Während sich einerseits Zuzügler abschotten - im Extremfall in regelrechten deutschen Wohnenklaven -, zeigen sich andererseits krasse Formen von Überanpassung oder proselytenhafter Frankophilie: "Hans Herth ... vergleicht dieses blinde Verlangen, hundertfünfzigprozentige Franzosen auf Kosten ihrer alemannischen Identität zu sein, mit dem Verhalten der deutschen Intellektuellen, die nur noch mit der Baskenmütze schlafen und ihr eigenes Land wie die Pest hassen" (Graff 1996, 25).
Für die konsequenteste Form der Integration, nämlich der Annahme der französischen Nationalität, optieren nur ganz wenige Zuzügler. Für 42 % der Probanden im Oberelsaß kam die französische Staatsbürgerschaft keinesfalls oder eher nicht in Betracht. Immerhin 15 % - bei den vor 1991 Zugezogenen sogar 30 % - erscheint eine solche Entscheidung durchaus und 27 % unter Umständen möglich.

Der Umzug wird überwiegend als definitiv betrachtet. Nur 11 % der im südlichen Elsaß befragten Personen zogen eine Rückkehr nach Deutschland in absehbarer Zeit in Betracht, 38 % schlossen dies kategorisch aus. Nur eine äußerst geringe Zahl von derartigen Anfragen geht bei den grenzüberschreitenden Infobest-Beratungsstellen Palmrain und Vogelgrun ein.

Rückwanderungen erfolgen meist wegen beruflicher Veränderungen, schulischer Fortbildung der Kinder oder bei der Auflösung von Ehen bzw. Partnerschaften. Doch gibt es auch andere Gründe: Erst nach dem Umzug werden vorher verdrängte oder unterschätzte Probleme wahrgenommen (Sprache, administrative Formalitäten, Mentalitätsunterschiede ...). Nach Aussagen von oberelsässischen Immobilienmaklern häufen sich in den letzten Jahren solche Fälle.

Abbildung 16: 

Immobilienerwerb in Fr.

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Euro-Info-Verbraucher e.V.

Abbildung 17: 

Bartels/Ehl:
Elsaß für Neubürger.
Ein Leitfaden für
eingehende Franzosen. (1998)

 

 

 

 

 

 

Abbildung 18: 

VHS Freiburg 95/2: Fachseminar 04.10.1995: Immobilienerwerb - Mietrecht in Frankreich.

 

 

 

 

 

 

 

Über verschiedene administrative Probleme, die sich umzugswilligen Deutschen im Elsaß stellen können, klären die Infobest-Dienststellen oder die deutsch-französische Verbraucherberatungsstelle [1] in Kehl auf und vermitteln gleichzeitig praktische Hinweise. In einer eigenen Schrift "Elsaß für Neubürger. Ein Leitfaden für angehende Franzosen" stellten Bartels und Ehl (1998) nützliche Ratschläge zusammen.

Ein für die Integration der Deutschen wichtiger Schlüssel ist die Einstellung der Elsässer zur deutschen Kultur, die mehrheitlich sicher nicht von einer "Haß-Liebe" (so Kleinschmager 1999, 121), wohl aber von einer zunehmenden Distanzierung geprägt ist. Der Rhein ist nicht nur zur sprachlichen Grenze geworden: "In dem Augenblick, in dem wir uns politisch und wirtschaftlich Tag für Tag näher kommen, trennen wir uns seelen- und herzmäßig, also kulturell, wie wir noch nie getrennt waren zwischen Rhein und Schwarzwald seit 6000 Jahren.

Abbildung 19: 

Martin Graff:
Von Liebe keine Spur (1996)

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Alemannische Abendmahl ist geplatzt, weil die Tischordnung nicht mehr stimmt" (Graff 1996, 33). Eine selektive Wahrnehmung prägt aber das Bild der neuen Umgebung: "Allgemein tendieren die "Neusiedler" dazu, ihre neue Heimat zu beschönigen" (Graff 1999, 110f). Diese auch bei anderen ausländischen Zuzüglern verbreitete Sehweise entspricht der Motivationstheorie der Wahrnehmung: Nicht die Realität und Erfahrung, sondern Bedarf und Bedürfnis der Wahrnehmenden akzentuieren das Bild der Umwelt. Viele Deutsche nehmen bewusst oder unbewusst nicht zur Kenntnis, wie stark das elsässische Selbstverständnis sich gewandelt und von "deutschen" Wurzeln entfernt hat. Für die große Mehrheit der Elsässer scheinen nämlich ihre deutschen Nachbarn nur noch in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zu existieren, und zwar lediglich als "Kunden, Lieferanten und Arbeitgeber" (Vogler 1995, 86).