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Ausblick

Der Fall der Mauer und die deutsche Einigung stellten nicht nur die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern auf die Probe. In kultureller Hinsicht bedeuteten sie zunächst insofern eine neue Herausforderung, als sich die gegenseitigen Wahrnehmungsbedingungen änderten. In Frankreich führte dies bei einem Teil der Intelligenz zur Wiederbelebung alter Ängste vor angeblichen deutschen Hegemonialbestrebungen in Europa. Gleichzeitig befürchtete man auch, Deutschland werde seine exklusive Westorientierung, insbesondere die Bindung an Frankreich, lockern und sich seinen alten kulturellen "Einflusszonen" in Mittel- und Osteuropa zuwenden.

Auf der anderen Seite jedoch stieg bei den Studenten und jüngeren Wissenschaftlern die Neugierde für deutsche Fragen, insbesondere für die Probleme der Einigung, parallel zu wachsender Nachfrage in den Medien in Informationen über deutsche Realitäten. In Deutschland klagte man vielerorts über nachlassendes Interesse an Frankreich, eine Diagnose, die für die allgemeine Bewertung französischer Kultur und Gesellschaft zutreffen mag, die aber bislang weder durch die Zahl der Studienabsolventen bestätigt wird noch an der Bandbreite der Dissertations- und Studienthemen abzulesen ist. Wenn sich auch Germanistik und Romanistik in Frankreich und Deutschland in einer gewissen Umbruchsituation befinden, so sorgt die wachsende Vernetzung der Studiengänge in den Sozialwissenschaften für eine Intensivierung des Austauschs nicht nur der Kenntnisse und Methoden, sondern auch der Wissenschaftstraditionen und Universitätskulturen. Die Übersetzungen zwischen beiden Sprachen sind keineswegs rückläufig, sondern halten sich auf dem bisherigen Niveau.

Abbildung 16:

Unter dem Motto Französisch zahlt sich aus wirbt die Deutsch-Französische Hochschule bundesweit mit dem Ziel, die Vorteile des Französisch- bzw. Deutschlernens insbesondere unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu unterstreichen.

Interne-Quelle [1]

Was sich grundlegend geändert hat, ist die Tatsache, dass die Auseinandersetzung mit dem "Erbfeind", die die Kulturbeziehungen in vielem belebt, wie die Phase der Aussöhnung, die diese Stimulierungen in mancher Hinsicht fortgesetzt hatte, heute zu einem Abschluss gekommen sind. Damit verlieren die deutsch-französischen Kulturbeziehungen [2] an Exklusivität, die Zeit des polarisierenden Spiegels ist vorbei. Das bedeutet aber nicht, dass diese Beziehungen nicht weiter lebendig bleiben. Sie werden vielleicht in mancher Hinsicht diffuser, aber dafür auch vielfältiger und durch die wachsende Verflechtung mit Sicherheit komplexer werden und ihre jeweils nationale Profilierung nach und nach verlieren. Innerhalb des multilateralen Transformationsprozesses, der durch die europäische Einigung ausgelöst wird, kommt ihnen gerade wegen ihres Modellcharakters eine entscheidende Bedeutung zu.