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Einleitung

Die deutsche "Medienfreiheit", wie sie das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Urteilen aus Artikel 5 des Grundgesetzes abgeleitet hat, ist in Europa einmalig. Die verfassungsrechtliche Verankerung der Medienordnung liegt in der jüngeren deutschen Geschichte begründet und soll jegliche Instrumentalisierung von Informationen zu politischen Zwecken verhindern, sei es durch den Staat, sei es durch medienfremde Interessen - insbesondere die Industrie (1).

Anders stellt sich die Situation in Frankreich [1]  dar mit seiner kontinuierlichen Geschichte und Rechtsordnung, die immer noch der Französischen Revolution 1789 verpflichtet ist. Ureigene Aufgabe des Staates ist es demnach, im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln. Dieser steuert die Informationen längst nicht mehr, aber er muss dafür sorgen, dass Unternehmen, die sich in den Medien engagieren, auf solider wirtschaftlicher Basis agieren. Das können heute nur noch Industriekonzerne. So ist die ehemals staatliche Medienpolitik im Laufe der Zeit zur klassischen Industriepolitik mutiert. 

Abbildung 1:

"Die Medienkonzentration ist entschieden zu hoch!"
Erschienen: 4. Mai 2001 ("Die Presse"), Mai 2001 ("Academia" )

 

 

Internet-Quelle [2]

In nur 20 Jahren seit der Liberalisierung des Rundfunks hat sich die gesamte französische Medienlandschaft radikal gewandelt. Der Staat entließ 1982 Hörfunk und Fernsehen in die Marktwirtschaft. Die Folge ist, dass der öffentliche Rundfunksektor heute nur noch einen geringen Anteil innerhalb des hoch konzentrierten Medienmarktes ausmacht. Diesen teilt sich ein Dutzend Industriekonzerne, die fast allesamt im Rüstungssektor oder im Bereich öffentlicher Dienstleistungen (Daseinsvorsorge) tätig sind. Der Meinungsvielfalt schadet die medienübergreifende Verflechtung nicht, denn de facto herrscht ein plurales Modell, in dem das Gesamtangebot für die Vielfalt der Inhalte, Ausdrucksformen und Meinungen bürgt.

 

 

Hintergrund: Presse - eine wirtschaftliche und kulturelle Modernisierungskrise

Anders als Deutschland ist Frankreich kein Zeitungsleserland. Die Zeitungsdichte ist mit 150 Exemplaren pro 1 000 Einwohner nur halb so groß wie hierzulande. Zudem ist der Printmedienmarkt anders strukturiert. Die Hauptstadt gibt bei der Information den Ton an: "Le Monde" bzw. "Le Figaro" berichten aus Paris und dem Ausland für das ganze Land - sie gelten als "nationale" Medien. Regionalmedien bieten nur ein Zusatzangebot. Der Informationsfluss folgt einem pyramidalen Aufbau.
Es herrscht ein deutliches Informationsgefälle zwischen dem Ballungsraum Paris mit einem Überangebot an Medien aller Art und dem Rest des Landes, wo sich die Bürger neben dem nationalen Radio- und Fernsehangebot mit einer Regionalzeitung begnügen müssen. Keine der Regionalzeitungen ist in Paris erhältlich, die führenden Hauptstadt-Zeitungen ("Le Monde", "Le Figaro") werden nur in der Metropole und in den größeren französischen Städten gelesen.
Überregionale Tageszeitungen wie in Deutschland kann es im zentralstaatlich aufgebauten Frankreich nicht geben, da die französische Hauptstadt das Macht- und Meinungszentrum des Landes darstellt. Zudem gibt es unter den 56 Regionalzeitungen kaum finanzkräftige Titel, sieht man von wenigen Ausnahmen wie "Ouest-France" oder der elsässischen "Les Dernières Nouvelles d'Alsace" ab; diese sind auch als einzige einer Konkurrenz in ihrem Verbreitungsgebiet ausgesetzt. Alle anderen Zeitungen besitzen eine Monopolstellung.
Die regionalen Presseverlage sind - mit nur wenigen Ausnahmen (darunter die beiden oben genannten) - kleinere Unternehmen, die in den Jahren der Résistance gegründet wurden und daher heute vor Nachfolgeproblemen stehen. Ihre Werbeeinnahmen stagnieren nicht erst seit der europaweiten Krise des Werbemarktes; denn das rentable Werbegeschäft mit den großen Marken bleibt den nationalen Medien vorbehalten.
Seit etwa 20 Jahren ist daher auf dem Markt der Regionalzeitungen ein Konzentrationsprozess zu beobachten, der längst noch nicht abgeschlossen ist - zumal die Regierung den Ausbau des Regionalfernsehens unter Beteiligung von regionalen Verlegern plant. Das heutige Angebot soll sich in den nächsten Jahren auf ein Dutzend Programme verdoppeln, die dann digital übertragen werden. Der Einstieg ins kapitalintensive Fernsehgeschäft und die Perspektive einer Neuaufteilung des Werbekuchens nach der Lockerung der Werberegelungen forcieren Fusionen und Aufkäufe.
Noch tiefer in der Krise sind die Verleger der "nationalen" Tageszeitungen. Zwar haben diese in den vergangenen 20 Jahren ihr Kapital für oft branchenfremde Investoren geöffnet. Die Wirtschaftszeitung "Les Echos" gehört maßgeblich der britischen Pearson-Gruppe ("Financial Times"), am Kapital von "Le Monde" ist Canal + beteiligt, die linke "Libération", die bei der Gründung der Berliner Zeitung "die tageszeitung" Pate stand, gehört zum Teil dem Filmkonzern Pathé, "Le Figaro" ging 2004 an den Flugzeugbauer Dassault.
Doch die Einnahmen der Verleger sind durch den Vertriebsmodus der Zeitungen geschwächt. Diese werden zu drei Vierteln am Kiosk verkauft, was mit einer großen Planungsunsicherheit verbunden ist und den Konkurrenzdruck auf Nachrichtenauswahl wie Gestaltung erhöht - die Headline muss den potentiellen Leser schließlich zum Kauf animieren. Auf der Ausgabenseite machen den Verlegern die durch die Monopolstellung der kommunistischen Druckergewerkschaft Le Livre (CGT) bedingten hohen Druck- und Vertriebskosten zu schaffen. Ein hoher Einzelverkaufspreis und der Trend zum Sensationsjournalismus haben zu einem Leserschwund beigetragen, der durch die Erweiterung des Rundfunk- und Online-Angebots ausgelöst wurde.
Im Frühjahr 2003 erregte ein Buch die französische Öffentlichkeit: "Die Schattenseiten von Le Monde" (1).Dessen Autoren Pierre Péan und Philippe Cohen warfen dem Weltblatt Geschäftspraktiken vor, die in krassem Widerspruch zu seinem Ruf als "Tugendtempel" stünden. Damit sprachen sie den grundlegenden Widerspruch der französischen Presse an: Deren Anspruch ist seit Kriegsende der eines gemeinwohlorientierten Gutes geblieben (mit entsprechenden staatlichen Subventionen, die aber heute mit dem EU-Beihilferecht kaum noch in Einklang zu bringen sind) (2). In Wirklichkeit hat der Verleger aber als Geschäftsmann zu handeln. Auch das Gut Information muss sich am Markt behaupten können - diese Entdeckung kommt einer Kulturrevolution gleich.
Dass seriöser Nachrichtenjournalismus durchaus rentabel sein kann, zeigen seit Frühjahr 2002 die Gratiszeitungen; diese finanzieren sich ausschließlich aus Werbeeinnahmen: "20 Minutes" und "Metro" konnten die Kosten drücken, indem sie das Druck- und Vertriebsmonopol umgingen, und finden reißenden Absatz. Sie bieten gerade dem jüngeren Leser das, was er in den etablierten nationalen Zeitungen vermisst (und weshalb er sie oftmals auch nicht mehr liest): knappe, faktenorientierte News. Denn noch immer herrscht im französischen Journalismus der - möglichst brillante - Kommentar vor. Doch auch dies dürfte sich mit der Weiterentwicklung der Gratiszeitungen in Zukunft ändern, wie die beginnende Neuausrichtung der Journalistenausbildung bereits andeutet: Der Trend geht hin zu mehr Professionalität.

(1) Vgl. Pierre Péan/Philippe Cohen, La face cachée du Monde. Du contre-pouvoir aux abus, Paris 2003. Vgl. dazu Isabelle Bourgeois, " Schattenseiten. 'Le Monde' sitzt auf der Anklagebank ", in epd medien Nr. 18 vom 8.3.2003
(2)
Konstantin Korosides, " Europas Presse in Bedrängnis. In vielen Ländern fördert der Staat Zeitungen und Zeitschriften. Aber wie lange noch?", Die Welt, 15.03.2004

 

 

Nach dem Boom und der Entwicklung des Medienmarktes bis zum Ende des 20. Jahrhunderts (2) beginnt nunmehr eine neue Phase: eine forcierte multimediale Konzentration [3]  (Cross-Media-Ownership). Auslöser ist zum einen die ab 2005 geplante Kapazitätserweiterung durch die Digitalisierung der Übertragungswege und die Konvergenz von Rundfunk- und Telekommunikationsdiensten, zum anderen der fortschreitende Integrationsprozess des EU-Binnenmarktes. Auf den nationalen Medienmärkten agieren Unternehmen, deren Kapital und Beteiligungen europaweit gestreut sind; dies stellt die nationalen Medienordnungen vor neue Herausforderungen. 

Marktöffnung und Liberalisierung verlaufen in Frankreich in ähnlicher Weise, wie es EU-weit in anderen Dienstleistungsbereichen zu beobachten ist - etwa bei Post und Telekommunikation: erst Entstaatlichung, dann Privatisierung (3). Vergleichbar den Universaldienstverordnungen, die in dieser Branche die Wahrnehmung der allgemeinen (wirtschaftlichen) Interessen gewährleisten sollen, müssen auch die Rundfunkanbieter bestimme Auflagen erfüllen - im Sinne einer kulturellen Daseinsvorsorge. Auch wenn diese Gemeinsamkeiten zwischen Medien und Dienstleistungen nur ungern öffentlich dargestellt werden, bilden sie doch den Kern einer Medienpolitik, die auf eine gezielte Industrie- und Standortpolitik hinausläuft. 

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Anmerkungen

(1) Alfred Hugenberg, Vorstandsmitglied der Krupp AG und Abgeordneter der Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP), hatte mit seinem Medienkonzern zu Hitlers Machtergreifung beigetragen.

(2) Siehe hierzu Isabelle Bourgeois: Frankreichs Medien zwischen Staat und Markt, in: Marieluise Christadler/Henrik Uterwedde, Länderbericht Frankreich. Geschichte - Politik - Wirtschaft - Gesellschaft (Schriftenreihe, Bd. 360), Bonn 1999.

(3) In Frankreich ist - wie übrigens in den meisten EU-Staaten - das in Deutschland übliche Prinzip der Kontrolle über Aufsichtsgremien, in denen Vertreter relevanter gesellschaftlicher Gruppen vertreten sind, gänzlich unbekannt. Es gibt nur die Alternative Staat oder Markt.