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'Verlust von Inserenten, Neugewinn von Lesern?'
 
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Verlust von Inserenten, Neugewinn von Lesern?

Die überregionalen deutschen Tageszeitungen haben unter der Rezession von Wirtschaft und Werbung 2001/2002 besonders gelitten. Im Vergleich zu den Boomjahren 1999/2000 ist der Werbeumfang deutlich gesunken, die Stellenanzeigen sind sogar um 50 % zurückgegangen. Eine allgemeine Welle von Entlassungen war die Folge, und es wurden einige weitere Maßnahmen getroffen. Seit Juli 2002 bietet die FAZ die Berliner Lokalseiten nicht mehr an. Im Bereich der Stellenanzeigen - die FAZ ist bei bundesweiten Annoncen führend - haben die zwei Konkurrenten SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (SZ) und FRANKFURTER RUNDSCHAU (FR) einen Zusammenschluss "Stellenmarkt für Deutschland" herbeigeführt, um der FAZ etwas entgegenzusetzen (40). 

Unter dem Titel "La presse allemande fait face à une tempête sans précédent" [Die deutsche Presse trotzt einem beispiellosen Sturm] hat LE MONDE (29.11.2002, S. 21) einen Artikel veröffentlicht, der zu beschreiben versucht, wie tief greifend die Krise ist. In der einführenden Passage heißt es:

"Die deutsche Tagespresse befindet sich in der größten Krise seit Kriegsende. Seit mehreren Monaten treffen zahlreiche Tageszeitungen immer mehr Sparmaßnahmen. Sozialpläne, verringerte Seitenzahl, Abschaffung von Beilagen, die vier Blätter, die eine bundesweite Leserschaft beanspruchen, sind ganz besonders betroffen: Nach dem Muster der Süddeutschen Zeitung hat die linke Tageszeitung Frankfurter Rundschau eine umfassende Umstrukturierung begonnen, die ihr Überleben sichern soll. Ihre Belegschaft soll von 1600 Angestellten Anfang 2001 auf 1200 im Jahr 2004 reduziert werden. Ihr Nachbar und konservativer Konkurrent, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, hat angekündigt, 200 Stellen einzusparen, Hundert davon in der Redaktion (Le Monde vom 6. November). Die einzige dieser Zeitungen, die sich auf einen starken Konzern (Springer) stützen kann, Die Welt in Berlin, sieht sich gezwungen, ihre Teams mit dem einer lokalen Tageszeitungder Berliner Morgenpost, zusammenzulegen, die ebenfalls von ihrem Mutterhaus kontrolliert wird. Das Resultat: circa 120 Stellenstreichungen (Le Monde vom 7. Juli). "Das Beben ist heftig, aber es ist zum guten Teil konjunkturell bedingt. Es handelt sich vor allem um eine finanzielle Krise", sagt Helmut Heinen, Präsident des Verbandes deutscher Zeitungsverleger. Durch das schwache Wachstum sind die Werbeeinnahmen weg gebrochen. Die Stellenanzeigen sind im Vergleich zu 2001 in diesem Jahr um 41 % zurückgegangen. Die bis vor kurzem sehr dicken Zeitungen haben dramatisch an Gewicht verloren. Nach einer Zeit der fetten Jahre, die mit der von der Technologieblase hervorgerufenen Euphorie verbunden war, hat dieser brutale Umschwung um so mehr weh getan, als das finanzielle Gleichgewicht der wichtigsten deutschen Tageszeitungen zu zwei Dritteln, wenn nicht mehr, von der Werbung und dem Anzeigengeschäft abhängt."

Die Lage war und ist immer noch besonders dramatisch bei der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Trotz eher steigender Vertriebserlöse hat diese Tageszeitung im Jahr 2001 ein Defizit von 44 Millionen Euro eingefahren und befürchtet für 2002 Verluste in Höhe von 30 Millionen (Libération, 25.11.2002, S. 29). Das Mutterhaus der SZ, der Süddeutsche Verlag, hatte daher einen dringenden Bedarf nach "frischem" Kapital. Mehrere Pressekonzerne haben eine Beteiligung ins Auge gefasst: der große regionale Konzern WAZ aus Essen, der Münchner Konzern Dirk Ippen, der in ganz Deutschland aktiv ist und Eigentümer zweier großer Münchner Tageszeitungen ist (MÜNCHNER MERKUR und TZ), die Madsack-Gruppe, die unter anderem die HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG und die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG besitzt (Focus, 14.10.2002, S.182-184) und ebenso der Konzern Holtzbrinck, Eigentümer des HANDELSBLATTS, des Berliner TAGESSPIEGELS, der Wochenzeitung DIE ZEIT, der Verlagshäuser Fischer, Rowohlt usw. (Badische Zeitung, 30.10.2002, S. 29). Aber würde der Einstieg einer dieser mächtigen Konzerne nicht die - relative - Unabhängigkeit des Süddeutschen Verlags gefährden und die Mitte-Links-Orientierung der SZ? Es kam zu lebhaften Diskussionen innerhalb der fünf Gesellschafterfamilien. Schließlich haben die Gespräche mit einem weiteren Konzern zum Erfolg geführt, und dieser hat das erforderliche "frische" Kapital eingebracht: Es war die Südwestdeutsche Medien Holding GmbH, die 75% des Kapitals der STUTTGARTER ZEITUNG und 80% der STUTTGARTER NACHRICHTEN hält (Badische Zeitung, 26.11.2002, S. 8). Dieses Hin und Her zeigt deutlich, wie stark die Stellung der großen regionalen Gruppen gegenüber den deutschen "überregionalen" Zeitungen ist. - Trotz dieser Kapitalerhöhung plant der Süddeutsche Verlag circa "20% der ungefähr 5.000 Stellen bis Ende 2004" einzusparen, und er "beabsichtigt, seine Anstrengungen auf sein Kleinod, die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, zu konzentrieren " (Stratégies, 29.11.2002, S.30).

Die wirtschaftliche Rezession hat nicht nur die Tageszeitungen, sondern auch die anderen Medien in Europa, folglich auch in Frankreich getroffen. Im Vergleich zum Jahr 2000 hat die nationale Tagespresse 2001 21% der Werbeeinnahmen verloren, während die regionale Presse nur 0,3 % und die Magazinpresse 2 % eingebüßt haben (41). 2002 mussten die nationalen Tageszeitungen einen Rückgang ihrer Werbeseiten um 10% verglichen mit 2001 feststellen, wohingegen LE PARISIEN/ Aujourd'Hui (+ 7%) und LE MONDE (+ 3%) der Krise gut die Stirn geboten haben. (Die Magazinpresse hat im Vergleich zu 2001 eine Reduktion um 6 % erfahren (42). Die Investitionen der Werbewirtschaft in die Presse jedweder Art gingen seit 2002 im Vergleich zu 2001 um 4,6% zurück (43). Da die Annoncen von Stellenangeboten eine wichtige Einnahmequelle der nationalen französischen Tageszeitungen darstellen, soll in diesem Zusammenhang auf die Website www.cadremploi.fr [1]  hingewiesen werden. Sie übernimmt die Stellenangebote von Le FIGARO, Le MONDE, Les ECHOS und auch - seit Januar 2003 - von LIBÉRATION. Mit 11.000 aktualisierten Angeboten (im Durchschnitt für 2002) und über 13 Millionen besuchten Seiten pro Monat ist diese erste private Internet-Stellenbörse in Frankreich ein Exklusivangebot, das den vier großen nationalen Tageszeitungen gemeinsam gehört und das so weit wie möglich die Werbeverluste wettmachen soll.

Um diese Verluste abzufangen wird natürlich auch der Versuch unternommen, den Lesern mehr Exemplare zu verkaufen. Verschiedene Mittel sollen diesem Ziel dienen, nämlich der Eroberung neuer Leser. Neben der Regionalisierung (44), die ebenso in den regionalen Titelseiten der Nachrichtenmagazine LE NOUVEL OBSERVATEUR, L'EXPRESS und LE POINT zu finden ist, seien folgende Maßnahmen genannt: 

  • Die neue Aufmachung von Le MONDE (seit dem 14. Januar 2002) und die Zugabe einer englischen Beilage aus der NEW YORK TIMES in der Wochenendausgabe, 
  • Die Preisreduktion des Le FIGARO auf 1 Euro (auf der Titelseite gut sichtbarer Preis, siehe Abb. 6) seit der Euro-Einführung im Januar 2002 (45). 

Und um die Offensive der Gratiszeitungen 20 MINUTES und MÉTRO einzudämmen, die den Werbemarkt bedrohen, hat sich LE MONDE entschieden, das Blatt 20 MINUTES zu drucken, was ihm wenigstens einen finanziellen Vorteil einbringt. LE PARISIEN hat sich seinerseits mit der Gratiszeitung A NOUS PARIS in einem "gemeinsamen Werbeprodukt " zusammengeschlossen (46). Die Zukunft wird erweisen, ob es mit diesen Maßnahmen gelingt, das Wegbrechen der Einnahmequellen, nämlich der Verkaufserlöse und Werbeeinnahmen, zu stoppen.

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Anmerkungen

(40) Ce couplage, après avoir été interdit d'abord par l'Office fédéral des cartels (Bundeskartellamt), a trouvé l'accord de la Cour fédérale (Bundesgerichtshof) en juillet 2002. ne peut donc être réalisé. 

(41) Voir d'autres détails dans Stratégies, 15/3/2002, 27.

(42) Stratégies Newsletter, 20/1/2003, 4.

(43) Stratégies, 31/1/2003, 39.

(44) Voir paragraphe 3.2.

(45) L'édition du samedi, comprenant les trois magazines, a été fixée au prix de 4 EUR.

(46) Stratégies, 21/5/2002, 47. Les éditions Amaury projettent même "de prendre 30% de cet hebdomadaire" (ibid., 47).