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'Der DDR fällt es schwer sich durchzusetzen'
 
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Der DDR fällt es schwer sich durchzusetzen

Die Ostdeutschen, die sich mit großer Hartnäckigkeit bemühen, als Partner in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen anerkannt zu werden, verstärken ihre Anstrengungen in diesem Sinne und reisen regelmäßig nach Paris. (21) Französische Unternehmer fahren seit 1950 auf die Leipziger Messe, und 1955 sind hier fünfzig Firmen vertreten. Sie sehen dort qualitativ hochwertige Produkte, vor allem der chemischen und optischen Industrie oder des Maschinenbaus, aber meist handelt es sich nur um Prototypen. Die französischen Kunden können sie nur kaufen, wenn sie im Gegenzug Rohstoffe liefern.

Wirtschaftliche Transaktionen zwischen Frankreich und der DDR werden seit 1951 durchgeführt, ohne dass es jedoch ein Handelsabkommen gibt, da Frankreich das Regime in Pankow nach wie vor nicht anerkennt. Ein Jahr später zeigt sich B. Lefort, der Leiter der französischen Handelsabteilung, hinsichtlich der Konkurrenz durch die Bundesrepublik beunruhigt und verweist auf die Notwendigkeit, Westdeutschland zuvorzukommen und einen direkten Kontakt mit Ostdeutschland herzustellen. Der Warenaustausch mit der DDR, der etwa dem Austausch zwischen Frankreich und der Schweiz entspricht, bleibt tatsächlich allzu bescheiden. In dieser Zeit erreichen die Transaktionen zwischen den Niederlanden und der DDR das dreifache Volumen. Armand Bérard will das Streben nach Entspannung ausnutzen, das die DDR zu erkennen gibt. Die französischen Unternehmen seien zu zurückhaltend und blieben durch den heimischen Markt geschützt; hätten die Bedeutung einer Exportpolitik noch nicht erkannt. Jedoch sei es an der Zeit, vielfältigere Handelspartner zu suchen und dem vorherrschenden Einfluss der Bundesrepublik in Ostberlin etwas entgegenzusetzen. Es gelte, eine Handelspolitik einzuführen, die aus den engen Grenzen des Protektionismus herausführe, wie es die Konkurrenten bereits täten. Die ostdeutsche Seite steht dem Vorschlag sehr positiv gegenüber und ihre Delegationen fahren immer häufiger nach Frankreich, um die Genehmigung für eine Teilnahme an der Pariser Messe zu erhalten.

Kulturelle Kontakte, die sich auf verschiedenen Ebenen entwickeln, sind mitunter einfacher herzustellen. Marc Boegner [1] , der Präsident des französischen evangelischen Kirchenverbandes, veranstaltet ab 1953 Treffen zwischen französischen und ostdeutschen Studenten. Auf der Leipziger Messe werden französische Veröffentlichungen präsentiert; sie unterliegen allerdings seitens der DDR sehr oft der Zensur. Der in diesem Zusammenhang interessanteste Fall ist das Verbot, am französischen Stand eine Gauguin-Reproduktion über den alten Maori-Kult und ein Album mit Zeichnungen von Fernand Léger auszustellen. Der französische Vertreter findet diese Haltung recht prüde. Die tahitianische Zügellosigkeit hätte die Aktivisten von dem Ziel des Fünfjahresplans ablenken können! Die deutschen Zensoren meinen, dass Léger ein schlechtes Beispiel für ihre eigenen Künstler abgebe. Jedoch ist er zu dieser Zeit einer der beliebtesten Maler der KPF. Nach einer Reihe von Hintergrundgesprächen erlaubt die Zensur, dass das Album von Léger gezeigt werden darf. Aber bei der offiziellen Eröffnungsfeier lässt der ostdeutsche Bildungsminister den französischen Stand links liegen.

Auf der Leipziger Messe 1953 nimmt die Zensur französische Werke ins Visier. Interessanterweise lehnt sie die Ausstellung eines Gauguin-Faksmiles über den früheren Maori-Kult ab.

 

 

Quelle: www.tahitiguide.com/@fr/8/6/185/article.asp

Nach Einschätzung von Dupouey bietet die Messe aber auch Anlass, die Geisteshaltung der Besucher zu ermitteln: Sie kommen, weil sie sich informieren wollen, aber auch "um frischen Wind einzuatmen, etwas über Frankreich und die dortigen intellektuellen Bewegungen zu erfahren, Reproduktionen moderner Malerei und Architekturzeitschriften zu sehen". Die Intellektuellen werden offenbar streng kontrolliert. Den Franzosen fällt auf, dass ein ostdeutscher Polizist die Besucher der Deutschen Bücherei notiert.

Von französischer Seite verhält man sich vorsichtig, werden Genehmigungen für Universitätsangehörige, die in die DDR reisen wollen, sehr sparsam erteilt. Die Auftritte dürfen ausschließlich wissenschaftlichen Charakter tragen, und die Gegenwart von Vertretern anderer westlicher Staaten ist sehr erwünscht.

Der Austausch von Künstlern wird gestattet, sofern das ostdeutsche Kulturministerium bei den Auftritten nicht federführend ist. 1954 unternimmt die Comédie francaise mit dem Misanthrope eine Tournee in der DDR und in der Bundesrepublik. Im selben Jahr fahren die Solisten der Pariser Staatsoper im Rahmen eines Kulturaustausches nach Ostdeutschland, und das Ensemble der Deutschen Staatsoper gibt Vorstellungen in Paris. Das TNP spielt 1955 Ruy Blas in der Ostberliner Volksbühne.

Bertold Brecht [2] geht mit dem Berliner Ensemble auf Europa-Tournee. 1954 kommt er auf Einladung des internationalen Festivals in Paris nach Frankreich. Von der DDR-Regierung als formalistisch kritisiert, weil er sich nicht an die offizielle revolutionäre Linie hält, sichert er sich seine Berliner Position, indem er seinen internationalen Ruf auf solide Beine stellt, insbesondere durch Die Viergroschenoper, Mutter Courage und ihre Kinder, Herr Puntila und sein Knecht Matti, die heilige Johanna der Schlachthöfe und Furcht und Elend des Dritten Reiches. Seine Stücke werden im übrigen in den 1950er Jahren in Frankreich von Roger Planchon und Jean Vilar inszeniert, der 1951 Mutter Courage aufführt.

Die Rezeption Bertold Brechts in der DDR ist nicht problemlos. Seit 1951 setzt die "Formalismus-Debatte" ein: Texte, die die Realität nicht eins zu eins, quasi photographisch widerspiegeln, werden als "formalistisch" angeprangert. Daraufhin distanzieren sich einige Kritiker von Brecht. Erst 1958 machen die Vorbehalte gegen Brecht einer wachsenden Begeisterung Platz. Bekundetes Ziel ist es "die Brecht’sche Methode als wesentlicher Beitrag zur marxistisch-leninistischen Ästhetik triumphieren zu lassen". Zu dieser Zeit ist Brecht, um mit Max Frisch zu sprechen, zu einem Klassiker "durchschlagender Unwirksamkeit" geworden.

Quelle: Text [3] / Foto [4]

Dennoch bleibt festzuhalten, dass die direkten Kontakte zwischen Franzosen und Ostdeutschen in der Zeit von 1949 bis 1958 begrenzt bleiben, auch wenn das andere Deutschland eine gewisse politische und kulturelle Anziehungskraft auf bestimmte Kreise in Frankreich ausübt.

Das Land interessiert die Franzosen, und die Zeitung Le Monde hält es für notwendig, im November 1950 den bekannten Journalisten Georges Penchenier und im Dezember 1951 seinen ebenso renommierten Kollegen Claude Lanzmann in die DDR zu schicken. Sie schlüpfen ohne Visa durch den Eisernen Vorhang. Hätten sie eine amtliche Reiseerlaubnis beantragt, wäre es unmöglich, im Land herumzufahren und direkten Kontakt mit der Bevölkerung aufzunehmen. Georges Penchenier stellt fest, dass die überwiegende Masse der Bevölkerung nichts für den Kommunismus übrig hat, dass sie jedoch zu keiner Form der Opposition imstande ist, sondern amorph, durch 25 Jahre nationalsozialistischer und kommunistischer Propaganda abgestumpft und willenlos geworden ist. Allerdings stellt er durchaus positive Ergebnisse im Wirtschaftsbereich fest. Moskau will aus der DDR die "Fabrik" der Satellitenstaaten machen.

Der Bürgermeister von Ostberlin, Friedrich Ebert, erklärt in einer Pressekonferenz in Stockholm am 7. April 1959, dass man die Existenz der DDR nicht leugnen könne. Seiner Meinung nach "könnten Bonn und die westlichen Hauptstädte ebenso gut mit der DDR diskutieren, anstatt über unseren Kopf hinweg Kontakte aufzunehmen." (22) Der Machtantritt von General de Gaulle die Beziehung zwischen Frankreich und der DDR verändern.

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Anmerkungen

(21) Im Jahre 1953 reist eine Delegation dorthin, um das Recht zur Teilnahme an der Pariser Messe zu erhalten, das sie 1954 bekommt.
 
(22) Le Monde, 08.04. 1959 (Artikel von Dominique Dirmann, Sonderkorrespondent für Le Monde).