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'Karikatur des Pangermanismus'
 
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Karikatur des Pangermanismus

In späteren Jahren bleibt nichts Deutsches vor Hansis Hass sicher. Mit beißender Ironie macht er sich über die deutsche Architektur, Musik und Malerei her. In einer der Ergänzungen zu seinem "Professor Knatschke" aus der Zwischenkriegszeit, in denen Hansi sich zurecht über die Bemühungen der Alldeutschen lustig macht, französischen Städten, die dermaleinst einem großgermanischen Reich angehören sollen, deutsche Namen zu geben (43) , verspottet er die Malerei Defreggers, Thomas und Böcklins, die Architektur, wie sie im Bau von Bahnhöfen, Gerichtsgebäuden und Schulen Ausdruck fand, und die Musik, deren deutsche Ausdrucksform das Konzert sei, bei dem man Schweinsschulter isst und eine Halbe Münchner Bieres trinkt. "Que tire-t-on en effet de la musique si l'on ne peut en l'écoutant absorber un demi de ‚Munich' et une épaule de cochon !" (44) Schon 1908 hatte er sich in seinem Buch "Die Hohkönigsburg im Wasgenwald und ihre Einweihung, 16 Bilder von Hansi; Text von Prof. Dr. Knatschke" über die Art und Weise lustig gemacht, wie diese aus dem Mittelalter stammende und zuletzt während des 30jährigen Krieges von schwedischen Truppen zerstörte Burg unter maßgeblichem Einfluss von Kaiser Wilhelm II. zwischen 1901 und 1908 wiederhergestellt wurde, nachdem sie zuvor ein idyllisches Dasein als Ruine geführt hatte. Man habe auf alt gemacht, was eigentlich nicht mehr vorhanden war, und man habe Zuschreibungen vorgenommen, die durch nichts gesichert seien. "Le donjon reçut même un aspect qu'il n'avait jamais eu… Meubles et armes sonnaient faux et, pour terminer, des cataractes avaient détrempé le cortège historique évoquant les fastes du XVIe siècle lors de l'inauguration." (45) Hansi schlägt vor, auf dem Donjon (eigentlich aber auch auf allen anderen Teilen des neuen Schlosses) eine Wetterfahne in Form eines Fragezeichens anzubringen, da doch das Ergebnis der Restaurierung sehr zweifelhaft sei. (Abb. 13) 

Abb. 13: Die Wetterfahne
Aus: Le Haut-Koenigsbourg, a.a.O., S. XV

Was in Frankreich und unter Elsässern als "ouvrages patriotiques" durchgehen konnte und dort als "Humor" verstanden wurde, erfüllte für die Behörden des Kaiserreichs den Tatbestand der Auflehnung und Aufhetzung und wurde demzufolge strafrechtlich verfolgt. Als Deutscher, der ins Elsass als Beamter versetzt worden war, dürfte man an den gekonnten Zeichnungen Hansis mit allerdings oft allzu grobschlächtiger Aussage kaum Gefallen gefunden haben. Wer wollte sich schon dermaßen überzeichnet als arrogant, brutal, ohne Geschmack und ohne Anstand dargestellt sehen! Viele dieser Beamten waren sogenannte Zwölfender, also Unteroffiziere und Feldwebel, die zwölf Jahre in der Armee gedient und sich dadurch ein Anrecht auf einen unteren oder mittleren Posten in der Zivilverwaltung erworben hatten. Von ihnen ein besonders Fingerspitzengefühl für den Umgang mit Elsässern und Lothringern zu erwarten, wäre zuviel verlangt gewesen. Sie, die von ihrem Dienst in der kaiserlichen Armee her nur Befehl und Gehorsam kannten, dürften in der Regel genau nach diesem Muster die von ihnen als den ehemaligen Feinden von 1870/71 nicht sehr geachteten neuen Landsleute behandelt haben. 

Der Dünkel derjenigen, die als Sieger in das "verwelschte" Land gekommen sind, um den Einheimischen den "französischen Anstrich" zu nehmen, war keine Charaktereigenschaft, die sich auf die "altdeutschen" Inhaber der unteren Verwaltungsstellen beschränkte. Er fand sich auf allen Ebenen der Verwaltung und war auch - siehe etwa die unrühmliche Affäre von Zabern (46) - im Offizierkorps gängiges Verhaltensmuster. Wehrten sich die Einheimischen durch oft drastische Überzeichnung der allen Deutschen scheinbar angeborenen seltsamen Eigenarten, fühlten sich die jetzt als Post-, Zoll-, Eisenbahn-, Steuer- und Forstbedienstete, dazu als Polizisten eingesetzten ehemaligen Soldaten verletzt und verhöhnt, vielleicht manchmal auch deshalb, weil sie sich in ihrer deutschen Eigenart und ihrem oft ungeschickten Verhalten gegenüber den Elsässern erkannt und ertappt fühlten. 

Am plattesten sind Hansis Charakterisierungen der Deutschen in seinem noch vor dem Ersten Weltkrieg erschienenen Album "Mon village". (47) Hansi zeichnet ein pittoreskes elsässisches Dorf, mit sanften Hügeln und blühenden Feldrainen, erfüllt vom Gesang der Vögel, bevölkert von vielen fröhlichen Kindern, allerdings auch von den zehn Kindern des (deutschen) Ortspolizisten, die immer, wenn die Kinder Krieg spielen, den (deutschen) Feind darzustellen haben, der in die Flucht geschlagen wird. Vieles sei allerdings verschwunden, seit die Deutschen das Elsass besetzt haben. "Der schreckliche Krieg [von 1870/71] und die grausame Annexion haben unser einstiges Leben erschüttert; viele alte Bräuche sind mit den Trachten von damals verschwunden. Stattdessen haben Industrie und Eisenbahn hier wie andernorts deutschen Schund und schreckliche neue Moden gebracht. Aber auch wenn sich die traditionellen Trachten nicht überall gehalten haben, die Seele blieb unverändert." (48)

Abb. 14 : "En tête, Monsieur le Gendarme, flanqué de son épouse. Puis, Mlles Irmentrude, Hildegarde, Elsa, Hulda, MM. Wilhelm et Siegfried, boursier de collège - à nos frais, enfin Karlchen avec son éternelle tartine, et Hanschen avec son tablier de toile cirée! Ce cortège imposant défile sous l'arbre de la liberté, et à l'instant, les oiseaux cessent de chanter."
Aus: Hansi: Mon village, Floury éd., 1913, S. 14, zit. nach Daniel Poncin, En Pays mal conquis: Les allemands vus par l'Alsacien Jean-Jacques Waltz, dit Hansi. In: J.-C. Gardes et D. Poncin (éd.): L'étranger dans l'image satirique. Poitiers 1994, S. 135-158

Unglücklicherweise trifft der Besucher überall in den Dörfern auf den Gendarm, "einen groben Kerl fremder Rasse, Repräsentant und Vollstrecker ungerechter und schikanöser Gesetze." In der Schule gibt es zwei Lehrer, den alten, guten elsässischen Lehrer, der den dialektsprachigen Kindern das nötige Französisch beibringt, damit sie "die ganze Schönheit der französischen Sprache" verstehen können. Er ist es auch, der den Schülern vom letzten Krieg erzählt, wie das Schulhaus in eine Ambulanz für die sterbenden Turkos und Kürassiere verwandelt wurde. Nie hätten die Schüler auch nur daran gedacht, ihm in der Klasse einen Streich zu spielen. Jetzt habe die Regierung zu seiner Unterstützung einen jungen Lehrer geschickt, "hochmütig und hart, mit einem Kragen aus Kautschuk und einer Jacke aus grünem Tuch; er spricht nur ein gequältes und geziertes Hochdeutsch; er ist Korrespondent der deutschen Zeitung aus Straßburg; in der Hand hat er immer einen Stock, mit dem er die Kinder mit Ausnahme der Söhne des Gendarmen verprügelt: für letztere hat er nur honigsüße Worte." (49) Im Unterricht lasse er nur patriotische Lieder lernen und endlos wiederholen. Und trotz seines Stockes spiele man ihm während einer Woche mehr Streiche als dem alten Lehrer während dessen ganzer Laufbahn.

Abb. 15: Als Deutscher im Elsass

 

 

 

 

 

Aus: Mon Village, a.a.O., S. 17

Nach ähnlichem Muster sind fast alle Geschichten in "Mon Village" konzipiert: da gibt es die guten Elsässer, die treu die Erinnerung an Frankreich hochhalten, auch wenn sie diese Gesinnung jetzt nicht offen demonstrieren dürfen (Abb. 15), dort die Deutschen mit all ihrem Hochmut, ihrem Banausentum und ihrer Unfreundlichkeit, dazu die Innerfranzosen in Gestalt vornehmer und liebenswürdiger Pariser Touristen. (Abb. 16) Das Dorf selbst scheint ganz der alten elsässischen Tradition aus der Zeit vor Annexion verhaftet geblieben zu sein. Liest man Hansis Beschreibung der deutschen Touristen im Elsass und vergleicht diese Beschreibung mit dem, was er über französische Elsasstouristen berichtet, so wirkt diese Eloge auf den Pariser "monsieur fort aimable", seine "jolie madame" und ihre "enfants tout à fait gentils" wie die Karikatur einer Karikatur. (50)

Abb. 16: Der Besuch aus Paris
Bei der Person im Vordergrund links dürfte es sich um ein Selbstporträt Hansis handeln.

 

 

Aus: Mon Village a.a.O., S. 19 

Es versteht sich von selbst, dass das dörfliche Patronatsfest, "le Messti", fröhlicher ausfällt als Kaisersgeburtstag, an dem kein Elsässer in das Kaiserhoch einstimmt und die deutschen Amtsinhaber, überwiegend in zu enge Uniformen gepresst, sich zur Freude der Elsässer so sehr betrinken, dass sie kaum das Gleichgewicht halten können. Wie schön ist doch da die alljährliche Feier am 14. Juli, an der die Elsässer in Nancy teilnehmen, weil sie zuhause diesen Tag nicht feierlich begehen dürfen. (51) Alles Französische ist besser, und selbst bei der Beschreibung der Kleidung des dörflichen Nachtwächters vergisst Hansi nicht zu erwähnen, dass der Stoff, aus dem sein Mantel einst hergestellt wurde, französischen Ursprungs und daher unverwüstlich sei ("ces étoffes françaises sont inusables!"). (52) 

Ähnlich grotesk überzeichnet ist eine Passage in dem Album "Le paradis tricolore", wo Hansi das Betragen elsässischer Kinder aus den Jahren ab 1871 mit ihrem Betragen in der jetzt anbrechenden französischen Zeit vergleicht. "Die elsässischen Kinder! Wie sind sie freundlich, wohl erzogen, seit sie [wieder] französisch sind! Vor dem Krieg waren sie wild, rauflustig. Wenn ich mich zum Beispiel in einer Straße zum Zeichnen niedergelassen hatte, wurde ihre lärmende Gruppe schnell unerträglich, sie stritten sich, schrieen diese groben Wörter, die der deutsche Lehrer ("l'instituteur boche") benutzte, um sie zu unterrichten, und zu guter Letzt gaben sie sich Schläge, warfen meine Staffelei und meinen Wassertopf um. Sie haben die groben Wörter des Boche vergessen, sie sind höflich, sprechen das Französisch sehr fein, und sie sind sehr glücklich, dass sie in der Schule keine Schläge mehr bekommen." (53) 

Diese Schwarzweißmalerei ist dermaßen grotesk, dass man sich kaum vorzustellen vermag, irgendjemand habe diesen Vergleich ernst nehmen können. Und dennoch: Hansi hatte (und hat) sein Publikum. Nicht ganz so einseitig argumentiert ein anderer Elsässer. Zwar schildert auch er den strengen preußischen Lehrer, der die Kinder an den Ohren und Haaren zieht. Konnten die frankreichtreuen Eltern es sich leisten, ihre Kinder "d'outre-Vosges", also ins Innere Frankreichs, zu schicken, dann konnte es den elsässischen Kindern durchaus passieren, dass sie wegen ihres starken Akzents gehänselt wurden oder als deutsche Elsässer unter Generalverdacht gerieten, Spione zu sein. Ihre Rechtfertigung konnte dann so lauten: "che ne suis pas un espion de pissemarque" (Ich bin kein Spion Bismarcks; geschrieben nach der Aussprache, wie man sie Deutschen zuschreibt). (54) Als nach 1918 Elsässer auf Arbeitssuche in die Franche-Comté gingen, konnte man dort folgenden Dialog hören ("dialogue garanti d'époque"): "Was halten Sie von den Elsässern, Madame Dupont? - Sie sind sehr freundlich, Madame Lajoie. Schade, dass sie so wenig französisch sind. Wenn ich sie untereinander deutsch sprechen höre ("hachepailler"), da könnte ich aus der Haut fahren. - Ich auch, Madame Dupont. Wenn man bedenkt, dass Millionen unserer Jungs gestorben sind, um sie zu befreien und sie fortfahren, wie Boches zu sprechen..." (55)

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Anmerkungen

(43) Nancy=Nanzig; Cambrai=Kammerich; Épinal=Spieneln usw. Ein Ausschnitt aus einer 1940 erschienenen Landkarte mit diesen Ortsbezeichnungen ist im Anhang des Knatschké-Reprints (wie Anm. 7), S. 16 abgedruckt.

(44) Professeur Knatschké (wie Anm. 7), S. 62-77; Zitat S. 72.

(45) Pinoteau (wie Anm. 1), nicht paginiert; s. a. das Titelbild dieses Buches in: Perreau: Avec Hansi (wie Anm. 1), S. 25; dort auch S. 106ff. - Die elsässische Tageszeitung Dernières Nouvelles d'Alsace hat vor einigen Jahren eine nicht datierte französische Übersetzung dieses Buches herausgebracht.

(46) S. hierzu Hans-Ulrich Wehler: Der Fall Zabern von 1913/14 als Verfassungskrise des Wilhelminischen Kaiserreichs, in: Ders.: Krisenherde des Kaiserreichs 1871-1918. Studien zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte, Göttingen 2. Aufl. 1979, S. 70-88; Volker Ullrich: Als der Thron ins Wanken kam. Das Ende des Hohenzollernreiches 1890-1918m Bremen 1993, S. 65-85; Manfred Görtemaker: Deutschland im 19.Jahrhundert. Entwicklungslinien, Bonn 3. Aufl. 1989, S. 381ff.

(47) Hansi: Mon village. Ceux qui n'oublient pas, Paris 1913 ; Nachdruck Mulhouse/Paris 1988. Erst jüngst hat man eine Verfilmung von " Mon village " aus dem Jahr 1920 entdeckt; Odile Gozillon: Hansi au cinéma, in: Saisons d'Alsace Jg. 48 No. 128 (été 1995), S. 95-98.

(48) Mon village (wie Anm. 47), S. 1f.; dort auch das folgende Zitat.

(49) Ebd., S. 6.

(50) Ebd., S. 18; s. u. die Gegenüberstellung der Texte und der dazu gehörigen Bilder.

(51) Nach "Le Temps" hätten im Jahr 1902 15000 Elsass-Lothringer die deutsch-französische Grenze überschritten, um am 14. Juli teilnehmen zu können; s. Robert Schmitt: Pour le Bicentenaire de la naissance de l'Empereur, in: Annuaire de la Société d'Histoire du Val et de la Ville de Munster XXV (1971), S. 57.

(52) Mon village (wie Anm. 47), S. 30.

(53) Le paradis tricolore (wie Anm. 3), S. 21.

(54) Jean Egen: Une enfance alsacienne. Le Hans du Florival, o.O. 1999 [zuerst 1984], S. 20.

(55) Ebd., S. 58; "hachepailler" ist ein in der Franche-Comté entstandener Neologismus (von: hacher la paille; dt. Stroh hacken) und bedeutet: deutsch sprechen (ebd., S. 58 Anm. 1).

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