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'Die Öffnung hin zu den freien Berufen'
 
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Die Öffnung hin zu den freien Berufen

Die Straßburger Gesellschaft, die sich den höheren Beamten und den Vertretern der Berliner Macht gegenüber sehr mibtrauisch verhielt, nahm von 1880-1890 an in ihren Kreisen eine zunehmende Anzahl von Mitgliedern der freien Berufe auf: Architekten, Ingenieure, Advokaten, Ärzte u.a. Es ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung, die einiger Erklärungen bedarf.

Abbildung 22:

Herkunft der deutschen Ehemänner in Straßburg : freie Berufe

 

 

 

 

 

Quelle: Uberfill 2000

Zahl der Mischehen mit Herkunft des Ehemannes aus den "freien Berufen" nach den Heiratsregistern 1890-1914

Anwälte 5
Architekten 17
Ingenieure 20
Ärzte 6
Zahnärzte 4
Apotheker 5
Notare 2
Insgesamt 59




Quelle: Heiratsregister der Stadt Straßburg

Seit 1876 war Strabburg zu einer riesigen Baustelle geworden. Nach der Schleifung des alten Stadtwalls, dessen Unwirksamkeit sich während der Belagerung im Sommer 1870 gezeigt hatte, wurde mit dem Bau der wichtigsten öffentlichen Gebäude, u.a. des Hauptbahnhofs, begonnen. Die Ausbauarbeiten des Kaiserplatzes, dem Prachtstück der Neustadt, begannen 1882, nachdem die Pläne vom Stadtbaurat Geoffroy Conrath genehmigt worden waren. Dies bedeutete ein gewaltiges Unterfangen mit dem Bau des Kaiserpalastes, der Regional- und Universitätsbibliothek und des Palastes des Landesausschusses, der dazu bestimmt war, die Regionalverwaltung unterzubringen (die 1911 durch den Landtag ersetzt wurde). 1911 wurde die Bebauung des Platzes an der Nordseite mit den Ministerien für Elsass-Lothringen abgeschlossen. Der Bau der Universität und der gesamten Gebäude, in denen die vier Fakultäten der Reichsuniversität (1872 eingeweiht) untergebracht werden sollten, zog sich ebenfalls über dreibig Jahre hin. Schlieblich begann 1905 unter der Leitung des Stadtbaurats Fritz Beblo eine dritte grobe Baustelle, und zwar die Vergröberung des Bürgerspitals durch den Bau neuer Kliniken. Dieses umfangreiche Bauprogramm lockte eine erstaunlich hohe Zahl von deutschen Architekten nach Strabburg, das nun als wirkliche Hauptstadt galt. Mit vielen, oft elsässischen Mitarbeitern entwarfen sie die neuen Architektur- und Stadtplanungsformen, welche die Originalität der Neustadt bis heute ausmachen.

Von den Architekten, die in die Hauptstadt des Reichslands gezogen waren, heirateten siebzehn elsässische Frauen. Unter ihnen sind Hermann Eggert, Bauleiter des Kaiserpalastes und verschiedener Gebäude des Universitätskomplexes, Georg Saier und Friedrich Wetzke, der Sohn von Waldemar Wetzke, der in der Schwarzwaldstrabe zwei herrliche Wohngebäude errichtete. Doch der berühmteste unter ihnen ist Johann Knauth. Er stammte aus Köln, wo er am Bau der Turmspitze des Doms mitgearbeitet hatte. Knauth kam 1890 nach Strabburg auf Bitten des Dombaumeisters, der ebenfalls aus Köln kam. Er war zunächst Bauleiter und wurde 1905 selbst zum Dombaumeister des Straßburger Münsters. In dieser Eigenschaft war er überaus aktiv. Unter anderem restaurierte er die Apostelgalerie und die Fensterrose an der Westseite des Münsters. Im Jahre 1892 heiratete er Mathilde Holtzmann, die Tochter eines Strabburger Gastwirts. Sein Aufenthalt in Strabburg war hauptsächlich gekennzeichnet durch die Arbeiten, die er 1907 begann, um den Stützpfeiler des westlichen Turms zu verstärken, da dieser einzustürzen drohte. Dieses Rettungswerk führte er auch nach dem Ersten Weltkrieg fort, da ihm die französischen Behörden zunächst erlaubt hatten, in Strabburg zu bleiben. Diesen Entschluss nahmen sie jedoch bald zurück und wiesen Knauth im Januar 1921 nach Baden aus. Ein tragisches Schicksal für einen Fachmann, der sich völlig der Verschönerung und der Rettung des prachtvollsten Strabburger Gebäudes gewidmet hatte.

Bei den freien Berufen gibt es zwei Kategorien, denen man Aufmerksamkeit schenken sollte. Die Ingenieure, von denen sich etwa zwanzig mit Elsässerinnen vermählten und, in geringerem Mabe, die Ärzte, Zahnärzte und Apotheker. Die steigende Zahl der Mischehen in diesen beruflichen Kreisen, die in der Lage waren, das in den bürgerlichen Familien fest verankerte Vorurteil gegen die Einwanderer zu überwinden, dokumentiert das Ansehen, das die deutsche wissenschaftliche Kultur zur Jahrhundertwende genob, eine Kultur, die nun, vom ideologischen Standpunkt aus gesehen, neutraler geworden war. Das Ansehen, das diese neuen Berufsgruppen erworben hatten, sowie die täglichen Beispiele der grobartigen Leistungen, die von den Städtebauern, Architekten, Ingenieuren und Technikern vollbracht worden waren, um aus Strabburg, gestern noch Provinzstadt, eine moderne, mit herrlichen Baudenkmälern und der besten Infrastruktur versehene Hauptstadt zu machen, haben die Straßburger nicht gleichgültig lassen können.

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