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'Die Unterstützung des gemeinsamen europapolitischen Denkens'
 
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Die Unterstützung des gemeinsamen europapolitischen Denkens

Die größte Herausforderung für das künftige EU-Mitgliedsland Polen wird darin bestehen, den Anspruch aufzubauen und einzulösen, eine eigene mitgestaltende Politik innerhalb der EU zu betreiben. Einzelne Länder innerhalb der heutigen Europäischen Union sind nicht von dem Anspruch getrieben, eine eigene gestaltende Politik betreiben zu wollen. Eher orientieren sie sich an den allgemein konsensualen Ausrichtungen der Europapolitik. Das gleiche wird in Zukunft für einige der neuen EU-Mitgliedstaaten gelten. Auch bereits in der heute existierenden Europäischen Union gibt es andere Mitgliedsländer, von denen ihre Partner eine eigenständige und gestaltende Europapolitik erwarten und aufgrund der Potenziale dieser Mitgliedsländer auch einfordern dürfen. Diese Perzeption, die zweifellos für Frankreich und für Deutschland gilt, wird in Zukunft auch auf Polen zutreffen. Für Polen bedeutet dies eine radikale Umkehr des eigenen Denkens, denn bisher sind die europapolitischen Diskussionen im wesentlichen auf die Zielperspektive der EU-Mitgliedschaft ausgerichtet und nicht darüber hinaus.

Abbildung 10:

Das Staatswappen Polens. 

 

 

 

 

 

Internet-Quelle

Schneller als heute jedoch vielfach in Polen vermutet, wird die EU-Mitgliedschaft Realität werden und damit eine zwingende Veränderung des europapolitischen Denkens und der Argumentationsansätze innerhalb Polens verlangt. In vier Bereichen wirkt sich dieses vor allem aus: Polen muss auf unmissverständliche Weise den Zusammenhang zwischen nationaler Identität und europäischer Bestimmung reflektieren und die Folgen der Selbsteinschätzung des Landes benennen. Es muss deutlich machen, ob es in der Tendenz eher von der Vorstellung eines Europas im Sinne eines Konzertes der Mächte geprägt ist oder eine Föderation der Vaterländer im Sinne einer immer enger werdenden Politischen Union favorisiert. Damit ist die Frage verbunden, an welchen Staaten und europapolitischen Leitbildern Europa sich in seiner künftigen Europapolitik orientieren will, ob und wieweit es sich an Ambitionen anderer Mitgliedstaaten anhängen möchte oder anhängen muss. In der Tat hat Polen den Anspruch auf eine eigenständige Politik innerhalb der Europäischen Union und darf davon ausgehen, dass die Einlösung dieses Anspruches auch von den künftigen EU-Partnern erwartet wird.

In besonderer Weise berührt dies die EU-Mitgliedschaftsfähigkeit der gesellschaftlichen und politischen Institutionen in Polen. Derzeit sind sowohl die staatlichen Institutionen als auch die politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen im wesentlichen auf das Ziel hin konditioniert, Polens Mitgliedschaft in der Europäischen Union voranzutreiben. Die Beitrittsfähigkeit zur Europäischen Union aber ist nicht identisch mit der Mitgliedschaftsfähigkeit innerhalb der Europäischen Union. Ersteres verlangt die Einlösung der formalen Kriterien des Acquis communautaires und der Kopenhagener Beschlüsse der Europäischen Union. Letzteres verlangt eine mentale, geistige, programmatische und strategische Entwicklung innerhalb der polnischen gesellschaftlichen Kräfte, politischen Parteien und staatlichen Institutionen. Vor allem kommt es darauf an, die Beitrittsfähigkeit der polnischen Parteien zu stärken und die künftigen Interessen innerhalb der Europäischen Union, aber auch die Leitbilder, die durch Polens Mitwirkung in der Europäischen Union [1] erreicht werden sollen, präziser zu benennen. Soll die Europäische Union zu einer Politischen Union weiterentwickelt werden, muss eine europäische politische Öffentlichkeit hergestellt werden.

Abbildung 11:

Mit der Osterweiterung der EU zum 1. Mai 2004 wird sich die derzeitige Zusammensetzung des Europaparlamentes verändern.

 

Internet-Quelle [2]

Erste Ansätze dafür sind in Gestalt des heutigen Europaparlamentes vorhanden. Das Europaparlament bedarf aber einer stärkeren parteipolitischen Weiterentwicklung. Interessen und Vorstellungen über die Realisierung europapolitischer Leitbilder müssen zunehmend politisch definiert werden, wenn Europa die Vorstellung entwickeln will, eine gemeinsame europäische politische Öffentlichkeit zu besitzen und an der Entwicklung des europapolitischen Prozesses teilhaben zu lassen. Für die polnischen politischen Parteien wird sich diese Frage erstmals bei der Teilnahme an der ersten Wahl zum Europäischen Parlament nach Vollzug der polnischen EU-Mitgliedschaft stellen. Nach Stand der Dinge könnte dies bereits bei der Wahl zum Europaparlament im Jahre 2004, spätestens aber 2009 der Fall sein. Die polnischen Parteien [3] müssen sich entsprechend mit der Frage auseinandersetzen, welcher der Parteiformationen im Europaparlament sie sich nach einer Wahl ins Europaparlament anschließen wollen. Mehr als Status und Formalfragen ist damit die Frage nach dem europapolitischen Leitbild der verschiedenen polnischen politischen Parteien verbunden. Es ist hoch an der Zeit, bereits heute die parteipolitische Zusammenarbeit innerhalb des „Weimarer Dreiecks“ und darüber hinaus in bezug auf sämtliche denkbaren Partner in der Europäischen Union zu befördern. Begegnungen, programmatische Diskussionen und das Entstehen parteipolitischer Netzwerke sind ein zentraler Schlüssel zur Weiterentwicklung einer politischen Öffentlichkeit innerhalb der Europäischen Union. Diskussionen über die institutionellen Implikationen und Notwendigkeiten für die Weiterentwicklung einer politischen Union stehen in Polen bestenfalls erst am Anfang. Notwendig aber ist es, bereits heute beispielsweise über die Frage der Auswirkungen von „Europalisten“ der Parteien und gemeinsamen Spitzenkandidaten für die Wahlen von 2004 bei gleichzeitiger Entwicklung von kompetenten Wahlkreiskandidaten innerhalb des eigenen Landes nachzudenken.

Die polnischen Parteien werden nicht umhin kommen, sich an den großen europäischen Parteifamilien zu orientieren. Dies aber setzt vor allem eine Verstärkung der programmatischen Diskussion über die europapolitischen Leitbilder innerhalb der polnischen politischen Parteien und gesellschaftlichen Kräfte voraus. In besonderer Weise sind hier neben den politischen Parteien die Kirchen und die Gewerkschaften gefordert. Eine besondere Rolle kommt auch den Bildungsinstitutionen und den Medien zu, die die genannten Themen und andere mögliche Beispiele im Blick auf die Fragen der Auswirkung einer polnischen Mitgliedschaft bisher nur unzureichend reflektieren. Zugleich bietet sich eine Chance, dieses Denken gemeinsam im Verbund mit Partnern im Rahmen des „Weimarer Dreiecks“ und darüber hinaus zu vertiefen.