French
German
 
Seite zur Sammlung hinzufügen
'Kontinuität und Wandel französischer Europapolitika'
 
1 Seite(n) in der Sammlung
 
 
 
 
 

Kontinuität und Wandel französischer Europapolitika

War das Denken der Résistance [1]  noch stark vom Konzept einer nationalen Kontrolle Deutschlands bestimmt, so erfolgte der Übergang zum europafreundlichen Integrationskonzept spätestens mit dem Vorschlag des französischen Außenministers Schuman [2]  zur Bildung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl [3]  (EGKS). Diese sicherte Frankreich eine gewisse Kontrolle über Deutschland und stärkte seine Stellung in Europa. Die EGKS öffnete aber auch den Weg zur europäischen Integration [4]  und zwar mit einem, wie sich beim Vergleich mit späteren Integrationsprojekten erweisen sollte, relativ weitgehenden supranationalen [5]  Ansatz. Der Hohen Behörde der Montanunion wurden weitreichendere Kompetenzen zugestanden als später der EWG [6] -Kommission in den Römischen Verträgen [7]  1957. Am 18.4.1951 wurde in Paris der EGKS-Vertrag unterzeichnet, und unter der Präsidentschaft von Jean Monnet [8]  nahm die Hohe Behörde am 10.8.1952 ihre Tätigkeit auf. Gaullisten und Kommunisten stellten sich freilich scharf gegen den "demokratisch nicht legitimierten supranationalen" Charakter der EGKS. Schuman machte demgegenüber deutlich, dass diese "erste Etappe der europäischen Föderation" den "Gegensatz zwischen Deutschland und Frankreich aus der Welt" schaffen und jeden "Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich" machen sollte.

Abbildung 7:

Schlagworte
 Karikatur über die unterschiedlichen politischen Vorstellungen der UdSSR und der Westmächte, die eine gemeinsame Deutschlandpolitik verhindern. 
westliche Besatzungszonen, 1947

Internet-Quelle [9]

Die nächste Etappe französischer Europa-Initiativen führte zu einer noch schärferen innenpolitischen Kontroverse als die EGKS. Wie bereits erwähnt, waren es die USA gewesen, die Frankreich im Zeichen des einsetzenden Kalten Krieges [10]  zum europäischen Integrationskonzept gedrängt hatten. Als sich abzeichnete, dass Washington von den Westdeutschen einen eigenen Verteidigungsbeitrag erwartete, übernahm die französische Politik die Initiative. Premierminister René Pleven [11]  schlug am 24.10.1950 die Schaffung einer integrierten europäischen Armee vor, die auch deutsche Einheiten umfassen sollte. Am 27.5.1952 wurde der Vertrag zur Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft [12]  (EVG) von Frankreich, der Bundesrepublik, Italien und den Benelux-Staaten unterzeichnet. Supranationale Organe waren wie bei der EGKS vorgesehen (mit einem Kommissariat, einem Ministerrat, einer Parlamentarischen Versammlung und einem Gerichtshof). Konnte sich die Bundesregierung noch gegen den heftig entfachten politischen Widerstand durchsetzen und stimmte der Bundestag dem Vertrag am 12.3.1953 zu, so hatte die französische Regierung die Rechnung ohne den - innenpolitischen - Wirt gemacht: Kommunisten und Gaullisten konnten sich das in Frankreich verbreitete Unbehagen gegen eine Wiederaufrüstung Deutschlands, dessen Armee erst wenige Jahre zuvor französischen Boden verlassen hatte, zunutze machen. Der EVG-Vertrag wurde am 30.8.1954 in der französischen Nationalversammlung zu Fall gebracht. Nach dem Scheitern der EVG fand sich für das amerikanische Drängen auf eine westdeutsche Wiederbewaffnung zwar alsbald in der am 23.10.1954 begründeten Westeuropäischen Union [13]  Ersatz, der die Bundesrepublik am 23.10.1954 beitrat; mit dem Scheitern der EVG war aber die von Frankreich ausgehende offensive Förderung der europäischen Integration zunächst einmal verlangsamt, wenn nicht gar blockiert worden. Mit der EVG war nämlich auch das Projekt einer Europäischen Politischen Gemeinschaft  [14] gescheitert. 

Das wurde erneut spürbar, als mit den Vorarbeiten zur Gründung eines gemeinsamen Marktes  [15] in Europa begonnen wurde. Die Bereitschaft Frankreichs war deutlich geschwunden, ambitionierten supranationalen europäischen Projekten zuzustimmen und nationale Souveränitätsrechte an europäische Organe abzugeben. Auf der Konferenz von Messina  [16] (1.-2.6.1955) einigten sich die in der EGKS zusammengeschlossenen Staaten darauf, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom)  [17] zu gründen. Sollte damit die wirtschaftliche Integration vom Montanbereich [18]  auf die gesamten Volkswirtschaften ausgeweitet werden, so standen für Frankreich zwei besondere Interessen im Vordergrund: erstens der Wunsch nach einer europäischen Finanzierung seiner Landwirtschaft und zweitens das Streben nach einer Modernisierung der eigenen Ökonomie durch einen vergrößerten Markt sowie durch einen verschärften Wettbewerb. Die EWG bedeutete für Frankreich den Bruch mit einer umfassenden Abschirmung der eigenen Industrie vor der Weltmarktkonkurrenz. 

Nach der Ablösung der IV. durch die V. Republik und dem Regierungsantritt de Gaulles [19]  konnte trotz des französischen Widerstands die EWG zunächst planmäßig unter Beteiligung Frankreichs ihre Arbeit fortführen. Die Beziehungen zu Deutschland vertieften sich, am 22.1.1963 kam es zum Abschluss des deutsch-französischen Vertrags [20] , mit dem die Zusammenarbeit auf verschiedenen Feldern der Außen-, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Kulturpolitik intensiviert wurde. Für die Europapolitik Frankreichs wurde damit keine neue Grundlage gelegt, vielmehr wurde die französische Strategie der Kontrolle Deutschlands durch Integration weiter gefestigt. Am 17.4.1962 waren die Arbeiten an den Fouchet-Plänen [21]  über die Europäische Politische Union abgebrochen worden. Sowohl bei diesen Plänen als auch beim deutsch-französischen Vertrag hatte sich Frankreichs Idee eines "europäischen Europas", das sich stärker von den USA absetzt, nicht durchsetzen können. 

Dies mag zumindest teilweise erklären, warum es Mitte der sechziger Jahre zu einer - zumindest von den europäischen Partnern so empfundenen - verstärkten Obstruktionshaltung in der französischen Europapolitik kam. Zwei Ereignisse verdienen in diesem Zusammenhang besondere Beachtung: Erstens legte de Gaulle am 14.1.1963 sein Veto gegen die seit 1961 laufenden Beitrittsverhandlungen der EWG mit Großbritannien ein. Frankreich begründete diesen Schritt zwar mit den engen Beziehungen zwischen Großbritannien und den USA einerseits und dem Commonwealth andererseits, doch war klar, dass Großbritannien schon deshalb nicht in de Gaulles Europa passte, weil es Frankreichs Streben nach einer führenden Rolle auf dem Kontinent nur stören konnte. Zweitens löste de Gaulle 1965 die schwerste Krise der EWG überhaupt aus. Weil aus französischer Sicht die Verhandlungen über den Ausbau der Agrarmarktordnungen nicht energisch genug vorangetrieben wurden und weil die EWG-Kommission darauf drängte, dass Beschlüsse im Ministerrat nicht mehr einstimmig, sondern nach dem Mehrheitsprinzip getroffen werden (was in den Augen de Gaulles einer Ausweitung der Supranationalität gleichgekommen wäre), boykottierte Frankreich die Tätigkeit der EWG. Es zog seine Vertreter aus den EWG-Organen zurück, stellte dort die Mitarbeit ein und betrieb eine "Politik des leeren Stuhls" [22] . Die von Frankreich initiierte Krise konnte erst im Januar 1966 durch den sogenannten Luxemburger Kompromiss beigelegt werden, der in allen vitalen Fragen de facto die Einstimmigkeitsregel beibehielt und damit den Mitgliedstaaten eine Vetomöglichkeit zusicherte. Frankreich hatte sich damit gegenüber deutschem Drängen nach einer Vertiefung des Integrationsprozesses durchsetzen können.

Abbildung 8:

Gewaltsame Niederschlagung des "Prager Frühlings" durch Truppen des Warschauer Pakts
Prag, 21. August 1968

 

Internet-Quelle [23]

De Gaulles Streben nach einer eigenständigeren Ostpolitik hatte mit der Intervention des Warschauer Pakts [24]  in der CSSR 1968 [25]  einen herben Rückschlag erlebt. Darüber hinaus hatten die Erschütterungen des Mai 1968 die Regierung innenpolitisch unter Druck gesetzt. 1969 kam es zu einem Wechsel im Präsidentenamt von de Gaulle zu Pompidou. [26]  Dieser behielt zwar die Grundsätze de Gaullescher Außen- und Europapolitik bei und lehnte ebenso wie der General einen europäischen Bundesstaat  [27] ab, handelte indessen pragmatischer, so dass beispielsweise der langjährige hartnäckige Widerstand gegen einen Beitritt Großbritanniens zur EWG aufgegeben wurde. Zum 1.1.1973 trat Großbritannien gemeinsam mit Dänemark und Irland der Gemeinschaft bei. Auf der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs in Den Haag vom 2.12.1969 konnte zwar die alte französische Forderung nach einer Intensivierung der außenpolitischen Kooperation mit der Gründung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) [28]  erfüllt werden. Insgesamt jedoch stellten sich die siebziger Jahre als eine Dekade europapolitischer Stagnation ("Eurosklerose") dar, wofür Frankreich mit seiner Politik des leeren Stuhls erhebliche Verantwortung trug. 

Konnte die EPZ pragmatisch Fortschritte erzielen, so ließen sich die ebenfalls in Den Haag vereinbarten Pläne zu einer Wirtschafts- und Währungsunion [29]  nicht umsetzen. Nach dem Tod Pompidous konnte der im Mai 1974 gewählte, liberal orientierte Staatspräsident Giscard d´Estaing [30]  allerdings gemeinsam mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt [31]  eine Initiative zur Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS)  [32] 1979 erfolgreich umsetzen. Hatte sich de Gaulle stets gegen eine wie auch immer geartete Aufwertung des Europäischen Parlaments gewandt, so ergriff Giscard selbst die Initiative und ermöglichte damit die im Dezember 1974 getroffene Grundsatzentscheidung über eine Direktwahl des Europäischen Parlaments (EP) [33] . Der Wahlkampf im Jahr 1979 zeigte dann allerdings, dass sich selbst Giscard nicht allzu weit von den Grundprinzipien de Gaullescher Europapolitik entfernen konnte: Die nationale Souveränität blieb für alle politisch relevanten Kräfte die maßgebliche Leitlinie, und die französische Regierung hatte ihre Zustimmung zur Direktwahl gegenüber der Nationalversammlung an den Vorbehalt zu knüpfen, dass die Kompetenzen des EP beschränkt bleiben. Damit stellte sich die französische Regierung den Bestrebungen in der Bundesrepublik entgegen, über die Direktwahl die Entwicklung zur politischen Union voranzutreiben.

Links: