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'Das "Grundgeschäft" - ökonomisch-soziale Interessen Frankreichs an Europa'
 
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Das "Grundgeschäft" - ökonomisch-soziale Interessen Frankreichs an Europa

Frankreichs sozioökonomische Interessen an der europäischen Integration sind für Außenstehende mitunter nur schwer nachzuvollziehen. Warum z.B. macht sich Frankreich auch heute noch so sehr für die Interessen der Landwirtschaft stark, wo das Land doch ähnlich industrialisiert ist wie die Nachbarstaaten? Die Erklärung muss zum großen Teil in den Anfangsphasen der europäischen Integration [1]  gesucht werden. Die damals vorhandene Konstellation scheint weiterhin maßgeblich zu sein, obwohl sich in den wirtschaftlich-sozialen Rahmenbedingungen entscheidende Veränderungen ergeben haben.

Abbildung 6:

Unterzeichnung der Römischen Verträge
 Am 25. März 1957 unterzeichnen die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Italien, der Bundesrepublik Deutschland und den Benelux-Staaten in Rom die Verträge zur Gründung der EWG und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM [2] ). 

Internet-Quelle [3]

Dass es in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zur Gründung der EWG [4]  kommen konnte, wird - neben anderen Faktoren - vielfach auf eine Art "Grundgeschäft" zwischen Deutschland und Frankreich zurückgeführt: Deutschland konnte mit der Schaffung des gemeinsamen Markts  [5] seine exportorientierte Industrie fördern, während Frankreich im Gegenzug durch die Einrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik  [6] seine Landwirtschaft protegieren konnte. In der Tat war die französische Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur 1960 noch überdurchschnittlich von der Landwirtschaft abhängig: Die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft erwirtschaftete 9,3 Prozent des Bruttosozialprodukts (Deutschland nur 5,7); 20,6 Prozent der französischen Erwerbstätigen waren im Primärsektor beschäftigt (BRD: 13,7). In der Folgezeit hat allerdings eine rasche Annäherung der Wirtschaftsprofile beider Länder stattgefunden. Aktuell kommt die französische Agrarwirtschaft für 2 Prozent des BSP auf, 5 Prozent der Erwerbstätigen sind dort beschäftigt. In Deutschland lauten die entsprechenden Werte 1,5 und 3 Prozent. Warum also hängt Frankreich in besonderer Weise am Agrarprotektionismus [7] , was sich zuletzt wieder eindrucksvoll während der 1993 abgeschlossenen Uruguay-Runde des GATT, [8] der heutigen WTO (World Trade Organization) gezeigt hat, als Frankreich stärker als die übrigen Partner der Europäischen Union nicht nur die europäische Kultur, sondern auch die Agrarwirtschaft vor allem gegenüber den USA geschützt sehen wollte? Wenn die (in absoluten und relativen Zahlen zum Ausdruck kommende) wirtschaftliche Bedeutung des Primärsektors darauf keine befriedigende Antwort mehr geben kann, muss die Lösung anderswo gesucht werden. 

Es bieten sich zwei Erklärungen an: Erstens stellen die Landwirte in Frankreich zwar eine ökonomisch in ihrer Bedeutung zurückgehende, dafür aber politisch umso mobilere soziale Schicht dar, die sich öffentliche Aufmerksamkeit und damit das Wohlwollen der Politik durch energische Aktionen und Demonstrationen sichert. Zweitens rechnet sich die Agrarpolitik der EU [9]  trotz des Rückgangs der Landwirtschaft und der einsetzenden Reformen in der Gemeinsamen Agrarpolitik noch immer in besonderer Weise für Frankreich: 1995 zahlte Frankreich 11.876,8 Mio. ECU in den EU-Haushalt und erhielt 10.149,6 an Zahlungen. Von den an Frankreich geleisteten Zahlungen entfielen fast 83 Prozent auf Leistungen der Garantieabteilung des Europäischen Agrarfonds (EAGFL). [10]