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Schlussbemerkung

Fortan lebte die Mitteleuropaidee allenfalls in vager Verbindung mit einer Renaissance des großdeutschen Gedankens fort. Mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie Ende 1918 und der Errichtung einer Mehrzahl souveräner Nationalstaaten auf dem Territorium des ehemaligen Kaiserstaates fielen die Voraussetzungen für jene weit reichenden Planungen, die sich in Deutschland und teilweise auch in Österreich-Ungarn mit dem Begriff Mitteleuropa verbunden hatten, weitgehend dahin. Friedrich Naumann erklärte damals seinen "vorläufigen Abschied" von Mitteleuropa, dem in den kommenden Kämpfen und Auseinandersetzungen vorerst kein Raum beschieden sei. Aber er proklamierte, freilich in einer ein wenig beschönigenden Interpretation seiner eigenen Schriften der Kriegsjahre, dass der Grundgedanke von "Mitteleuropa" keineswegs überlebt sei: "Mitteleuropa war als überstaatlicher Organismus beabsichtigt zur Verminderung der Nationalitätskämpfe und zur Vermehrung des wirtschaftlichen Gedeihens. Mitteleuropa sollte aufgerichtet werden, damit wir nicht in jenen Zerbröckelungs- und Auflösungszustand hineingeraten, den wir jetzt voraussichtlich durchmachen müssen, als Halt und Garantie der Ordnung und der Leistungsfähigkeit." (48)

Vorderhand blieben dergleichen Gedanken freilich ohne jeden Anhang. Einzig in der Euphorie, mit der 1918/19 die Aussicht eines Zusammenschlusses Deutsch-Österreichs mit dem Deutschen Reich begrüßt wurde, lebte ein Rest der Mitteleuropabegeisterung fort. Gustav Stresemann meinte im Dezember 1918 in einer Rede in Osnabrück: "Gelingt es uns, ... die Deutschösterreicher an uns zu fesseln, dann ... haben wir den großen Block der 70 Millionen Deutschen, von dem gilt, was der alte Bismarck gesagt hat: Da liegen wir denn wie ein Klotz inmitten Europas, an dem keiner vorbeigehen kann." (49) Aber auch diese Haltung wich schon bald einer pragmatischeren Einstellung.

Abbildung 21:

Die nationalsozialistische Politik, stark geleitet von der Vorstellung der "germanischen Herrenrasse", eröffnete eine neue Dimension der "Mitteleuropaidee", mit den bekannten schwerwiegenden Folgen für Europa und die Welt. (vgl. Text)

 

 

 

 

 

Internet-Quelle [1]

Die nationalsozialistische Politik führte - es soll dies hier nicht mehr näher ausgeführt werden - zur endgültigen Diskreditierung der verschiedenen deutschen Varianten der Mitteleuropapolitik und damit zugleich auch der Mitteleuropaidee als solcher, wurde diese doch missbraucht zur Rechtfertigung der Vorherrschaft der "germanischen Herrenrasse" in Europa mit den bekannten schwerwiegenden Folgen für Europa und die Welt. Heute mag es an der Zeit sein, sich wieder der älteren, universalistischen Variante der "Mitteleuropaidee" und ebenso auch ihrer liberalen Spielarten zu erinnern, nachdem offenbar geworden ist, dass der im Innern repressive und nach außen aggressive "homogene Nationalstaat" in die Katastrophe zweier Weltkriege geführt hat (50). Vielleicht gelingt es auf dieser Grundlage, nicht nur eine neue übernationale Ordnung in Ost- und Südosteuropa, sondern ein neues Europa zu bauen, das die Respektierung der nationalen Eigenart aller europäischen Nationen im Rahmen eines demokratischen Systems zur Grundlage macht. 

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Anmerkungen

48. Vorläufiger Abschied, Artikel vom 24. 12. 1918, in: Naumann, Werke Band2, S. 975 f.

49. Andreas Hillgruber, Das Anschlussproblem (1918-1945) aus deutscher Sicht, in: Robert A. Kann, Friedrich Prinz (Hrsg.), Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, München 1980, S. 161-178, hier S. 164.

50. Vgl. György Konräds Rede auf der Buchmesse, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. 10. 1991, S. 12: Sondermeinungen eines Urlaubers.