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'Die Bevölkerung: von der Poleposition Europas zur Platzierung im Mittelfeld'
 
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Bevölkerung: von der Poleposition Europas zur Platzierung im Mittelfeld

Frankreich war bis zu Beginn der Neuzeit das bevölkerungsreichste Land Europas. Mitte des 16. Jh. betrug die Bevölkerung [1] des Landes bereits rd. 20 Mio. Menschen, 200 Jahre später dann 25 Mio. und bei der ersten offiziellen Volkszählung im Jahre 1801 wurden 29,4 Mio. Einwohner gezählt. Deutschland hatten zum gleichen Zeitpunkt 24,5 Mio., Großbritannien 15 Mio. Einwohner (u.a. Erbe 1982: 15). Im Verlauf des 19. Jh. verlor Frankreich dann seine Spitzenplatz sehr deutlich.

Bevölkerungsentwicklung in ausgewählten Staaten Europas 1801-1911


Quelle: Erbe 1982: 15, verschiedene Länderstatistiken
Jahr Frankreich Deutschland Großbritannien Italien
1801 29,4 Mio. 24,5 Mio. 15,0 Mio. 16,0 Mio.
1851 35,8 Mio. 35,6 Mio. 20,8 Mio. 20,4 Mio.
1870 38,2 Mio. 40,8 Mio. 28,9 Mio. 26,8 Mio.
1911 41,4 Mio. 65,4 Mio. 42,9 Mio. 38,0 Mio.

Für diese Sonderentwicklung gibt es eine Reihe von Erklärungen. Tatsache ist, dass die Geburtenrate schon früh im 19. Jh. absank. Hierfür werden u.a. das aufklärerische Gedankengut (Malthus'sche Lehre), der Bruch mit vielen Traditionen als Auswirkung der Französischen Revolution und die wirtschaftlichen Verhältnisse bes. in den ärmeren ländlichen Gegenden sowie die zunehmende Verstädterung verantwortlich gemacht. Inwieweit sich die politischen Verhältnisse des 19. Jh. (mehrere Revolutionen und Kriege, mehrmals grundlegende Änderung der politischen Grundstrukturen) auf das Bevölkerungswachstum in Frankreich ausgewirkt haben, ist schwer zu bemessen. Tatsache ist, daß die letzten Jahrzehnte des 19. Jh. von einem besonders krassen Rückgang der Geburtenzahlen gekennzeichnet waren. Überlagert wurde die demographische Entwicklung durch räumliche Verlagerungen der Bevölkerung zugunsten der Städte, die besonders in den Gebirgsgegenden zur Entleerung ganzer Landstriche führte (Blohm 1976).

Erst spät reagierte der französische Staat auf diese Entwicklung. 1939 wurde der Code de la famille [2] erlassen, der umfangreiche Steuervorteile und finanzielle Vorteile für kinderreiche Familien vorsah. Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde ein soziales Netz geschaffen, das eine großzügige Kindergeldregelung beinhaltete (allocation familiale) Auf der Grundlage dieser Politik wurde Frankreich innerhalb weniger Jahre zu einem der geburtenfreudigsten Länder Europas. Zwischen 1946 und 1974 nahm die Bevölkerung um 12 Mio. Menschen zu, genauso viel wie im Zeitraum zwischen 1801 und 1946. Inzwischen hat sich der Trend jedoch wieder verlangsamt. Die Geburtenrate von 20,9 Promille im Zeitraum 1946-1950 betrug 1999 nur noch 12,6 Promille, die Sterberate lag dagegen bei 9,2 Promille. Die Unregelmäßigkeiten der Bevölkerungsentwicklung des Landes im Verlauf des 20. Jh. spiegeln sich sehr deutlich in der Alterspyramide [3] wider.

Après un ajustement d'après le recensement de la population de 1999 / *Provisoire, Source : INSEE, division des enquêtes et études démographiques / http://www.ined.fr/fr/pop_chiffres/france/structure_population/pyramide_ages/
Année Population en milieu d'année Naiss. vivantes Décès Accrois. Naturel A. Migra- toire A. Total Taux bruts, Natalité T.B. Morta- lité A. Naturel Total
1985 55284 768,4 552 +216 +38 +254 13,9 10,0 +3,9 +4,6
1986 55547 778,5 546 +232 +39 +271 14,0 9,8 +4,2 +4,9
1987 55824 767,8 527 +240 +44 +284 13,8 9,4 +4,4 +5,1
1988 55118 771,3 525 +247 +57 +304 13,7 9,3 +4,4 +5,4
1989 56423 765,5 529 +236 +71 +307 13,6 9,4 +4,2 +5,4
1990 56710 762,4 526 +236 +80 +265 13,4 9,3 +4,1 +5,6
1991 56976 759,1 525 +234 +90 +270 13,3 9,2 +4,1 +5,7
1992 57240 743,7 522 +222 +90 +258 13,0 9,1 +3,9 +5,5
1993 57467 711,6 532 +179 +70 +195 12,3 9,3 +3,1 +4,3
1994 57659 711,0 520 +191 +50 +187 12,3 9,0 +3,3 +4,2
1995 57844 729,6 532 +198 +40 +184 12,6 9,2 +3,4 +4,1
1996 58026 734,3 536 +199 +35 +180 12,6 9,2 +3,3 +4,0
1997 58207 726,8 530 +196 +40 +182 12,5 9,1 +3,4 +4,0
1998 58398 738,0 534 +204 +45 +191 12,7 9,3 +3,5 +4,1
1999* 58620 744,1 542 +202 +45 +252 12,7 9,2 +3,5 +4,2
2000* 58892 779,0 538 +241 +55 +246 13,2 9,1 +4,1 +5,0

Gleichwohl hat sich das Bevölkerungswachstum Frankreichs kontinuierlich fortgesetzt, wofür die Rückgliederung der ehemaligen Kolonialbevölkerung aus Ostasien und Nordafrika sowie Zuwanderungen nichtfranzösischer Bevölkerung aus den ehemaligen Kolonialgebieten und aus mehreren mediterranen Ländern (z.B. Italien, Spanien, Portugal) hauptverantwortlich sind. Wenn heute der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung lediglich mit nur 6,4 % ausgewiesen wird, so verdeckt dieser Wert die Tatsache, dassviele dieser Einwanderer einen französischen Pass besitzen. In Frankreich geborene Kinder ausländischer Eltern erhalten automatisch die französische Staatsbürgerschaft. Viele Algerier besitzen einen französischen Pass, weil das Land nicht Kolonie, sondern bis zu seiner Unabhängigkeit 1963 Teil des Mutterlandes Frankreich war. Leider gibt die französische Statistik keine Auskunft über die ethnische Zugehörigkeit französischer Staatsbürger, so dass exakte Angaben hier nicht möglich sind.

Hinsichtlich der Herkunft der statistisch erfassten Ausländer haben sich spürbare Verlagerungen vollzogen. 1975 stammte noch etwas mehr als die Hälfte der Einwanderer aus Ländern der Europäischen Gemeinschaft (54,3%), 1990 waren es noch 36.3 %. Der Anteil der Einwanderer aus afrikanischen Ländern nahm dagegen deutlich zu und stieg von 34,6 auf 45,8 %. Die meisten in Frankreich lebenden Ausländer sich nach wie vor Portugiesen, gefolgt von Algeriern, Marokkanern, Italienern und Spaniern.

Die Gesamtbevölkerung Frankreichs [4] betrug zur Jahrtausendwende knapp 60 Mio. Einwohner. Bezogen auf die Fläche des Landes von 543.900 km² bedeutet dies statistisch eine Bevölkerungsdichte von 109 Einw./km², ein geringer Wert im Vergleich zu den unmittelbaren Nachbarstaaten. So weisen (1998) die Niederlande 358, Belgien 327, Großbritannien 235 und Deutschland 223 Einw./km² auf. Frankreich ist somit nach wie vor ein sehr dünnbesiedeltes Land, ein Eindruck, der sich insbesondere in den ländlichen Gebieten und den Gebirgsgegenden rasch bestätigt. Hier liegen die Einwohnerdichten teilweise bei weniger als 30 Einw./km², so etwa in den Hochregionen der Westalpen, im südlichen und westlichen Zentralmassiv und in den Zentralpyrenäen. Rd. 1,7 Mio. Franzosen leben im Ausland, davon 52 % in europäischen Staaten, 25,2 % in Nordamerika, 10,8 % in Afrika, 5 % im mittleren Osten, 4,5 % in Ozeanien und 2,5 % in Asien.

Ein wichtiges Element der Freizeitgestaltung älterer Menschen in Frankreich: Das Boule-Spiel.




(Quelle: france.diplomatie.fr/images2france/index.asp?rub_id=2&pho_id=161&action=prec&sru_id=6&lang=de, inaktiv, 02.06.2006)

Der Eindruck eines leeren Landes (Béteille, 1981) ergibt sich auch vor dem Hintergrund, dass der Urbanisierungsgrad der französischen Bevölkerung rd. 72,6 % beträgt. Allein 18,9 % der Gesamtbevölkerung des Landes leben im Großraum Paris, ein Anteil, der sich innerhalb eines Jahrhunderts fast verdoppelt hat. Keine andere Stadt des Landes hat von der Binnenmigration der Bevölkerung mehr profitiert als die Hauptstadtregion, in der heute über 11 Mio. Menschen konzentriert leben (Pletsch 1998).

Die französische Familienpolitik hat seit dem Zweiten Weltkrieg zu einem starken Anstieg der Geburtenraten geführt.



(Quelle: france.diplomatie.fr/images2france/index.asp?rub_id=7&pho_id=192&action=prec&lang=de, inaktiv, 02.06.2006)

Dies sind jedoch weit weniger, als noch vor einigen Jahrzehnten befürchtet wurden. Status-pro-Prognosen der 1950er Jahre gingen von rd. 20 Mio. Menschen im Großraum Paris am Ende des Jahrtausends aus, eine Zahl, die aus Sicht der Raumplaner und -wissenschaftler für die Stadt den Kollaps bedeutet hätte. Eine gezielte Politik der Wachstumsbeschränkung und die Auswirkungen der seit den 1960er Jahren angestrebten Dezentralisierung haben hier ihre Früchte getragen. In den 1990er Jahren ist das Bevölkerungswachstum der Ile-de-France praktisch zum Stillstand gekommen. Allerdings kommt es innerhalb der Region zu massiven Veränderungen i. S. einer Kern-Randverlagerung. Während die Innenstadt von Paris seit Jahren hinsichtlich ihrer Wohnbevölkerung Verluste verzeichnet, wachsen die Außenbezirke der Stadt (die sog. Grande Couronne) stark an.

Tab. 1: Bevölkerungsentwicklung der Ile-de-France 1990-1999


auszugsweise aus Collin 1998, S. 8
Departement 1990 1992 1994 1996 1999
Paris 2.150 2.146 2.137 2.127 2.119
Hauts-de-Seine 1.389 1.397 1.402 1.410 1.426
Seine-Saint-Denis 1.379 1.391 1.403 1.407 1.383
Val-de-Marne 1.213 1.223 1.233 1.239 1.227
Petite Couronne 3.981 4.011 4.038 4.056 4.036
Seine-et-Marne 1.077 1.123 1.163 1.194 1.144
Yvelines 1.305 1.335 1.359 1.378 1.354
Essonne 1.083 1.114 1.137 1.154 1.133
Val-d'Oise 1.048 1.075 1.097 1.118 1.105
Grande Couronne 4.513 4.647 4.756 4.844 4.786
Ile-de-France ges. 10.644 10.804 10.931 11.027 10.941

Zu den besonderen Kennzeichen (und teilweise auch Problemen) der französischen Bevölkerungsstruktur zählen die ethnischen Minderheiten, die sich in auffälliger Weise an der Peripherie des Landes anordnen (Palmen 1993:21 ff). Seit Jahrhunderten wird ihnen vom Zentralstaat argwöhnische Aufmerksamkeit geschenkt und zahlreich sind die Äußerungen über die Bedrohungen, die für das Land von diesen Minderheiten ausgehen. Als Beispiel diene der Ausspruch von Bertrand de Barrère de Vieuzac aus dem Jahre 1794: "Der Föderalismus und der Aberglaube sprechen Bretonisch, die Emigration und der Haß auf die Republik sprechen Deutsch, die Konterrevolution spricht Italienisch und der Fanatismus spricht Baskisch." Während der 3. Republik wurde eine Politik betrieben, die fast einem Genozid gleichkam. Erst seit den 1950er Jahren wurden den Minderheiten wieder schrittweise Zugeständnisse gemacht, die ihnen den Kulturerhalt ermöglichen. Seither ist eine regelrechte Renaissance der Regionalsprachen und -kulturen zu beobachten. Gleichwohl reichen die Zugeständnisse des Zentralstaates einigen der Minderheiten nicht aus, was sich immer wieder auch in militanten Aktionen niederschlägt. Besonders die Korsen machen diesbezüglich oft von sich reden, aber auch die Bretonen oder Basken sind mit ihren Forderungen nicht eben zimperlich.

Exkurs: Regionalsprachen in Frankreich
Die Verteilung der Regionalsprachen in Frankreich zeigt ein interessantes Bild. Auffällig ist deren periphere Anordnung. Auch das Französische selbst wird unterschieden, und zwar in das nordfranzösische Sprachgebiet der Langue d'oeïl (Hoch-französisch) und das südfranzösische Sprachgebiet der Langue d'oc (Okzitanisch). Mit der sprachlichen Differenzierung gehen regionalistische bzw. auch z. T. separatistische Strömungen einher.








(Quelle: F. A. Brockhaus AG)