French
German
 
 
2 Seite(n) in der Sammlung1 Seite(n) wurden nicht gefunden.
 
 
 
 
 

Sie sind hier: Deuframat > ... > Pierre Dubois

Pierre Dubois

Der Jurist Pierre Dubois (um 1250/60 bis um 1323) verfasste um 1306 eine Schrift unter dem Titel „De recuperatione terrae sanctae" ("Über die Rückeroberung des Heiligen Landes"). Oberflächlich betrachtet ging es darum, einen erneuten Kreuzzug gegen die Heiden zustande zu bringen, was an der Uneinigkeit der Europäer und an ihren Kriegen untereinander scheiterte. Ohne innereuropäischen Frieden kein Kreuzzug, so lautete ein Grundargument bei Dubois, das bis an die Schwelle des 18. Jh. immer wieder verwendet wurde, wenn es sich dann auch nicht mehr direkt um Kreuzzüge, sondern um Krieg gegen die Türken handelte. Das ursprüngliche Argument lautete daher nicht europäische politische Einigung um Europas willen, sondern um des Christentums willen. Die Einigung bildete dabei nicht das Ausgangsmotiv, sondern nur eine Folge eines anderen Motivs. Es stellt sich freilich die Frage, ob das Kreuzzugsmotiv tatsächlich so dringend war. In der praktischen Politik offensichtlich nicht. Dort ging es um eher weltliche Ziele, den Ausbau des Staates nach innen und Festigung seiner Position in Europa. Christliche Motive konnten da nur mehr plakative Rollen übernehmen. So steckte hinter Dubois' Plan auch ein genuin französisches Interesse, das der Universalherrschaft in Europa. Dubois' Plan markierte den Beginn der 'nationalen', interessengeleiteten Europapläne, die uns bis heute begleiten.

Was schlug Dubois nun vor? Um Frieden unter die christlichen Fürsten als Vorbedingung eines Kreuzzuges zu bringen, dachte Dubois an die Schaffung eines Konzils mit dem Papst und den Fürsten, dem ein europäisches Schiedsgericht übergeordnet sein sollte. Das Konzil sollte die Staatsgeschäfte nach folgenden Grundsätzen leiten: „Der Krieg zwischen christlichen Staaten ist verboten, Friedensbrecher trifft die Strafe der Gütereinziehung, und sie werden überdies ins Heilige Land versetzt, damit sie dort an vorderster Front gegen die Ungläubigen kämpfen. Die konfiszierten Güter bilden den Grundstock der Kriegskasse. Die Ländereien Widerspenstiger werden eingekreist, ausgehungert und besetzt."1 [1] (Foerster, 1963, 37) Unrecht sollte von den Mitgliedern fürderhin nicht mehr durch Krieg, sondern durch Klage vor einem europäischen Schiedsgericht geahndet werden. Dubois orientierte sich im übrigen an den gegebenen Machtverhältnissen: Der französische König war der mächtigste Fürst seiner Zeit. Er sah Philipp II. als Präsidenten des Fürstenkongresses vor und hätte es für richtig gehalten, wenn sein König zum Kaiser gewählt worden wäre.

Abgesehen davon, dass niemand auf Dubois hörte, schon gar nicht der französische König, hatte er einige Grundstrukturen formuliert, die noch heute in den europäischen Institutionen wiedererkannt werden können. Der Ministerrat und die halbjährlichen Gipfeltreffen der Regierungschefs erinnern an den Fürstenkongress/Konzil, das Schiedsgericht an den Europäischen Gerichtshof. Die Beschreibung des Schiedsgerichts, so wie Dubois es sich vorstellte, orientierte sich grundsätzlich an den Maßstäben, die schon das Mittelalter auf der Grundlage des wiederentdeckten Römischen Rechts an ein ordentliches und unabhängig funktionierendes Gericht stellte.

Die Verwirklichung eines solchen Schiedsgerichts setzt nicht nur den notwendigen politischen Willen aller Beteiligten voraus, sondern eine Normen- und Wertegemeinschaft, insbesondere auch eine Rechtsgemeinschaft. Die Professionalisierung des Rechts- und Gerichtswesens war in Frankreich bereits weit fortgeschritten, Dubois übertrug französische Verhältnisse auf den europäischen Raum. Zugleich zeichnete sich die französische Außenpolitik dadurch aus, dass sie oft mit juristischen Argumenten fundiert wurde. Da war fallweise durchaus Rechtsverdrehung mit im Spiel, aber dies ändert nichts an der Grundhaltung, dass Europa als rechtlich geordneter Raum begriffen wurde, auf den die Außenpolitik argumentativ Bezug nahm. Gerade letzteres ließe sich gewiss in die Vorgeschichte der europäischen Einheit einordnen. Grundsätzlich steht hinter all diesen Überlegungen aber nicht der Gedanke an ein Europa der Bürger. Die Problemstellung, die wir heute haben, nämlich "europäische Einheit", wird gedanklich nicht durchdrungen, weil Europa im großen und ganzen auf das Europa der Fürsten sowie des Papstes und der (freilich zu reformierenden) Kirche reduziert wurde.


Quelle: Wolfgang Schmale, Geschichte Frankreichs, Stuttgart (UTB) 2000, S. 311-313 (mit freundlicher Genehmigung des Ulmer-Verlages Stuttgart)

  • Foerster, Rolf H.: Europa. Geschichte einer politischen Idee. Mit einer Bibliographie von 182 Einigungsplänen aus den Jahren 1306 bis 1945, München 1967