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'Französische Europavorstellungen'
 
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In Frankreich entwickelten sich seit dem Mittelalter im Milieu der Gelehrten und der politischen Köpfe Überlegungen zur Gestaltung Europas, die sich z.T. schon sehr früh zu ausgesprochenen Europa-Plänen auswuchsen. Diese Pläne hingen mit der Ausbildung der Nationalstaaten zusammen, deren Konturen sich bis zum 15. Jh. bedeutsam gefestigt hatten. Frankreich gehörte ohne jeden Zweifel zu den produktivsten Brutstätten von Europaplänen. Das lag nicht zuletzt an der politischen Priorität, die der europäische Raum in der französischen Außenpolitik für nunmehr rund ein Jahrtausend genoss und genießt. Erstmals berechtigt erscheint der Begriff in Bezug auf Philipp II. August (1180-1223). Neben der Zurückdrängung Englands vom Kontinent legte er sich mit den beiden europäischen Universalmächten, dem Papst und dem Kaiser an. Die glückliche Wende des Schlachtenschicksals am 27. Juli 1214 in der Schlacht von Bouvines machte Philipp zum Sieger über Kaiser Otto IV. und führte den Staufer Friedrich II., den Philipp schon vorher unterstützt hatte, der Kaiserkrone zu. Philipp konnte sich erstmals als politischer Schiedsrichter in Europa fühlen – und damit war die künftige französische Außenpolitik auf eine Bahn gebracht, die sie vielleicht noch heute nicht verlassen hat. Die mythographische Ausschöpfung der Schlacht von Bouvines tat das ihrige, um die französische Politik auf dieser Bahn zu halten. Ludwig der Heilige (1226-1270), der als Kreuzfahrer ein ganz ungewöhnliches Charisma 'verströmte', füllte die Rolle des politischen Schiedsrichters mit großem Erfolg aus. Da die Macht der Kapetinger zu seiner Zeit groß und hinreichend gefestigt war, konnte er es sich leisten, als Schiedsrichter auf immateriellen Gewinn – Ansehen – statt materiellen Gewinn zu setzen. Er begründete damit eine ideologische Konstante französischer Europapolitik, derer sich sowohl Dubois wie Sully wie die Europadenker des 18. Jh. fleißig bedienten, nämlich die des politisch altruistischen Frankreich, dem die Steigerung seiner Würde und seines Ansehens als einzig denkbarer Lohn für sein in die europäischen kriegerischen Verhältnisse ordnend und friedensstiftend eingreifendes Engagement genügt.

Die Heiligsprechung Ludwigs 1297 gründete sich auch auf diese Verdienste, die er sich um Europa bzw. im damaligen Sprachgebrauch, um die Christenheit, erworben hatte. Mit Bouvines und der Heiligsprechung war im 13. Jh. die große Linie der französischen Europapolitik vorgezeichnet. Vorteilhaft war, dass sich diese Linie vereinfacht zwischen zwei symbolisch sehr gut nutz- und vermittelbaren religiös interpretierten Ereignissen, eben Bouvines und 1297, ziehen ließ. Dies erklärt z.T., warum sich die französische Bevölkerung später nur sehr schwer in ihrer politischen Vorstellungswelt von Europa als weitestem Horizont lösen wollte. Frankreichs Rolle als "Älteste Tochter der katholischen Kirche" und als Missionarin verflocht sich mit dem politischen Europa. Auf diesem sicheren mentalen Fundament setzte Philipp der Schöne (1285-1314) Ende des 13. und Anfang des 14. Jh. zur Emanzipation von Papst und Kaiser an, um Frankreich zur politisch stärksten Macht in Europa auszubauen. Nur als souveräner Herrscher im eigenen Reich war dies möglich. Dies ist als die dritte Säule der französischen Europapolitik zu bewerten. Nicht zufällig fällt in diese Zeit die erste Ausformulierung eines „Europaplanes" durch Pierre Dubois [1] .


Quelle: Wolfgang Schmale: Geschichte Europas, Wien (UTB) 2001, S. 22f. (mit freundlicher Genehmigung des Böhlau-Verlages Wien)

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