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'Europapropaganda der französischen Könige in der Frühen Neuzeit'
 
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Europapropaganda der französischen Könige in der Frühen Neuzeit

Pierre Dubois hatte nicht im Zentrum der Macht gestanden. Sein Europaplan wurde nicht in die Praxis umgesetzt. Im Hundertjährigen Krieg mit England (1453 beendet) hatten die französischen Könige alle Hände voll zu tun, um ihren Thron gegen die englischen Ansprüche und die kriegerischen Adelsparteien im Land zu verteidigen. Vorrang vor allen anderen Ambitionen hatte die Konsolidierung der Macht im Innern Frankreichs. Erst Franz I. konnte wieder darüber nachdenken, wie Kaiser Karl V. Paroli zu bieten wäre. Doch während Kaiser Karl V. [1] aufgrund der Eroberung Mittel- und Südamerikas tatsächlich über ein Reich herrschte, in dem die Sonne nicht unterging, und deshalb universalmonarchische Ideen für ihn mehr als blose Träumereien waren, musste sich Franz I. [2] mit eher bescheidenen Verbesserungen der französischen Machtstellung auf dem europäischen Kontinent begnügen. Für eine Eroberungspolitik in Übersee fehlten ihm offenbar der Sinn und die Mittel, wohl aber setzte er den Fuß in die Tür nach Übersee.

Ludwig XIV. von Frankreich
(Gemälde von Hyacinthe Rigaud [3] )

Ludwig XIV. regierte 55 Jahre lang (1660-1715). Er begründete in drei Kriegen (Devolutionskrieg 1667/68, Holländischer Krieg 1672-79, Pfälzischer Erbfolgekrieg 1688-97) die europäische Hegemonie Frankreichs, die erst im Spanischen Erbfolgekrieg [4] (1701-1714) erschüttert wurde. Nach innen vollendete er die absolute Macht der Krone durch Identifizierung von Herrscher und Staat (L'Etat, c'est moi). Durch den aggressiven Geist seiner Politik rief er überall in Europa Gegenkräfte hervor, die sich schließlich gegen Frankreich zusammenschlossen (1689 und 1701 Große Allianz).

Quelle der Abbildung [5]

Bis zu Ludwig XIV. einschließlich bemühten sich die französischen Könige, entweder selber in den Besitz der Kaiserkrone zu gelangen oder wenigstens durch diplomatische und militärische Kooperation mit den protestantischen Reichsständen den Kaiser zu schwächen. Das alte Ziel Frankreichs, europäischer Schiedsrichter zu werden, schien mit dem Westfälischen Frieden erreicht worden zu sein, da Frankreich zur Garantiemacht des Friedens wurde. Ludwig XIV. (*1638, König 1643-1715), der 55 Jahre regierte (1660-1715), konnte das französische Territorium auf Kosten des Reiches arrondieren und Frankreich zur stärksten Militärmacht auf dem Kontinent entwickeln. Doch unter seinen Nachfolgern Ludwig XV. und Ludwig XVI., die wesentlich weniger kriegerisch veranlagt waren, konnte diese Vormachtstellung Frankreichs im wesentlich nur propagandistisch aufrecht erhalten werden. Das Blatt wendete sich erst wieder im Zuge der Revolutionskriege ab 1792, in denen Napoleon zum General aufstieg und nach dem Staatsstreich von 1799 als faktischer Alleinherrscher (zuerst als Erster Konsul, ab 1804 dann als französischer Kaiser) den Grundstein zu einer letztlich nur kurz währenden Universalherrschaft über Europa legte.

Die politische Geschichte, die hier sehr kurz skizziert wurde, ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite besteht in der Europapropaganda der französischen Könige. In der Frühen Neuzeit wurden zwar ständig Kriege zur Herrschaftserweiterung und Herrschaftskonsolidierung geführt, aber sie waren eng mit einer dynastischen Politik, kurz Heiratspolitik verbunden. Die Verbindung von Gewalt- und Heiratspolitik konnte mithilfe des Mythos von der Europa und dem Stier versinnbildlicht werden. Zeus hatte sich in einen scheinbar zahmen, wunderschönen weißen Stier verwandelt, zu dem die Königstochter Europa am phoinizischen Gestade Zutrauen fasste. Er raubte sie, er verführte sie auf der Insel Kreta - nach anderer Lesart vergewaltigte er sie -, er zeugte mit ihr drei Söhne, die schließlich durch eine Ehe zwischen der Europa und dem kretischen König legitimiert wurden.

Europa gab dem Kontinent ihren Namen, ein Kontinent, wo die Christenheit zu Hause war und der infolgedessen (den Europäern) als der vornehmste Kontinent in der Welt galt. Die französischen Könige bedienten sich dieses Mythos als Sinnbild für ihre eigenen Ambitionen. Der Mythos von der Europa und dem Stier ließ sich bei Festumzügen [6] genauso wie in Schlössern oder königlichen Parks in eingängige Bilder umsetzen. Er ließ sich fast unbegrenzt aktualisieren und an aktuelle Umstände anpassen.

"Europa auf dem Stier"

 

 

 

Quelle der Abbildung [7]

Im 16. und 17. Jahrhundert wurde in Frankreich häufig argumentiert, dass es sich bei "Deutschen" und "Franzosen" im Grunde um ein einziges Volk [8] handele. Was lag näher, als dieses Volk einem einzigen Herrscher, nämlich dem französischen,
zu unterstellen? Dem entsprach die Heiratspolitik des französischen Königshauses: mehrfach wurden Frauen aus der Dynastie der Habsburger, die mit einer Ausnahme im 18. Jahrhundert immer den Kaiser stellten, mit den französischen Thronfolgern verheiratet. Dabei kam teils die spanische, teils die österreichische Linie der Habsburger zum Zuge. Ludwig XVI. heiratete Marie-Antoinette aus der österreichischen Linie. Beide wurden ja in der Revolution guillotiniert. Napoleon knüpfte an diese Tradition der Heiratspolitik [9] wieder an, um die Herrschaft über Europa zu sichern. Weder Napoleon noch seinen Vorgängern gelang es aber, durch dynastische Heiraten Europa zu beherrschen.