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'Zerfall und Wiederherstellung Europas'
 
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Zerfall und Wiederherstellung Europas

Dieses Thema wurde zumeist von den Schriftstellern aufgegriffen, die sich mit dem Problem der Einigung befassten. Einige von ihnen warfen am Ende des 19. Jahrhunderts sogar die heikle Frage auf, ob der Untergang Europas etwas Reales sei. Darauf antwortete der sog. Kulturpessimismus mit einer scharfen Kritik der Modernität und schlug Mittel zur Regeneration vor, die zwei verschiedenen Orientierungen entsprachen: einerseits verbunden mit den Autoren, die im Sinne Nietzsches als "Gute Europäer" zu bezeichnen waren, andererseits mit den Verfechtern einer nationalistischen Mystik. [1]

Jakob Burckhardt (1818-1897) und Friedrich Nietzsche (1844-1900) sind die Verteidiger des alten humanistischen Europa und der historischen Größe.

Quelle Burckhardt [2] , Quelle Nietzsche [3]

Der Basler Historiker J. Burckhardt [4] (1818-1897) wurde zum Verteidiger des alten humanistischen Europa, der in ihrer Kontinuität, Einheit und Mannigfaltigkeit begründeten römisch-germanischen Kultur. Die negativen Aspekte der modernen Zivilisation ablehnend, beklagte er die Gefahren, die die hohe Geistigkeit der westlichen Kultur bedrohten: Maßlosigkeit der Macht, Hypertrophie des Staates, Revolution und Demokratisierung, Nivellierung und Vermassung. Mit großer Vorsicht behandelte er das Problem der Regeneration. Deutschtum und Latinitas in sich selbst vereinend, fühlte sich Burckhardt als Träger eines Erbes, das er seinem Jünger und Kollegen Nietzsche [5] hinterließ.

So übernahm F. Nietzsche [6] (1844-1900) von Burckhardt die Idee der historischen Größe und von einem anderen Basler, J. J. Backofen, diejenige der Gleichheit von Mythos und Geschichte, die er durch die Gegenüberstellung eines "dionysischen" Orients und eines "apollinischen" Okzidents zum Ausdruck brachte. Er machte die Griechen zu den Begründern Europas, dachte aber, dass der Untergang schon mit Sokrates begonnen und mit dem "verjudeten" Christentum zugenommen hatte. Der Philosoph stellte den "Tod Gottes" fest und zog daraus die Konsequenzen. Schonungslos zerlegte er die modernde Zivilisation und schilderte alle Symptome dieser allseitigen Auflösungserscheinungen, die er "Nihilismus" nannte. Zunächst glaubte Nietzsche, in Wagners Werk die Erneuerung der tragischen Kunst der Griechen zu finden. Enttäuscht setzte er dann aber den Wagnerismus mit dem negativen Aspekt des Untergangs gleich und erwog von nun an die Rettung durch eine kosmopolitische Elite, die "Guten Europäer" und die "Freien Geister", Menschen ohne Fesseln, die die Aufgabe hätten, die Völker zusammenzuschmelzen und die europäische "Überrasse" zu schaffen. Darunter verstand er jedoch nicht eine "Gleichförmigkeit", denn seine Gesellschaft der Zukunft sollte in zwei Kasten hierarchisiert sein, "Herdentiermenschen" und "Tyrannen". Um diesen Preis sollte Europa der "Züchtungsort der Übermenschen" sein, die die Welt beherrschen würden. Nietzsche verkündete die Ära der "großen Politik", des Kampfes um die Welthegemonie. Als unvermeidlich sagte er die Einigung Europas und die Entstehung des "europäischen Weltmenschen" voraus.

Trotz der Ausbeutung von Nietzsches Weltanschauung durch den Nazismus kann der "gute Europeanismus" des Philosophen nicht in Frage gestellt werden, ebenso wie derjenige K. Hillebrands [7] (1829-1884), eines Essayisten, der in vier Sprachen publizierte und Nietzsche als das eigentliche Modell des "Guten Europäer" diente. Auch er war sich der Krise einer Zivilisation, der des klassischen Humanismus, bewusst, zu dessen Rettung er die Intervention einer Aristokratie des Geistes vorschlug.

"Seine Lehre des tragischen Pessimismus führte Richard Wagner dazu, an die erlösende Kraft des sich in der Musik ausdrückenden deutschen Idealismus zu glauben."

Quelle Wagner [8] , Quelle Parzifal [9] , Quelle Walküre: imperia-europa.org/Portraits/Wagner/, inaktiv, 02.06.2006

Diese Aufforderung an den deutschen Idealismus in der Tradition des Weimarer Klassizismus unterschied sich völlig von den Theorien einer Erneuerung durch ein germanisches Christentum bzw. durch die Prädestination der nordischen Rasse, wie bei P. de Lagarde [10] (1827-1891) und J. Langbehn [11] (1851-1907). Doch die Zweideutigkeit des Wiederauflebens durch diese Formen der nationalistischen Mystik kam vor allem im Wagnerismus zum Vorschein. Wagner [12] bekannte sich zu einer Lehre des tragischen Pessimismus, die ihn dazu führte, an die erlösende Kraft des sich in der Musik ausdrückenden deutschen Idealismus zu glauben. Er wollte dem Abendland seine eigene mythische Geschichte und das Wunder seiner Erlösung offenbaren. Aber die Sublimierung des Blutes ließ, vor allem im "Parzival", die wirkliche Natur dieser Regeneration in zweifelhaftem Lichte erscheinen. Mit der Gewähr des Meisters wollten die Wagnerianer behaupten, dass die Reinheit des arischen Blutes die einzige Garantie der Spiritualität sei. Ihre Anschauungen über die Semitisierung Europas und über die rassische und geistige Überlegenheit des Deutschtums gingen dann in den Rassismus des 20. Jahrhunderts ein.