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'Ein liberalistisches Ideal: die Vereinigen Staaten von Europa'
 
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Ein liberalistisches Ideal: die Vereinigen Staaten von Europa

Da nationale Gedanken in der Restaurationszeit unterdrückt wurden, kamen sie erst in Verbindung mit den liberalen Bewegungen von 1830 und dann 1848 stärker zum Vorschein.

Die Europaidee des Liberalismus leitete sich, im Gegensatz zur Romantik, vom Rationalismus der Aufklärung [1] , besonders vom Kantianismus [2] und vom klassischen Humanismus ab. Sie war am Naturrecht, am Ideal der Freiheit und des Fortschritts orientiert. Die liberale Ideologie sah keine Unvereinbarkeit zwischen dem Nationalstaat und der europäischen Konföderation. Ganz im Gegenteil: die Völker sollten erst den dynastischen Absolutismus beseitigen, bevor sie sich als souveräne Staaten herausbildeten, die in einem hochzivilisierten Europa als von Natur aus friedfertig und solidarisch betrachtet wurden.

Das Hambacher Fest [3] (1832) gilt als Höhepunkt frühliberaler bürgerlicher Opposition in Restauration und Vormärz.

Quelle des Bildes: deutsche-heimat.de/neustadt-weinstrasse/hambacherfest.html, inaktiv, 08.04.2004

Die erste große Kundgebung der deutschen Liberalen fand im Mai 1832 auf Schloss Hambach (Pfalz) [4] statt. Die Hauptredner Siebenpfeiffer und Wirth gaben dort die wichtigsten Anschauungen der westeuropäischen liberalen Bewegung, insbesondere Mazzinis, bekannt: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit der Völker, Volkssouveränität, Nationaleinheit. Einige Parolen kündigten schon die berühmte Formel der "Vereinigten Staaten von Europa" an, die sich dann aber erst um 1848 durchsetzte. Doch hinter der lyrischen Heraufbeschwörung des "republikanischen konföderierten Europa" steckten in den Hambacher Reden Gefahren, deren schädliches Potenzial damals noch nicht erkennbar war, nämlich die Umgestaltung Europas nach sprachlichen und ethnischen Kriterien.

In den dreißiger Jahren veröffentliche H. Heine [5] (1795-1856) eine Anzahl von prophetischen Schriften über die Zukunft Europas und die Gefahren, die von den reaktionären Mächten, insbesondere von der "Teutomania", ausgingen.

 

 

In seinen letzten Lebensjahren erwies sich der Schriftsteller, den Nietzsche [6] später zu den "Guten Europäern" zählte, manchmal als ausgesprochen pessimistisch, wie der Historiker und Führer der liberalen Partei in Baden, Carl von Rotteck [7] , es damals auch war. Der in Europa tobende Konflikt zwischen Konservatismus und Liberalismus veranlasste den Verfasser der "Allgemeinen Geschichte neuerer Zeiten" (1934) dazu, an der Zukunft Europas zu zweifeln, während die beiden Liberalen Rotteck und Th. Welcker (1790-1969) im "Staats-Lexikon" [8] , das sie zwischen 1834 und 1849 veröffentlichten, die absolute kulturelle Vorherrschaft und den Vorrang unserer Zivilisation in der Welt proklamierten.

Heinrich Heine und Friedrich List: Vorreiter des europäischen Idee im 19. Jh.

Quelle Heine [9] , Quelle List [10]

Die Debatte um Liberalismus und Konservatismus, Nationalgefühl und Internationalismus ergriff nicht nur die politischen und intellektuellen Kreise, sondern sie belebte auch die Überlegungen der Volkswirtschaftler. Der bedeutendste von ihnen war F. List [11] (1789-1846), der geistige Vater des "Zollvereins" und Autor des "Nationalen Systems der politischen Ökonomie" (1841). Dem englischen Freihandel zugeneigt, hatte List jedoch die Organisation eines geeinigten Europa befürwortet, dessen Kern ein protektionistisches Deutschland gegen die britische Konkurrenz bilden würde. Als guter Liberaler dachte er, dass das geeinigte Europa aus einer Gemeinschaft von freien, gleichberechtigten Nationen bestehen sollte, die dazu fähig wären, im 20. Jahrhundert England zu integrieren und sich der künftigen Macht der "Großen Zwei" entgegenzusetzen. Die Zukunftsbetrachtungen von List haben die Denkweise der deutschen Volkswirtschaftler bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts beherrscht und die sogenannten Mitteleuropaprojekte angeregt.

Die erste deutsche Volksvertretung tagte vom 18. Mai 1848 bis zum 30. Mai 1849 in der Paulskirche [12] in Frankfurt am Main, um eine Verfassung für den deutschen Gesamtstaat zu schaffen.
(Lithographie von P. Bürde)

Quelle der Abbildung [13]

Obwohl die Formel der "Vereinigten Staaten von Europa" in den Reden des Frankfurter Parlaments 1848-1849 nicht auftauchte, so kam die Idee doch in den Erklärungen der liberalen und demokratischen Linken, besonders bei J. Fröbel [14] (1805-1893) und A. Ruge [15] (1803-1880), zum Ausdruck. Das Motto der internationalen Brüderlichkeit und die Manifestation einer zentralen Rolle eines neuen Deutschland bildeten das Kernstück der Reden des Demokraten Ruge, der durch Lamartines [16] "Manifeste à l'Europe" von März 1848 stark beeinflusst worden war. In seinen Vorträgen vom Sommer 1848 skizzierte der Redner ein Europa der aufgeklärten, friedfertigen Nationen, das die rationalistischen Ideale der Aufklärung im Rahmen einer deutsch-französisch-englischen Triarchie (einschließlich der slawischen Völker) übernehmen würde. Bald darauf sollte jedoch dieser Traum eines Europa der Vernunft auf das Scheitern der Revolution und auf die Realpolitik Bismarcks stoßen.